wahlrecht. Das Wahlrecht zum Oberhause sollte nämlich jedem Haushaltungsvorstand ohne Unterschied des Geschlechts zufallen. Der entsprechende Regierungsentwurf wurde jedoch vom Oberhause ver worfen.

Sozialistische Frauenbewegung im Auslande.

Die Betheiligung der österreichischen Genossinnen an der Wahlbewegung, von der wir bereits berichteten, ist bis zu Ende eine äußerst rege geblieben. In Wien   fanden fast täglich politische Frauenversammlungen statt oder Wählerversammlungen, in denen Frauen referirten. Die Frauenversammlungen waren stets gut, oft glänzend besucht; die Zuhörerinnen fast ausschließlich Proletarie­rinnen folgten mit gespannter Aufmerksamkeit den Ausführungen der Rednerinnen, welche das sozialdemokratische Programm entwickel­ten und Wesen und Haltung der bürgerlichen Parteien einer scharfen Kritik unterzogen. Selbstredend erörterten sie besonders eingehend die sozialdemokratischen Forderungen, welche im Interesse der Proletarie­rinnen liegen und der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts gelten. Die Versammlungen bewiesen, wie die bürgerlichen Doku­mente der Frauen" erklären: daß in Wien  , welches ja heute weit und breit für die Stadt geistiger Versumpfung gilt, breite Schichten der weiblichen Arbeiterschaft zu politischem Verständniß erwachen und nicht nur an dem Kampfe ihrer männlichen Klassengenossen thätigen Antheil nehmen, sondern auch immer weiter vordringen in der Er­fenntniß, daß sie selber nothwendig der politischen Rechte und der politischen Bethätigung bedürfen, um ihre materiellen und geistigen Interessen zu fördern." Die Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen waren auch zahlreich in den Wählerversammlungen vertreten, ebenso wie Genossinnen in solchen referirten. Auch an der agitatorischen und sonstigen Kleinarbeit, welche die Wahlbewegung mit sich bringt, nahmen die Genossinnen einen sehr regen Antheil, und in Sektionen, Kommissionen 2c. entwickelten sie neben den Genossen eine äußerst rührige Thätigkeit. Die als Rednerinnen bekannten Genossinnen ver­mochten den Aufforderungen zum Abhalten von Versammlungen, zu­mal auch in der Provinz, nicht zu genügen. In Wien  , Nieder­ österreich   und Steiermark  , wie in Böhmen  , Mähren   und Schlesien   haben unsere Genossinnen im Wahlkampf ihre volle Schuldigkeit gethan, die errungenen Erfolge sind auch ihr Werk. Ehre den energischen, opferfreudigen Rämpferinnen!

Der sozialistische Frauenkongreß, welcher am 20. Januar in Gent   stattfindet, hat folgende Tagesordnung: 1. Bericht über den sozialistischen   Frauenkongreß zu Brüssel  ( 1900). 2. Geschichtlicher Rückblick auf die proletarische Frauenbewegung in Belgien  . 3. Die bürgerrechtliche Erziehung der Frauen. 4. Die Nachforschung nach der Vaterschaft. 5. Das aktive und passive Wahlrecht der Frauen zu den Gewerbegerichten. 6. Mittel und Wege der Agitation gegen den Militarismus. 7. Das Frauenwahlrecht zu den Provinzial- und Gemeinderäthen. 8. Die Beschwerdekommission. 9. Agitation, um die Frauen als Mitglieder den verschiedenen Verbänden zuzuführen. 10. Organisation eines Landesverbandes der sozialistischen   Frauen­Der und Arbeiterinnenvereine. 11. Wahl des Landeskomites. Rongreß, welcher in der Festhalle des Vooruit" tagt, soll sein reich­haltiges Programm in zwei Sitzungen erledigen. Einberufen und organisirt wird der Kongreß von dem jetzigen Landeskomite, dem die Genossinnen Gatti de Gamond, Eggericy, Wasson, Leroy, Pirson und Vanderhaegen angehören, sowie Genosse Oscar Gilbert als Schrist­führer. Das Komite hat Genossin Zetkin   zur Theilnahme an dem Kongreß eingeladen. Unsere herzlichsten Wünsche für erfolgreiche Arbeit den tapferen belgischen Genossinnen. Durch ihr Wirken für die gewerkschaftliche Organisirung der Arbeiterinnen und für die Auf­flärung über die sozialistischen   Jdeale, durch ihren energischen Rampf gegen den Militarismus und für das Frauenwahlrecht haben sie sich um die Sache des Proletariats und des weiblichen Geschlechts hoch­verdient gemacht. Sie werden jederzeit mit der alten Kraft weiter: arbeiten und weiterkämpfen.

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Frauenbewegung.

Die bürgerlichen Frauen zum politischen Interesse zu wecken und ihr politisches Verständniß zu schulen, hat der Verband fortschrittlicher Frauenvereine" unternommen. Zu diesem Zwecke erläßt der Vorstand der genannten radikalen frauen­rechtlerischen Organisation einen Aufruf, in welchem er allen deutschen  Frauen, besonders aber den Frauenvereinen Folgendes empfiehlt: 1. Gleichdenkende Frauen sollen private Vereinigungen bilden, in denen sie Referate über Reichstags- und Landtagsverhandlungen geben und Broschüren über politische Fragen gemeinsam lesen und besprechen. 2. Frauenvereine sollten Redner gewinnen, welche die

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara gettin( 8undel) in Stuttgart  .

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Verfassungskämpfe des vergangenen Jahrhunderts historisch be­leuchten und die Frauen zum Verständniß der Parteigegenfäße führen. 3. Es müssen Kurse über Verfassungskunde eingerichtet werden, 4. Deffentliche Versammlungen zu politischem Zwecke und die Ver­sammlungen der Wahlvereine müßten von den Frauen eifrig besucht werden. Im Aufruf heißt es weiter: Von diesem den deutschen  Frauen durchweg zustehenden Rechte machen die bürgerlichen Frauen wenig oder gar nicht Gebrauch. Hier könnten die Frauenvereine eine bedeutungsvolle Thätigkeit entfalten, wenn sie ihre Mitglieder in den Sigungen auf solche Versammlungen aufmerksam machten und zu gemeinsamem Besuche aufforderten. Selbstverständlich müßten die Versammlungen der verschiedenen Parteien besucht werden, da­mit die Frauen Gelegenheit haben sich ein eigenes Urtheil zu bilden." Die Kundgebung an alle deutschen   Frauenvereine" schließt mit der Hoffnung, daß wenn das vorgeschlagene Programm durch­geführt wird, in wenigen Jahrzehnten die unwürdigen Schranken fallen werden, welche die Frauen heute als Schußbefohlene und Fremdlinge fennzeichnen". Der Vorstoß der radikalen Frauenrecht­lerinnen, die bürgerlichen Frauen zu politischer Einsicht zu erziehen und zum Kampfe für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zu führen, sündigt gewiß nicht durch Kühnheit und Kraft. Wir begrüßen ihn jedennoch mit aufrichtiger Genugthuung als einen anerkennenswerthen Fortschritt. Welch praktische Mängel den Vor­schlägen anhaften, das wird bald die Erfahrung besser als die Kritik lehren. Und die Logik der Thatsachen wird mit zwingender Gewalt dafür sorgen, daß die radikalen Frauenrechtlerinnen bei diesem noch zaghaften und tastenden einen Schritt nach vorwärts nicht stehen

bleiben.

waren.

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Die christlich- sozialen Frauen Wiens, die Lueger- Amazonen", wie sie genannt werden, haben während der letzten Wahlbewegung eine fieberhafte Thätigkeit entfaltet, die den übrigen bürgerlichen Frauen und zwar nicht blos in Wien   zum Beispiel dienen fann. In allen Bezirken Wiens haben sie zahllose Versammlungen abgehalten, die von Tausenden von Frauen aller Stände besucht Alle Leuchten der christlich- sozialen Partei, in erster Linie Bürgermeister Lueger  , der schöne Karl", sprachen hier und fanden begeisterte Zuhörerinnen. Welch große Bedeutung die Christlich­Sozialen diesen Frauenversammlungen beilegten, das zeigt folgender Ausspruch Luegers:" Daraus, daß ich kaum mehr Männerversamm­lungen abhalte, sondern fast nur Frauenversammlungen einberufe, können Sie ersehen, was für einen großen Werth ich auf Ihre Agi­tation im Wahlkampf lege. Daß ich Bürgermeister von Wien   ge­worden bin, verdanke ich Ihnen, und es hängt wieder nur von Ihnen ab, daß ich jetzt wieder in den Reichsrath gewählt werde. Sie müssen täglich und stündlich agitiren, nicht nur bei Ihren Bekannten, sondern auch in der Früh beim Einkaufen, und da darf der Herr Gemahl nicht bös sein, wenn S' auch eine halbe Stunde länger wegbleiben, und da müssen S' den Kaufleuten sagen, bei denen S' einkaufen, daß sie die christlichen Abgeordneten wählen müssen, sonst entziehen Sie ihnen die Kundschaft, und Sie werden schon aufpassen im Wahllokal, ob sie wirklich christlich wählen, müssen Sie ihnen sagen. Und am Wahltag, da giebt's überhaupt kein Kochen, da gehört die Frau nicht ins Haus, da gehört sie einzig und allein in die Agitation." Schließ­lich forderte Lueger   die Frauen auf, eifrigst für den Wahlfonds zu sammeln. Daß die Aufforderung pünktlich befolgt worden ist, erhellt aus der Mittheilung, daß die Frauen von drei äußeren westlichen Bezirken Wiens dem christlich- sozialen Wahlfonds 12000 Kronen zu­geführt haben sollen.

Eine Hebung der Stellung weiblicher Aerzte in Rußland  hat das Ministerium der Volksaufklärung kürzlich beschlossen. Weib­liche Aerzte können nun in allen Erziehungs- und Lehranstalten für Frauen praktiziren und genießen dabei alle Rechte des Staatsdienstes, die den männlichen Aerzten zufallen. Nur bleibt den weiblichen Aerzten in solchen Stellungen die Versetzung in höhere Rangklassen und die Verleihung von Orden versagt.

Ein weiblicher Professor der Literatur wurde am Milwaukee Downes Colleges zu Milwaukee ernannt: Frl. Emily Brown. An der nämlichen höheren Lehranstalt wurden noch drei Damen als Lehrerinnen für verschiedene wichtige Unterrichtsfächer berufen.

Adressen der weiblichen Vertrauenspersonen.

Den in voriger Nummer veröffentlichten Adressen sind noch folgende beizufügen: Frau Zeise, Köln   a. Rh., Perlengraben 59 IV. Frau Behrend, Wilmersdorf   bei Berlin  , Sigmaringerstraße 30, Stfl. III.

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Ottilie Baader  , Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands  , Berlin   W., Groß- Görschenstr. 38, II. Hof rechts, 3 Tr.

Drud und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. H.) in Stuttgart  .