Nr. 7.

Die Gleichheit.

11. Jahrgang.

Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2978) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 27. März 1901,

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Juhalts- Verzeichniß.

-

Handelsverträge und Fraueninteressen. I. Die Fabritarbeit verheiratheter Arbeiterinnen in Preußen. Von D. Zinner- Winterthur  . II. Er­frankungsgefahr und Erkrankungshäufigkeit der Frankfurter   Fabrik­arbeiterinnen. Von a. br. Aus der Bewegung. Feuilleton: Bom Herrn, der eine Uhr fand. Von Georges Courteline  . Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Weibliche Fabrikinspektoren. -Gewerkschaftliche. Arbeiterinnenorganisation. Gesetzlicher Arbei­terinnenschutz. Sittlichkeitsfrage. Frauenbewegung.

Handelsverträge und Fraueninteressen.

I.

Handelsverträge gehören offenbar zu jenen+++ politischen" Fragen und Dingen, über welche nach der moderduftenden Ansicht des tannegießernden Spießbürgers und seiner Geistesverwandten Frauen nicht unterrichtet zu sein brauchen, ja nicht unterrichtet sein dürfen. Selbstverständlich nur im Interesse der lieben Frauen" selbst, die nicht ihres größten Reizes" verlustig gehen sollen: des ,, Ewig- Weiblichen", wie es die Leute verstehen, deren Denken so heute wie gestern in der Nachtmüße und mit dem Zopf im Nacken einherstolzirt. Du lieber Himmel, weshalb auch sollten sich die Frauen um Handelsverträge fümmern? Was haben denn die Handelsverträge mit den Aufgaben zu thun, welche die Natur wie die Moral und der Herrgott selbst dem Weibe im Hause ange­wiesen haben!" So oder ähnlich lautet das Sprüchlein, das der biedere Bekenner des weiblichen Nur- Aschenputtelthums ernst wie einen Glaubenssaß herunterleiert, wenn er die Aufforderung hört oder liest, die Frauen sollten der Frage der Handelsverträge welche im Zusammenhang mit der drohenden Erhöhung der Getreidezölle in dem Vordergrund des öffentlichen Interesses steht- ihre Aufmerksamkeit zuwenden.

Aber hat er denn Recht, der biedere Philister, mit seinem Sprüchlein? Befragen wir darüber die Thatsachen, die Verhält­nisse, in denen die Frauenwelt lebt. Laut und eindringlich an­worten sie: Nein und dreimal Nein! Die Handelsverträge müssen die Frauen kümmern, denn sie greifen in einschneidender Weise in ihr Erwerbsleben wie in ihr Familienleben ein. Die Handels­verträge üben mit einen ganz wesentlichen Einfluß darauf aus, wieviel die erwerbsthätige Frau verdient, unter welchen Umständen, Mühen und Sorgen sie verdient, ja ob sie überhaupt etwas ver­dient, und wie theuer sich ihre Lebenshaltung stellt. Die Handels­berträge üben mit einen ganz wesentlichen Einfluß darauf aus, wie sich das Einkommen und die Verhältnisse der Familie ge= stalten, unter welchen Bedingungen die Hausmutter ihren Auf­gaben im Heim nachgehen kann, ja ob sie überhaupt noch den­selben in erster Linie zu leben vermag.

Wie denn liegen die Verhältnisse, die das bedingen? Deutschland   hat sich zu einem Industriestaat entwickelt. Die Berufs- und Gewerbezählung erweist das klärlich. Der Schwer: punkt des deutschen Wirthschaftslebens ruht nicht mehr in der Landwirthschaft, er ruht in der Juduſtrie, in Handel und Ver­kehr, von denen die Mehrzahl der Reichsbewohner lebt. Deutsch­ land   muß einen ansehnlichen Theil des nöthigen Brotgetreides und anderer landwirthschaftlicher Erzeugnisse aus dem Auslande ein­führen, weil die einheimische Landwirthschaft außer Stande ist,

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Stuttgart  , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

den Bedarf zu decken. Für wichtige, heutzutage unentbehrliche Bedarfsartikel des Haushalts- Kaffee, Reis, Gewürze, Petro­leum 2c. ist es ebenfalls auf die Einfuhr aus anderen Staaten angewiesen. Das Gleiche gilt von vielen Rohstoffen und Halb­fabrifaten, welche die deutsche Industrie verarbeitet, so von Baum­wolle, Seide, Tabak 2c. 2c. Ohne die Einfuhr von Baumwolle müßte z. B. die so hochbedeutende deutsche Textilindustrie zusammen­brechen, welche Hunderttausende von Menschen ernährt. Aber nicht nur für viele zu verarbeitende Rohstoffe ist die deutsche Industrie bom Auslande abhängig. Sie ist auch für den Absatz ihrer Waaren in immer größerem Maße auf dasselbe angewiesen. Mit der Größe und Blüthe mancher Industrien wäre es vorbei, wenn sie ihre Waaren nicht mehr in anderen Ländern abseßen könnten. Wie sähe es z. B. in der deutschen Textilindustrie, Trifotwaaren-, Spizen- und Tüllfabrikation aus, wenn sie nicht mehr für den amerikanischen   Markt liefern könnten? Wie in der Spielwaaren-, der Schwarzwälder Uhrenindustrie, der Musikinstrumentenfabrikation, wenn die Kundschaft in Rußland  , Amerika   2c. verloren ginge? Kurz, als Konsumenten( Verbraucher) wie als Produzenten( Er­zeuger) von Waaren, als Käufer und Verkäufer sind die Deutschen  auf das Ausland angewiesen, sind sie dem internationalen Wirth­schaftsleben fest eingegliedert.

Die Handelsbeziehungen, welche zwischen Deutschland   und anderen Staaten bestehen, sind in der Folge von großem Einfluß sowohl auf die Kosten der Lebenshaltung der Bevölkerung, wie auf die Höhe ihres Einkommens und die mehr oder minder schwie­rigen Umstände, unter denen dieses erworben wird. Da die Frauen troß ihrer politischen Rechtlosigkeit doch sozusagen auch Deutsche  sind, deren Eristenz die Einwirkung aller wirthschaftlichen Zustände im Lande erfährt, so kann angesichts der kurz gekennzeichneten Sachlage nur der scheuklappenbewehrte Spießbürger behaupten, daß die Handelsbeziehungen das weibliche Geschlecht nicht fümmern.

"

Der gute Mann mag in der rosigen Stimmung seines Braut­standes die Frau noch so überschwänglich als Engel seines Lebens" feiern er tommt nicht um die harte Thatsache herum, und die Leere seines Portemonnaies erinnert ihn nicht selten daran daß dieser Engel" sehr irdische Bedürfnisse hat. Er kann sich nicht von Nektar und Ambrosia oder himmlischem Manna nähren, ja er wird bekanntlich auch von der Liebe nicht satt; es wachsen ihm nicht, der Lilie auf dem Felde gleich, die Kleider in salomonischer Herrlichkeit. Je nachdem sich den Handelsbeziehungen mit dem Auslande entsprechend die Kosten der Lebenshaltung überhaupt höher oder niedriger stellen, muß auch die Frau mehr oder weniger für ihren Unterhalt ausgeben, mag sie nun durch berufliche Er­werbsthätigkeit dafür aufkommen oder durch hauswirthschaftliches, mütterliches Wirken im Heim.

"

Und mag der scheuflappenbewehrte Spießbürger in der trink­seligen Stimmung des Sedans  - oder Schüßenfeftrummels noch so schwungvoll auf die heiligste Mission unserer deutschen Frauen" toasten, die Socken des Mannes zu stopfen und die Falten des Unmuths mit zarten Falten von seiner Stirn zu glätten: er kommt um eine andere harte Thatsache nicht herum, welche ihm breit vor die blöden Augen tritt. Nach der Berufs- und Gewerbezählung von 1895 waren von 26 361123 weiblichen Personen nicht weniger als 5 264393 erwerbsthätig, dazu wurden noch 1313957 weib­liche Dienende gezählt, die doch auch ihr eigenes Brot essen. Mit anderen Worten: rund ein Viertel der gesammten weiblichen Be­