An die Genoffinnen!
Genossinnen! Die sozialdemokratische Partei hat das gesammte werkthätige Volt zum energischen Protest und Kampf gegen den drohenden Brot und Lebensmittelwucher aufgerufen, mittels dessen das Junkerthum unter Mitschuld der Regierung und des Groß der bürgerlichen Parteien seine Taschen auf Kosten der kleinen und armen Leute zu füllen gedenkt.
Niemand wird von dem vorbereiteten Raubzug schwerer ge= troffen, als die Frau der arbeitenden Massen, sie, die als Arbeiterin ihre Eriſtenz mit Hungerlöhnen fristen muß; sie, die als Hausfrau mit dem färglichsten Einkommen zu wirthschaften gezwungen ist.
Genoffinnen, wirkt deshalb allerorten mit der höchsten Nührigkeit und ohne Rücksicht auf persönliche Opfer dafür, daß die proletarischen Frauen in dichten Schaaren in Neih und Glied der Kämpfer wider Junkermacht und Junkerraffgier stehen, daß sie millionenstimmig Protest wider die geplante Politik der Volksaushungerung erheben. Ihr Alle könnt, Ihr Alle müßt zu Agita torinnen werden, welche dem Stampfe des Volkes für sein tägliches Brot unter den Frauen Streitkräfte werben. Seid in Eurem Familien und Freundeskreise, in Eurer Werkstatt und Fabrik thätig, damit auch die letzte Proletarierin über die heraufziehende Gefahr und die Pflicht der Abwehr aufgeklärt werde. Unterstützt die politisch und gewerkschaftlich organisirten Arbeiter bei ihren Bemühungen, die breiten Massen Derer zum Kampfe zu führen, welche gewissenlos der Ausplünderung überantwortet werden sollen. Laßt Euch angelegen sein, für einen Massenbesuch der sozialdemokratischen Protestversammlungen seitens der Frauen zu agitiren. Sezt Euch mit den Genossen ins Einvernehmen, damit dort, wo es ohne Beeinträchtigung des allgemeinen Protestes geschehen kann, besondere Frauenversammlungen einberufen werden, in denen die Arbeiterinnen, die proletarischen Hausfrauen und Mütter laut und nachdrücklich die Losung erschallen lassen: Nieder mit dem Brotwucher! Fort mit allen Zöllen und Abgaben auf Lebensmittel! Nieder mit der Junkermacht! Sorgt dafür, daß die später beim Reichstag einzureichende Petition die Unterschriften von Millionen von Frauen erhält. Kurz, spannt alle Eure Kräfte an, damit die proletarische Frauenwelt an dem entbrannten Kampfe einen so umfassenden und energischen Antheil nimmt, wie es ihre Lebensinteressen gebieten.
Genossinnen, führt Eure Schwestern in den Kampf wider die Macht, welche die festeste Stüße der Neaktion ist, die Euch allen Eure Bürgerrechte vorenthält, die geringen politischen Freiheiten der Arbeiterklasse bedroht und jede ernste soziale Reform zu ihren Gunsten zurückweist. In jede Hütte, Lachkammer und Fabrit töne Euer Ruf: Proletarierinnen, vertheidigt Euer tägliches Brot! Mütter, vertheidigt das Brot Eurer Kinder! Heraus zum Kampfe!
Ditilie Baader,
Umfang und Bedingungen der gewerblichen Kinderarbeit.
Die vom Reichsamt des Innern Ende 1897 angeordnete Erhebung über gewerbliche Kinderarbeit hat die Zahl von 532 283 Kindern unter 14 Jahren= 6,53 Prozent aller volksschulpflichtigen Kinder als erwerbsthätig außerhalb der Fabriken, der Landwirthschaft und des Gesindedienstes ergeben.
So groß diese Zahl auch ist, so bleibt sie, auch nach der Meinung des Reichsamtes, doch hinter der Wirklichkeit zurück. Die Ver muthung liegt nahe, daß manche Eltern sich aus allerhand Gründen scheuen, eine regelmäßige gewerbliche Mitarbeit ihrer Kinder zuzugestehen, besonders wenn die Polizei die Erhebung besorgt, wie dies ja vorkam. Auch kommt es vielen nicht zum Bewußtsein, daß die ihrer Meinung nach gelegentliche Mitarbeit der Kinder als erwerbende Thätigkeit betrachtet werden könne. Manchmal spielen auch Gleichgiltigkeit und unverstand, wenn nicht Schlimmeres, eine bedenkliche Rolle. Gesetze, welche zum Schuße der Kinder zu erlassen sind, dürfen jedenfalls nicht vor der Thür des Elternhauses Halt machen.
Unter dem Durchschnitt des Reiches bleibt die Zahl der gewerb lich thätigen Kinder in den landwirthschaftlichen Distrikten. Sie steigt
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weit darüber in den Großstädten( in Berlin 25 146 von 196 050 12,83 Prozent der volksschulpflichtigen Kinder), im Königreich Sachsen und den sächsischen und thüringischen Herzogthümern. So sind in Sachsen 22,80 Prozent aller volksschulpflichtigen Kinder gewerblich thätig; nämlich von 604 600 nicht weniger als 137 831. Dann folgt Sachsen Altenburg mit 5686 von 29 548= 19,24 Prozent, Meiningen mit 6684 von 40 754= 16,40 Prozent, Koburg- Gotha mit 15,16 Prozent. In Altenburg wurden in einer Mädchenschule* mit 520 Schülerinnen 23244,61 Prozent als erwerbsthätig ermittelt. In einzelnen Hausindustrieorten von Koburg- Gotha steigt die Zahl der gewerblich thätigen Kinder auf 86 vom Hundert, in Sonneberg , dem Mittelpunkt der Spielwaarenindustrie, beträgt sie 57 Prozent. Von 182 Kindern in Schmitten ** arbeiteten 105, von 96 Kindern in Obereisenberg waren im Jahre 1881 nur 12 nicht erwerbsthätig.
Die meisten gewerblich erwerbsthätigen Kinder, nämlich 306823= 57,64 Prozent, finden wir in der Industrie. Davon entfallen 143 710= 46,84 Prozent auf die Textilbranche, und wie die näheren Nachweise besagen, sind allein in Schlesien 16724, in Sachsen gar 34 145, im ganzen Reich zusammen 79 138 als Spulkinder beschäftigt, eine Arbeit, von der es heißt,*** daß sie die Kinder schädige durch die gebeugte Haltung, in der sie stundenlang verharren müssen, und die ständige mechanische Bewegung der Hände.
In Gruppe XII, der Industrie der Holz- und Schnitzstoffe, sind 41 801 Kinder gewerblich thätig. Darunter befinden sich 12244 Rorbmacher, 3035 kleine Künstler, welche hübsche Holzspielwaaren schnitzen, 2196 arme Allerkleinste, die allein im Regierungsbezirk Breslau bei der Verfertigung von Zündholzschachteln verwendet werden. 4363 Kinder sind in den verschiedenen Zweigen der Puppenfabrikation beschäftigt.
Bei allen diesen Beschäftigungen ist es nicht so sehr die Arbeit an sich, die zu verwerfen ist, als die Umstände, unter denen sie stattfindet. Da ist an erster Stelle die weit ausgedehnte Arbeitszeit zu nennen, die neben die Schulstunden und Schulaufgaben tritt. Ferner der Aufenthalt in kleinen, schlecht ventilirten Räumen, in denen zugleich alle Haushaltsarbeiten vorgenommen werden, und die sogar im Sommer geheizt werden müssen, um Leim und Lackfarben warm zu halten und das rasche Trocknen der farbigen Waaren zu ermöglichen. Es ist ohne Weiteres flar, wie schädlich die mit allen möglichen Dünsten geschwängerte Luft in diesen Räumen für die Lungen der Kinder sein muß.
Geradezu Mord aber ist die Beschäftigung von Kindern in der mit Quedfilber und Salpetersäure hantirenden Hasenhaarschneiderei. Hessen weist allein 211 unglücklicher kleiner Arbeiter auf, die in diesem Industriezweige beschäftigt sind. Sie haben die mit den Giftstoffen präparirten Felle zu enthaaren, zu reinigen 2c., und es ist ein seltsamer Widerspruch, daß die hessische Regierung, die im Uebrigen auf dem Gebiete sozialer Reformen energischer vorgeht als andere Bundesregierungen, und die neuerdings wieder als erste von ihnen Maßregeln zum Schutze der Kinderarbeit und zwar unter Zuziehung von Arbeitervertretern zum Gegenstand spezieller Berathungen machte,+ daß diese Regierung nicht schon längst die Kinderarbeit in der Hasenhaarschneiderei verboten hat.
Kaum minder gefährlich ist die Verwendung von Kindern in Stein- und Marmorbrüchen, in der Glasbläserei, der Zigarrenfabritation, den Ziegeleien u. s. w. Es giebt 22 668 Kinder in der Tabaksbearbeitung, 1848 Kinder, die offiziell" in Ziegeleien arbeiten( die wirkliche Zahl ist ja hier nie zu ermitteln), 2064 fleine Steinarbeiter und 2388 bedauernswerthe Glasbläser, deren Augenlicht vor der glühenden Lampe frühzeitig zu Grunde geht.
Anscheinend nicht so gefährdet, in Wirklichkeit aber noch viel schlimmer daran sind die Kinder, die in den Straßen und Wirthshäusern der Groß- und Kleinstädte ihr Brot suchen müssen. 135 830 Ausfahrer und Austräger unter 14 Jahren wurden gezählt. Eine englische Schriftstellerin, Mrs. Hall, hat in ergreifender Weise das armselige Leben des Londoner Zeitungsjungen, des„ Paperboy" geschildert. Dieser kleine Mann ist ein Held, von dem an Entsagung und Selbstüberwindung, an Umsicht und Energie in einer Woche mehr verlangt wird, als manch ein Schoßkind des Glückes im ganzen Leben aufbringt. Sein deutscher Bruder hat das gleiche Schicksal. 45 603 Kinder sind es, die Tag für Tag die Zeitungspäcke von Thür zu Thür schleppen müssen. Ihnen gesellen sich die 42 837 Kinder zu, die als Austräger von Backwaaren Dienste thun. Um 4, 5 und 6 Uhr früh geht's hinaus in Wind und Wetter. Zum Unterricht kommen die armen Kleinen dann müde und unlustig, durchfältet oder durch
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Agahd, a. a. D.