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von Proletarierinnen. Schließlich aber sind im letzten Grunde die ausgebeuteten Besitzlosen und Rechtlosen die Träger und Trägerinnen der Steuerlasten der Besitzenden. Die Steuerkraft der Letzteren be­ruht nur in einem sehr bescheidenen, ja winzigen Umfang auf der eigenen, persönlichen Arbeitsleistung, im Wesentlichen wurzelt sie in der Ausbeutung der Besitzlosen. Die Glieder der herrschenden und ausbeutenden Klasse nehmen die Steuergroschen aus dem Beutel des arbeitenden, ausgebeuteten Volfes und spielen dann die dadurch er­langte Steuerfähigkeit gegen das Bürgerrecht des Beraubten aus.

Es läuft dies darauf hinaus, Jemand die Hände abzuhauen und ihm dann zum Vorwurf zu machen, daß er nicht arbeite und fämpfe. Die nämliche Ausbeutung, welche große Schaaren von Prole­tariern und Proletarierinnen steuerunfähig macht, verhindert auch ihre Seßhaftigkeit. Unstät und flüchtig, den Nomaden gleich, werden die Lohnsklaven durch die Noth von Ost nach West, von Nord nach Süd gehetzt. Das zwingende Gebot, dem Broterwerb nachzugehen, läßt sie nicht seßhaft werden. Die Forderung der radikalen Frauenrecht­lerinnen ist eine volksfeindliche, in der eine schreiende ungerechtigkeit dem Proletariat gegenüber ihren Ausdruck findet.

Bis jetzt pflegten die Damen die Halbheit ihrer Ziele stets be­dauernd mit tattischen Rücksichten zu entschuldigen. Zum ersten Male erklären sie ihre Preisgabe der proletarischen Interessen, ihre Miß­achtung der Rechte der Arbeiterin und Arbeiterhausfrau für grund­sätzlich bedingt, für eine That sozialer Gerechtigkeit. Das verdient festgenagelt zu werden. Bei jeder Gelegenheit betonen gerade die radikalen Frauenrechtlerinnen, daß es ihnen vorbehalten sei, die Rolle der Friedensengel zwischen den kämpfenden Klassen zu spielen, die tiefsten sozialen Schäden durch Moral und Gerechtigkeit zu über­winden. Nun erfahren wir, welches diese Moral und Gerechtigkeit ist: die Moral und Gerechtigkeit des zahlungsfähigen Portemonnaies.

In ihrer Forderung begegnen wir übrigens einem alten Be­fannten. Die radikalen Frauenrechtlerinnen haben die Gesichtspunkte aufgegriffen, durch welche der verrufene Berliner   Kommunalfreisinn den sozialdemokratischen Antrag auf Einführung eines wirklich allge­meinen Gemeindewahlrechts bekämpft hat. Sage mir, mit wem du umgehst und ich will dir sagen, wer du bist." In einer der wich­tigsten Fragen marschiren die radikalen Frauenrechtlerinnen Arm in Arm mit der politisch verkommensten, arbeiterfeindlichsten Spielart der bürgerlichen Demokratie. Sie kennzeichnen sich damit als eine Richtung, welche das Interesse des Geldsacks über die Wohlfahrt und das Recht der Arbeiterklasse stellt. Wenn die Frauenrechtlerinnen in entscheidenden Fragen von dem leichten Sand allgemeiner Redens­arten und Verheißungen auf den festen Boden von Thaten treten, enthüllt sich unter dem Schafspelz der allgemeinen Schwesternliebe der Wolf des kapitalistischen   Klasseninteresses.

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Aus der Bewegung.

Von der Agitation. In der ersten Hälfte des Januar sprach Genossin Ziez- Hamburg in einer Reihe von Volksversammlungen. In Sestermiehe war das Lokal dicht besetzt mit Landleuten aus dem Orte selbst und der Umgegend, auch Frauen waren in stattlicher Anzahl hier zum ersten Male- erschienen, um dem Vortrag über erschienen, um dem Vortrag über Die jüngsten Maßnahmen der Regierung" zu folgen. Nach Schluß der Versammlung traten 14 Personen dem Sozialdemokratischen Verein bei. Die Versammlung in Lauenburg   war ebenfalls glänzend besucht. Zahlreiche Frauen, welche in der Streichholzfabrik ar­beiten, waren erschienen, und 17 von ihnen traten dem Fabrikarbeiter­verband bei. Auch die politische Organisation erzielte einige Auf­nahmen. In Neuengamme   im Hamburger   Landgebiet sprach die Referentin über Die Ziele der Sozialdemokratie" in einer trotz der herrschenden grimmigen Kälte gut besuchten Versammlung. Eine öffentliche Fabrikarbeiterversammlung, die am 12. Januar im großen Saale des Vereinshauses in Lübeck   stattfand, war ebenfalls sehr gut besucht und zwar erfreulicher Weise auch von Frauen. Das Gleiche gilt von der Versammlung in Stockelsdorf  . Ueberfüllt war die Versammlung in Schwartau, wo mindestens 40 Prozent der Versammlungsbesucher Frauen waren. L. Z.

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In Glückstadt   und in Barmstedt   fand kürzlich eine öffent­liche Versammlung statt, in der Genossin Kähler- Hamburg referirte. In Glückstadt   legte die Referentin unter lebhaftem Beifall der un­gelernten Arbeiter und Arbeiterinnen Zweck und Nutzen der Or­ganisation" dar. Die Versammlung führte dem Verbande der Fabrik-, Land- und Hilfsarbeiter 8 neue Mitglieder zu. In Barm= stedt sprach Genossin Kähler über die Mainzer   Frauen- Kon­ferenz" und unsere Forderungen des gesetzlichen Arbeite­rinnenschutzes". Sie gab ein Bild von den Arbeiten und Be­schlüssen der Konferenz und begründete sachgemäß die Reformen, die

wir auf dem Gebiete der gesetzlichen Regelung der Arbeitsbedingungen zum Schutze der Arbeiterinnen verlangen. Einstimmig gelangte die bekannte Resolution zur Annahme. Leider war die Versammlung nur mäßig besucht. Ein vorbereitende Agitation sollte dafür sorgen, daß insbesondere auch die Frauen in größerer Zahl Versammlungen beiwohnen, welche sich mit Fragen beschäftigen, die von größter Wichtigkeit für das weibliche Proletariat sind. W. K.

Das Koalitionsrecht der Frauen in Posen zurückgewonnen. In einer Versammlung der Zahlstelle Posen des Vereins deutscher Schuhmacher verlangte der überwachende Polizeibeamte, wie die ,, Gleichheit" berichtet hat, daß die anwesenden Frauen hinausgewiesen würden, andernfalls müßte er die Versammlung auflösen. Die Zahl­stelle sei ein politischer Verein, an dessen Versammlungen Frauen nicht theilnehmen dürften. Auf die beim Polizeipräsidenten eingelegte Beschwerde ging eine Antwort ein, die das Vorgehen des Beamten als forreft bezeichnete. Der Beschwerdeführer wandte sich weiter an den Regierungspräsidenten von Posen. Dieser erklärte in seinem Bescheide, daß der Verein ein politischer sei, weil er nach den Sta­tuten die Errichtung von Betriebswerkstätten anstrebe und damit nicht eine Verbesserung der Lage des Einzelnen, sondern eine solche der Gesammtheit der Schuhmacher herbeiführen wolle. Weiter, weil in einer Versammlung der Zahlstelle einer der Anwesenden der, nebenbei bemerkt, ein Schäftefabrikant und Gegner der Organisation ist den Verein als einen sozialdemokratischen bezeichnet habe. Schließlich aber, weil der Führer der Posener Sozialdemokraten, Genosse Gogowski, zum Beitritt aufgefordert hätte. Gogowski sei Verwalter des sozialdemokratischen" Arbeitersekretariats. Nun­mehr wurde beim Oberpräsidenten Beschwerde geführt und nach fünf­monatlichem Warten ging ihr unter dem 3. Januar d. J. folgende Antwort ein, die endlich die Frauen Posens zu ihrem Rechte kom­men läßt:

" Ihre Beschwerde gegen meinen Bescheid vom 3. Juli v. J. Nr. 5438/00 I. A. ist mir von Sr. Erzellenz dem Herrn Oberpräsi denten hierselbst nochmals zugegangen.

,, Bei der in Folge dessen ermöglichten nochmaligen Prüfung der Sachlage hat sich ergeben, daß die hiesige Zahlstelle des Verbandes deutscher Schuhmacher dem hiesigen Arbeiterfefretariat nicht an­gegliedert ist, und dieselbe daher, so lange sie sich im Rahmen ihres Statuts hält und nicht das politische Gebiet betritt, als politischer Verein im Sinne des Vereinsgesetzes nicht anzusehen ist.

,, Unter Aufhebung meiner Entscheidung vom 3. Juli d. J. Nr. 5438/00 I. A. habe ich den Herrn Polizeipräsidenten   hierselbst er­sucht, Vorstehendem gemäß zu verfahren und sehe daher Ihre Be­schwerde vom 13. Juli als erledigt an.

J. V. gez.( Unterschrift)." Also zuerst wird der Verein auf Grund der Statuten als politischer bezeichnet, und dann auf Grund derselben Statuten lx. als unpolitischer! Eine Prachtleistung amtlicher Logik!

Die Polizei im Kampfe gegen die proletarischen Frauen. In Memel   wurde letzthin dem Arbeiterwahlverein die Erlaubniß zur Abhaltung des Stiftungsfestes versagt, weil an diesem Frauen theilnehmen sollten. Zur Begründung dieser staatsretterischen Ent­scheidung mußte natürlich§ 8 des be- rühmten preußischen Vereins­rechts herhalten. Das geplante Tanzvergnügen wurde wieder einmal zu einer politischen Vereinssigung gestempelt. Den Festen der Krieger­vereine gegenüber, an denen doch auch Frauen theilnehmen, haben die Behörden noch nie die gleiche Deutungskunst geübt. Wenn Zwei dasselbe thun, so ist es eben nicht dasselbe, wenigstens nicht im Reiche der vollendetsten Rechtsgarantien". In Weißensee wurden die Frauen aus einer öffentlichen Versammlung des sozialdemokratischen Arbeitervereins vom Ueberwachenden ausgewiesen. Und das von Rechts wegen", auf Grund des famosen preußischen Vereinsgesetzes, das die Frauen als politisch Unmündige behandelt. Allerdings wurde dank des preußischen Rechtes" der Staat vor der entsetzlichen Gefahr bewahrt, daß die Frauen einen Vortrag des Genossen Hofmann gehört hätten über das verfängliche Thema:" Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen."

Notizentheil.

( Von Lily Braun   und Klara Betkin.)

Weibliche Fabrikinspektoren.

Die Assistentinnen der Fabrikinspektion in Sachsen­Weimar haben im Jahre 1899 nach dem Bericht der Gewerbe­aufsicht 88 Anlagen mit 2160 Arbeiterinnen besucht. Sie wissen nur