Schulvorsteherin, für das Frauenwahlrecht. In fast allen größeren Städten und Industriezentren hat sie während der letzten Monate Versammlungen abgehalten, in denen sie die einschlägige Forderung begründete. So sprach Genossin Gatti de Gamond z. B. in Brüssel  , Lüttich  , Verviers  , Gent  , Molenbeck, La Louvière  , Lodelinsart 2c. Die Versammlung in dem letztgenannten Orte war besonders interessant, weil die Zuhörerschaft zur großen Mehrzahl aus den weiblichen Fa­milienangehörigen der streifenden Glasarbeiter bestand. In Verviers  und den umliegenden Ortschaften agitirt Genossin Delsante für das Frauenstimmrecht; in Lüttich   und Ümgegend Genossin Wasson; im Bezirk von Charleroi   Genossin Lothier; in Gent  , Alost  , Grammont und anderen vlämischen Industriezentren Genossin Foulon. Die Agitation wird sehr wirksam von den Arbeiterinnenorganisationen, sowie von den Vereinen der Jungen Garde" unterstüßt, jener Parteigruppirung, welche besonders den Kampf gegen den Militarismus führt. Auch die bekanntesten Führer der sozialistischen   Arbeiterpartei, allen voran Genosse Vandervelde  , treten, wie wir schon berichteten, in Wort und Schrift rückhaltlos, für das Frauenwahlrecht ein. Die Vorkämpfe rinnen und Vorfämpfer für das volle Bürgerrecht der Frau fin­den überall eine zahlreiche, oft auch eine begeistert zustimmende Zu­hörerschaft. Besondere Erwähnung verdient, daß nicht nur das sozialistische industrielle Proletariat sich für das Frauenwahlrecht erklärt, sondern daß die Forderung auch bei der bäuerlichen Bevöl­ferung lebhaften Anklang findet. An der letzten Manifestation zu Gunsten der Amnestie und des allgemeinen Wahlrechts, welche die sozialistische Arbeiterpartei am 11. November in Brüssel   organisirt hatte, nahmen gegen 500 Frauen und Mädchen Theil, die als ge= schlossene Gruppe im Zuge marschirten. Vor der Gruppe wurde ein großes Banner getragen mit folgender Inschrift: Die soziali­stischen Frauen fordern das allgemeine Wahlrecht." Es war das erste Mal, daß in Belgien   Frauen durch eine Straßenmanifestation ihre politische Gleichberechtigung verlangten. Die Zahl der Manifestan­tinnen würde eine viel beträchtlichere gewesen sein, wenn nicht Hun­derte von Lehrerinnen, Verkäuferinnen, Romptoiristinnen, Arbeite­terinnen 2c. von der Kundgebung durch die Furcht ferngehalten worden wären, ihr Brot zu verlieren. Die ruhige, würdige Haltung der demonstrirenden Frauen und Mädchen hat einen tiefen Eindruck auf die Bevölkerung gemacht.

Die Befürworter des Frauenstimmrechts in England hoffen, daß die stattgehabten Neuwahlen etwas über 200 Abgeordnete, welche der Neuerung günstig sind, in das Parlament gebracht haben. Leider hat der unermüdliche Vertheidiger des Frauenwahlrechts im englischen Unterhaus, Mr. Faithful Begg, aus Gesundheitsrück­sichten seine Wiederwahl abgelehnt. Das Erefutivkomite des Landes­verbandes der Stimmrechtsvereine" richtete aus diesem Anlaß ein Schreiben an ihn, das dem Bedauern über sein Scheiden und den Dank für sein Wirken zu Gunsten der Gleichberechtigung des weib­lichen Geschlechts Ausdruck giebt.

Frauen als Parlamentsmitglieder in Staaten der nord­ amerikanischen   Union  . Die Wähler des Kreises Arapahoe wählten Mrs. Evangeline Hearts in das Unterhaus von Colorado  . Frau Hearts war die Kandidatin der vereinigten demokratischen fleinbürgerlichen Parteien. Als Abgeordnete zog Mrs. Elizabeth Cohen in das Parlament des Staates Utah   ein; sie wurde in Salt Lake City   gewählt.

Die Einführung des Frauenstimmrechts in der Kolonie Viktoria( Australien  ), die im Juli dieses Jahres mit einer Majorität von 31 Stimmen vom Unterhaus beschlossen wurde, ist vom Oberhaus abgelehnt worden. Von Einfluß auf die Entscheidung des Oberhauses war die reaktionäre Haltung breiter Frauenkreise, welche gegen die beantragte Reform energisch protestirten und eine erfolgreiche Anti­Frauenstimmrechtsbewegung ins Leben riefen. Binnen furzer Zeit erhielt eine Petition gegen das Frauenstimmrecht nicht weniger als 27 000 Unterschriften. Die Frauen der deutschen   Ansiedler gehören ihrer großen Mehrzahl nach zu den Gegnerinnen der politischen Gleichberechtigung der Geschlechter. Aeußerst bezeichnend ist es, daß sehr viele reiche Damen die materielle Abhängigkeit ihrer Dienst­mädchen, Angestellten 2c. dazu mißbrauchten, dieselben zu zwingen, gegen ihre Ueberzeugung die erwähnte Petition zu unter­zeichnen. Eine recht erbauliche Illustration zu der großen Schwester­schaft", die nach den Salbadereien bürgerlicher Frauenrechtlerinnen alle Frauen ohne Unterschied der Klasse zum gemeinsamen Kampfe für die soziale Befreiung ihres Geschlechts zusammenschließt! Die Regierung ist übrigens mit der Entscheidung des Oberhauses nicht zufrieden. Der Ministerpräsident Mc Lean will eine Volksabstim­mung über die Einführung der Reform entscheiden lassen.

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Frauenbewegung.

Stellungnahme bürgerlicher Frauenrechtlerinnen in Wien  zu den Reichsrathswahlen. In Wien   fand kürzlich eine öffentliche Frauenversammlung statt, die von der radikalen Frauenrechtlerin Frl. Fickert einberufen und sehr gut von bürgerlichen Frauen besucht war. Die Versammlung sollte Stellung zu den bevorstehenden Par­lamentswahlen nehmen, und es waren zu diesem Zwecke die Kandi­daten verschiedener Parteien aufgefordert worden, zu referiren und ihren Standpunkt zu den wichtigsten Fragen zu äußern, welche gegen­wärtig das politische Leben Desterreichs bewegen. Es referirten der Liberale Dr. Kopp, der Sozialreformler Dr. Ofner und zwei Sozial­demokraten: Dr. Ellenbogen und Dr. Adler. In der Diskussion ergriff noch der Demokrat Dr. Kronawetter das Wort. Genosse Ellenbogen sagte unter Anderem, es sei zu begrüßen, daß auch die Frauen an dem jetzigen Kampfe theilnehmen wollten. Die Sozial­demokratie erwarte die Freiheit nur von dem Zusammenschluß aller männlichen und weiblichen Proletarier. Auf der Frau laste nicht blos die Klassensklaverei, sondern auch die Geschlechtssklaverei. Man will ihr einreden oder gebieten, sich von der Politik fern zu halten. Aber wie auf allen Gebieten, so gelte es auch in der Politik die Thüre öffnen für das weibliche Geschlecht. Nur in der Freiheit läßt sich der natürliche Beruf der Frau erkennen. Dort, wo ihre Kraft ver­sagt, wird sie von selbst wegbleiben. Es ist erfreulich, daß sich so viel männlicher Trot" unter den Frauen regt. Nach den vorlie­genden Erfahrungen kann es keine leidenschaftlicheren, entschiedeneren und tüchtigeren Kämpfer geben als die Frauen. Genosse Adler knüpfte daran an, daß ein Polizeikommissar zur Ueberwachung der Versammlung geschickt worden war. Ich gratulire Ihnen", so meinte er zu den anwesenden Frauen, Sie werden schon für gefährlich ge= halten. Man schickt Ihnen bereits einen Polizeikommissar in die Versammlung, und besser als unsere Reden wird Sie diese drastische Lektion des Herrn Polizeikommissärs darüber belehren, in welchem Staate wir leben. Die Möglichkeit der Frauenbefreiung liegt in der ökonomischen Entwicklung. Weil die Frauen zur Arbeit herangezogen wurden, sind die Ziele der Frauen heute nicht nur Ideale, sondern auf dem Wege der Verwirklichung. Die Frauen stehen nicht allein, sie können den Anschluß an kräftige Organisationen haben. Der Klerikalismus von heute ist gefährlicher als der von einst. In der Sozialdemokratie finden die Frauen den einzigen sicheren Rückhalt. Die Leidensgeschichte der Schule ist gleichzeitig die Schandgeschichte des Liberalismus. Das erste, was die Sozialdemokraten in einem vernünftigen das wird vielleicht nicht das nächste Parlament für die Frauen thun werden, wird ein Antrag auf Aenderung des Koalitionsgesetzes sein müssen.".

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Die Vorsitzende, Frl. Fickert, hatte schon bei der Versammlung erklärt, das Interesse der Frauen verlange, daß diese thatkräftig alle Kan­didaten unterstützen, die Gegner der reaktionären Christlich- Sozialen seien. Mit Begeisterung aber würden die Frauen insbesondere für die Sozialdemokraten eintreten, da diese die soziale Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts auf ihr Banner geschrieben habe und im Vordertreffen des Kampfes für bürgerliche Freiheit und gegen die flerifale Reaktion stehe. Der nämlichen Aufforderung wurde auch in der Diskussion durch die Vorsitzende und die Damen Hainisch und Metz   Ausdruck gegeben. Erstere entwickelte noch die unseres Er­achtens durchaus irrige Anschauung, die Frauenbewegung dürfe sich feiner politischen Partei anschließen, um ihre Urwüchsigkeit und Selbstän­digkeit nicht zu verlieren. Die Versammlung nahm eine Resolution an, wonach die Frauen für die freiheitlichen Kandidaten und speziell für die sozialdemokratischen Kandidaten der fünften Kurie mit allen Kräften eintreten wollen. Ein freisinniges Frauenkomite hat sich bereits gebildet und wird dem Beschluß gemäß wirken. In Deutsch­ land   haben die radikalen Frauenrechtlerinnen bis jetzt noch bei keinen Wahlen so viel Muth und Energie aufgebracht, wie ihre österreichischen Schwestern. Kaum daß sie in den letzten Jahren anzuerkennen wagen, daß die Sozialdemokratie die einzige Partei ist, die für die volle soziale Befreiung des weiblichen Geschlechts eintritt. Die betreffende Haltung gehört auch zu jenem famosen Vorangehen"- nach rück­wärts, das Frl. Lischnewska als leuchtendes Vorbild für die prole­tarische Frauenbewegung entdeckt hat und das uns ihrer phantasie­vollen Auffassung nach zu Wandlungen" bestimmen müßte.

Quittung.

Für den Agitationsfonds der Genossinnen gingen bei der Unter­zeichneten noch à conto des alten Rechnungsjahres ein: Von den Genossinnen in Gera 5 Mark. Dankend quittirt

Ottilie Baader  , Zentralvertrauensperson, Berlin   W., Groß- Görschenstr. 38, II. Hof rechts, 3 Tr.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( 8undel) in Stuttgart.  - Drud und Berlag von J. H. W. Die Nachf.( G. m. b. h.) in Stuttgart  .