Nr. 8.

Die Gleichheit

11. Jahrgang.

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2978) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 10. April 1901.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

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Inhalts- Verzeichniß.

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Handelsverträge und Fraueninteressen. II.- Jllustrationen zu der Heilig keit" des Familienlebens und zur Wohnungsnoth. Von Louise Zietz­Hamburg. Die industrielle Frauenarbeit in Württemberg   an der Wende des Jahrhunderts. Von a. br. Kulturbild aus Wesungen. Von K. D. Aus der Bewegung. Feuilleton: Katharina Bode+. Notizentheil von Lily Braun   und Klara Zetkin  : Frauenarbeit auf dem Ge­Arbeits­biete der Industrie, des Handels und Verkehrswesens. bedingungen der Arbeiterinnen. Arbeitsnachweise für Arbeiterinnen. Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. Genossenschaftsbeweg­ung. Sittlichkeitsfrage. Frauenstimmrecht. Frauenbewegung.

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Verschiedenes.

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Handelsverträge und Frauenintereffen.

II.

Zahllose unzerreißbare Fäden verknüpfen die Eristenz der Frau als Erwerbsthätige und als Familienmutter mit dem Wirthschafts­leben, den Handelsbeziehungen ihrer Nation und all der Länder, die dem internationalen Wirthschaftsgetriebe eingegliedert sind. In der einen und in der anderen Eigenschaft erfährt deshalb die Frau den Einfluß, den Handelsverträge auf ihr Wohl und Wehe und das ihrer Angehörigen ausüben. Das Warum dieses Einflusses wird uns klar, sobald wir die Frage beantworten: was denn be­zwecken Handelsverträge?

Die kapitalistische Entwicklung zwingt immer mehr Länder, Absatz für große Waarenmassen im Ausland zu suchen. Die dadurch erzeugte Konkurrenz der Staaten untereinander hat dazu geführt, daß fast nirgends mehr der Handel frei und unbeschränkt Er­zeugnisse von Land zu Land einführen kann. Nur England und Holland   halten noch am Freihandel fest. Die Handelsverträge be­stimmen nun die Bedingungen an Zöllen 2c., zu denen Waaren aus einem Staate in einem anderen Zugang finden. Sie beseitigen dort, wo kein Freihandel besteht, den Zustand einen Zustand des wirthschaftlichen Krieges zwischen zwei Nationen, den Zoll­trieg, daß ein Staat in jedem beliebigen Augenblick durch Zölle und Vorschriften aller Art den Zutritt der Waaren aus einem anderen Lande zu erschweren, ja unmöglich zu machen ver­mag. Der Handelsvertrag, den ein Staat abschließt, soll seinen Waaren überhaupt oder bestimmten Arten derselben den Zutritt zu den Märkten des Landes erleichtern, mit welchem der Vertrag ein­gegangen wird.

Allein in der besten und vernünftigsten der Welten, in der zu leben die Frau das Glück hat, muß alles erkauft werden, hat alles seinen Preis. Das gilt auch von den Erleichterungen, deren ein Land bedarf, um seine Waaren außerhalb seiner Grenzpfähle absetzen zu können. Sie müssen erkauft werden um den Preis von Erleichterungen, die der Waareneinfuhr des anderen vertrag­schließenden Staates zugebilligt werden. Im Allgemeinen werden Handelsverträge nach dem Grundsatz geschlossen: Wie du mir, so ich dir; ich gebe, damit du mir giebst. Will eine Nation erreichen, daß ihr ein Vertrag vortheilhafte Bedingungen für ihre Waaren­einfuhr in einem anderen Lande sichert, so muß sie- dafern nicht besondere Verhältnisse vorliegen vor Allem eins thun. Sie muß darauf verzichten, ihrerseits durch hohe Zölle und chika­nöse Vorschriften den Zutritt zu ihren eigenen Märkten für die

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Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara gettin( 8undel), Stuttgart  , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

Erzeugnisse dieses Landes unvortheilhaft zu gestalten, ja ihre Grenzen vielleicht gar so gut wie ganz für dieselben zu sperren. Was aber haben diese Verhältnisse mit den Interessen der Frauen zu thun?", wirft gewiß der ehrsame Philister ein, dem es eine Sünde wider des Weibes Natur und Pflicht" dünkt, daß Frauen sich um so ttt politische" Fragen wie Handelsverträge fümmern. Handelsverträge hin, Handelsverträge her, das Haus ist die Welt der Frau, und ihr kann es deshalb gleichgiltig sein, ob außerhalb dieser ihrer Welt die Staaten durch Zölle und Einfuhr­vorschriften aufeinander losschlagen."

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Gemach, gemach, liebes Spießbürgerlein, halte deine Ent­rüstung hübsch im Zaume. Erinnere dich der Thatsachen, der Ver­hältnisse, durch welche wir dir im ersten Artikel nachwiesen, daß und warum die Handelsbeziehungen ein sehr gewichtiges Wort mit­sprechen über die Einnahmen und Ausgaben der Frau, zumal der proletarischen Frau, mithin über die Beschaffenheit ihrer Lebens­haltung, über das Mehr oder Minder ihrer Sorgen und Plagen. Hoffentlich dämmert auch dir dann eine Ahnung davon auf, daß es weit tieferen, nachhaltigeren Einfluß auf das Leben der Frau ausübt, wenn draußen in der Welt die Staaten im Zollfrieg auf­einander losschlagen und in der Folge Handel und Industrie in der Heimath gelähmt dahin schleichen, als wenn die Suppe an­brennt oder der wilde Junge eine zerrissene Hose mit nach Hause bringt. Handelsverträge, welche den deutschen   Waaren gute, sichere Märkte im Ausland erschließen, welche bedingen, daß billiges Brot­getreide aus Desterreich, Rußland  , Amerika   2c. in das Deutsche Reich   eingeführt wird: sind weit wohlthätiger für die Existenz der Arbeiterin, der Hausmutter, als die Kenntniß eines neuen Koch­rezepts oder das Geschick, einen tadellosen Strumpf stricken zu können.

Viele Tausende deutscher Frauen, insbesondere aber deutscher Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen haben das im letzten Jahrzehnt am eigenen Leibe, in der eigenen Familie erfahren. Der Handels­vertrag zwischen Deutschland   und Rußland   wurde nur dadurch möglich, daß ersteres den Zollfaz auf den Doppelzentner aus­ländischen Roggen und Weizen von 5 Mt. auf 3,50 Mt. er= mäßigt und dadurch die Einfuhr russischen Getreides erleichtert hatte. Und in dem Handelsvertrag selbst bewilligte Rußland   für eine ganze Reihe wichtiger deutscher   Industrieerzeugnisse herabgesetzte Eingangszölle, so daß ihnen auf Jahre hinaus ein größeres Absatz­gebiet offen stand. Was aber bedeutete das für die Arbeiterin, die Arbeiterfrau? Es bedeutete für sie billigeres Brot, billigeres Mehl 2c. Es bedeutete für sie selbst oder für ihre Familien­angehörigen vermehrte und besser gelohnte Arbeitsgelegenheit. Die Arbeiterin, die für saure Wochen so niedrigen Lohn heimträgt, die proletarische Familienmutter, die mit geringem Wirthschaftsgeld haushalten muß, sie athmeten auf, als Dank der Herabsezung des Bolles auf Brotfrucht die Theuerungspreise für Brot 2c. sanken, die ihnen 1891 so manche heimliche Thräne erpreßt, so manchen Bissen vom Munde weggerissen hatten. Und in zahlreichen Arbeiter­familien, in dem Dachkämmerchen vieler Arbeiterinnen wich die drückendste Noth, als der Handelsvertrag mit Rußland   den Puls­schlag des industriellen Lebens befeuerte und der Arbeiterschaft dieses und jenes Gewerbes statt des unfreiwilligen Feierns Beschäftigung brachte, statt des unsicheren, schwankenden Verdienstes ein festes und reichlicheres Brot.

Wie die Verhältnisse in Deutschland   gestaltet sind, greifen Handelsverträge meist nach zwei Seiten hin günstig in das Leben