Nr. 2.

Die Gleichheit.

11. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die ,, Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2978) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 16. Januar 1901.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichniß.

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Nothwendige Ergänzung. I. Fürsorge der Gemeinden für Mütter und Kinder. Von Dr. Kurt Freudenberg. Aus der Bewegung. Die Weihnachtsfeier der Hamburger vaterlandslosen Gesellen".- Feuilleton: Ein Dienstbotenroman.

Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Frauenarbeit auf dem Gebiete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. Gewerkschaftliche Ar­beiterinnenorganisation. Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Familienrecht.Frauenstimmrecht.- Sozialistische Frauenbewegung im Auslande. Frauenbewegung. Nachtrag zu den Adressen.

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Nothwendige Ergänzung.

I.

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Frau Klara Bettin( 3undel), Stuttgart  , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße. 12.

Thätigkeit außerhalb des Hauses verzichten und sich ausschließlich der Sorge für eine behaglichere und sittlich reichere Ausgestaltung des Familienlebens und der Pflege der Kinder widmen. Schaaren von Frauen werden als Arbeitsuchende, als Brotsuchende auf den Markt getrieben. Die technische Entwicklung und steigende Leistungs­fähigkeit der Arbeitsmittel, der Kraft- und Werkzeugmaschinen, die Fortschritte der Arbeitsverfahren ermöglichen eine zunehmende Ver­wendung weiblicher Arbeitskräfte in Industrie und Gewerbe, in Handel und Verkehr. Der heilige Goldhunger" der Kapitalisten verlangt nach billigsten und widerstandsschwächsten Lohnsklaven und bedingt, daß die Frau immer mehr nicht blos neben dem Manne Beschäftigung findet, sondern statt seiner. Die Familie hört in der Folge immer mehr auf, ein wirthschaftliches Ganze zu sein, in dem die Frau zum unmittelbaren Gebrauch der Angehörigen produktive Arbeit leistet. Die nöthigen Gebrauchsartikel werden außerhalb des Hauses erzeugt und müssen gekauft werden. Damit wird für die Frau die Nothwendigkeit geschaffen, durch produktive Arbeit außerhalb des Hauses für ihren Unterhalt aufzukommen und ihr Theil zur Existenzmöglichkeit der Familie beizutragen.

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Wie dringend nothwendig und von welch' unendlicher Bedeu­tung für das weibliche Proletariat, ja für die gesammte Arbeiter=" Klasse und die ganze Nation der gesetzliche Schuß der Arbeiterinnen und ihr Anschluß an die gewerkichaftliche Organisation ist, das haben wir wieder und wieder eingehend dargelegt. Gesetzgebung und Gewerkschaft zusammen, einander ergänzend und fördernd, müssen eingreifen, um dem ausbeutenden Kapital bei seiner gewissen­losen Ausnüßung der weiblichen Arbeitskraft gewisse Schranken zu ziehen, die geboten sind durch die Rücksicht auf das lebendige Menschenthum, das an der verkauften Arbeitskraft hängt und ein Recht auf Beachtung, auf Entfaltung und Bethätigung hat; die geboten sind durch die Rücksicht auf die Besonderheiten des weiblichen Organismus und die Sonderaufgaben der Frau als Gattin und Mutter. Denn von seiner unstillbaren, maßlosen Profitgier ge= peitscht, rennt das Kapital diese Schranken nieder, ohne sich auch nur einen Deut um die entseßlichen Folgen zu kümmern, die über die Arbeiterin, ihre Kinder und ihr Familienleben hereinbrechen, das Proletariat in seinen gegenwärtigen und zukünftigen Interessen schwer gefährden und damit die gesammte Gesellschaft schädigen.

Aber so unerläßlich und werthvoll all die Verbesserungen sind, welche die Macht des Gesetzes und die Macht der Gewerk­schaft zu Gunsten der Arbeiterin zu erzielen vermögen, sie allein find noch nicht ausreichend, um die Interessen der proletarischen Frauenwelt in der heutigen Gesellschaft wirksam zu wahren. Die Verhältnisse, in denen die Proletarierin lebt und webt, heischen gebieterisch, daß diese nicht blos als werthschaffende Arbeitskraft in ihrer Erwerbsthätigkeit gegen die kapitalistische Ausbeutung ge­schützt wird, sondern daß sie auch in ihrer Eigenschaft als Mutter und Hausfrau durch geeignete Reformen und Einrichtungen weit­reichende Unterſtüßung und Förderung erfährt. Wir stehen der Thatsache gegenüber, daß die wirthschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in immer größerem Umfang zur Berufsthätigkeit der Frau führt. Die Industrie ergreift einen Zweig der früheren produktiven weiblichen Thätigkeit in der Familie nach dem anderen, verlegt ihn aus dem Hause in die Fabrit oder Werkstatt, ent­windet ihn der Frau, dem häuslichen Universalhandwerker, und überträgt ihn an bestimmte Berufsarbeiter. Nach dem Spinnen, Weben und Färben das Einmachen von Obst und Gemüse, das Striden der Strümpfe, das Nähen der Kleider 2c. Das niedrige Einkommen der proletarischen Familie, der wachsende wirthschaft­liche Verfall der mittel- und kleinbürgerlichen Schichten verhindern, daß die freigewordenen weiblichen Arbeitsfräfte auf eine produktive

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Allein die geltende Ordnung der Dinge bewirkt, daß die werth­schaffende, erwerbende Berufsthätigkeit der Frau nicht blos ergänzend neben das Wirken in der Familie und für die Familie tritt und diesem sein volles Recht werden läßt. So lange die Arbeit nicht frei ist, steht der todte Besitz über den lebendigen Menschen, unter­wirft ihn seinen Gesetzen und verknechtet ihn. Der Gegensatz zwischen Reichen und Armen, Ausbeutern und Ausgebeuteten, der durch die Jagd nach Profit entfesselte Stampf Aller wider Alle bedingen, daß die Berufsthätigkeit der Frau wie die des Mannes nicht blos eine bestimmte, eng begrenzte Summe der Kräfte aufsaugt und verzehrt, vielmehr den größten und besten Theil derselben. In unseren Tagen dient der Beruf weniger dem Menschen, als daß der Mensch dem Berufe dienen muß. So wird auch die Frau durch die ungeschriebenen, aber ehernen Ge­setze des Wirthschaftslebens gezwungen, ihr Sein und Thun   der Berufsthätigkeit unterzuordnen, will sie sich im Konkurrenzkampf behaupten und nicht von Leistungsfähigeren", die sehr oft nur die Skrupelloseren sind, verdrängen lassen. Für die berufsthätige Proletarierin, die durch ihre produktive Arbeit zur Lohnsklavin wird, verschärft die kapitalistische Ausbeutung die aufgezeigten, geltenden Tendenzen aufs Aeußerste.

Wohl bedeutet es eine Ersparniß an Zeit und Kraft, wohl bedeutet es eine höhere Ergiebigkeit der Arbeit, daß die Frau nicht mehr mit den armseligen Arbeitsmitteln der großväterlichen Zeit schafft, sondern mit den modernen vollkommenen Werkzeugen. Aber die Vortheile der Veränderung mehren in der Hauptsache nur den Reichthum des Arbeitsherrn, sie kommen nicht der Arbeiterin, nicht ihrer Familie zu Gute. Nicht behäbiger Wohlstand zieht in die proletarische Familie ein, und statt daß eine förperlich und geistig Wa frische Hausfrau mehr Zeit und Sorgfalt auf die gesunde und frische Hausfrau mehr Zeit und Sorgfalt auf die gesunde und angenehme Ausgestaltung des Heims, die Pflege des Familien­lebens, die Erziehung der Kinder zu verwenden vermöchte, ist die abgeheßte, überanstrengte Lohnsflavin gezwungen, den Ihrigen auch das Nothwendigste an Fürsorge zu schmälern und zu entziehen.dem

Dazu noch eins. Die Dürftigkeit des proletarischen Ein­kommens schließt es aus, daß die proletarische Hausfrau, der bürger­lichen Dame gleich, sich alle Vortheile und Einrichtungen dienstbar macht, welche in unseren Tagen die Haushaltungsgeschäfte verein­

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