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des bei der Eheschließung angeschafften Hausraths in kurzer Zeit abzutragen. Dann werden die von uns keineswegs geleugneten, aber nicht zu verallgemeinernden Fälle angeführt, wo Mangel an Pflicht­gefühl des Mannes die Frau in die Fabrik treiben. Auch die Fälle mögen vorkommen, daß gesteigerte Ansprüche der Frau, Genuß- und Putzsucht sie in der Fabrik einen Erwerb suchen lassen. Die Ur­sachen werden aber kaum häufiger auftreten, wie längere Krankheit oder Siechthum des Mannes, theilweise oder völlige Erwerbsunfähigkeit desselben, vorübergehende materielle Nothlage in Folge von Unglücks­fällen und geschäftlichen Verlusten, welche alle die Gattinnen der Proletarier in die Fabriken treiben. In einer ziemlich bedeutenden Anzahl von Fällen, in welchen der Mann mit seinem Verdienste die Familie ernähren konnte, ist das Bestreben, einen Nothpfennig für spätere Zeiten zurückzulegen, ein eigenes Haus, Grundstück und An­deres mehr zu erwerben, als Triebfeder für die Fabrikbeschäftigung der Frau zu bezeichnen." Dies gilt für den kleinen Bruchtheil der finderlosen Familien, aber natürlich auch nur für einen Theil der­selben, bei den größeren Familien werden andere, weit weniger idyllische Gründe die Regel bilden, wenn die Frau sich zur Fabrik­arbeit entschließen muß.

In dem Bericht aus dem dritten Inspektionsbezirk haben wir Zahlen, die diese Auffassung stützen, waren in diesem Bezirk doch blos 16 Prozent der verheirateten Fabrikarbeiterinnen kinderlos, 84 Prozent Mütter und zwar von je drei Kindern; die höchste Kinder­zahl betrug acht. Als Gründe für die Fabrifarbeit haben im dritten Kreise angegeben: 65,7 Prozent unzulänglichen Verdienst des Mannes im Allgemeinen, 1,7 Prozent Vergrößerung der Familie, 4 Prozent Ausfall des Verdienstes, weil der Mann Saisonarbeiter ist, 6,9 Pro­zent Krankheit des Mannes, 4,5 Prozent Ableben des Mannes, 1,7 Prozent Unterstützung älterer oder franker Angehöriger, 1,7 Pro­zent hohe Wohnungsmiethe, 0,6 Prozent Rückgang der Vermögens­verhältnisse durch Unglücksfälle, dann 13,2 Prozent Ersparung eines Nothpfennigs, theils ungenügende Beschäftigung zu Hause; bei den letzten hätte der Verdienst des Mannes für den Unterhalt der Familie ausgereicht. Hieraus geht auch nach dem Gewerbeaufsichts­beamten dieses Kreises hervor, daß 86,8 Prozent der befragten Frauen auf die Fabrikarbeit absolut angewiesen sind. und nur 13,2 Prozent mehr oder weniger freiwillig in die Fabrit geben; diese Freiwilligkeit schlägt oft sehr rasch in absoluten 3wang um, sobald der Mann, sei es durch Krankheit oder sonstige Umstände, am Er­werb verhindert ist." Wie bitter dieser Zwang manchmal ist, zeigt dieser Berichterstatter an Beispielen, die wir des Raumes wegen hier nicht vorführen können. Neben der Fabrikarbeit wird noch mehrfach Heimarbeit geleistet, so daß mit Einschluß der Haus­haltungsgeschäfte Arbeitszeiten von 13 bis 14 Stunden herauskommen. In Bezug auf die Einkommensverhältnisse der Ehemänner ergab sich Folgendes: Unter den Männern, deren Frauen befragt wurden, wie sie ihr eigenes Haus haben könnte. Wenn Du das alles sorgsam vor ihr geheim hältst, dann wird sie nicht von Dir fort­gehen, Vater, und die Milch Deiner Kühe wird fett bleiben. Uns aber laß von dannen ziehen."

Der Vater, der ein fluger Mann war, antwortete seinen Söhnen:

Ihr glaubt also, Thugater werde das alles schließlich nicht selbst erfahren, ohne daß ich es sie lehre? Wird sie nicht sehen, wie eine Mücke über einen kleinen Baumzweig fliegt? Wird sie nicht bemerken, daß der gespannte Faden ihr Spinnrad treibt? Wird sie nicht beobachten, daß der Fisch, wenn er seine Beute verfolgt, sich in dem spißen Schilfrohr verbeißt? Und wird sie nicht im Maimonat im Klee das Lerchennest finden?"

Die Söhne dachten nach und antworteten:

" Das alles wird sie nicht flüger machen, Vater! Sie hat zu wenig Geist, um aus dem Wissen Wünsche zu ziehen. Wir hätten ja auch nichts erfahren, hättest Du es uns nicht gelehrt...."

O nein", unterbrach der Vater. Es fehlt Thugater nicht an Geist. Ich fürchte sehr, sie lernt das alles ganz allein, was Ihr nie ohne mich gelernt hättet. Ja, ja, Thugater ist verständig, sogar sehr verständig!"

Die Söhne überlegten von Neuem, diesmal länger und sprachen dann:

" Vater, sage ihr's, es schicke sich nicht für ein junges Mädchen, alles zu wissen, alles zu kennen, alles zu errathen."

Diesmal war der Vater zufrieden. Er ließ seine Söhne ziehen und behielt Thugater bei sich, die nach wie vor ihre Kühe melft.

waren fünf selbständige Handwerksmeister, vier Schuhmacher und ein Wagner mit einem vollständig unbestimmten und unzureichenden Einkommen. Zwischen den übrigen Männern bestehen je nach ihrem Berufe und der Stetigkeit des Einkommens ganz erhebliche Unter­schiede. Während z. B. Metallarbeiter, Schlosser, Gießer, überhaupt qualifizirte Arbeiter ein Jahreseinkommen von 800 bis 1100 Mt. und darüber haben, erreicht dasselbe bei manchen Taglöhnern, Textil­arbeitern, Gipsern und Maurern kaum 600 Mt. Bei 145 Männern, deren Einkommen durch Befragen ihrer Frauen ermittelt wurde, betrug das wenigste Einkommen 144 Mt.( Invalide), das höchste 1300 Mt.( Eisenbahnwärter), das Mittel aus 145 Angaben 759 Mt. ( demnach 2 Mt. 80 Pf. pro Tag). Das niedrigste Einkommen einer normal beschäftigten Frau betrug 234 Mt.( 3igarrenarbeiterin), das höchste 1240 Mt.( Zuschneiderin), das Mittel aus 175 Befragungen 411 Mt. Das Gesammteinkommen von Mann, Frau und eventuell mitverdienenden Kindern( 58 Fälle) ergab bei 19 Familien ein Jahres­einkommen von unter 500 Mt., bei 39 Familien von über 500 bis 1000 Mt., bei 83 Familien von über 1000 bis 1500 Mt., bei 24 Fami­lien von 1500 bis 2000 Mt. und blos bei 5 Familien von über 2000 Mt.

Der Eintritt in die Fabrik erfolgt in fast% aller hier be­obachteten Fälle vor der Verheirathung, in fast 1/22 derselben bei der Verheirathung, meist um die auf Kredit angeschaffte Aussteuer zurück­zubezahlen; hin und wieder ist die Familie bei der Eheschließung 4 bis 5 Köpfe stark; um dem Hunger und dem Gerichtsvollzieher zu entgehen, muß die Frau in die Fabrit"; in fast/ der Fälle trat die Frau erst nach der Verheirathung und in knapp 1/12 derselben erst nach der Verwitwung in die Fabrik ein.

Die befragten Frauen waren durchschnittlich 14 Jahre 4 Monate in Fabriken thätig. Gleich nach der Schule, im Alter von 12 bis 14 Jahren, in vereinzelten Fällen sogar vom 9. oder 10. Jahre ab war fast ein Dritttheil der befragten Frauen( 31,4 Prozent) Fabrik­arbeiterinnen.

Aus all diesen Daten geht deutlich hervor, daß im engsten Zu­sammenhange mit unseren wirthschaftlichen Verhältnissen, mit den überaus traurigen Einkommensverhältnissen der Arbeiter überhaupt die Industriearbeit verheiratheter Frauen steht, daß es sich um eine Bekämpfung von Folgeerscheinungen und nicht um die der tieferen mit unserer Wirthschaftsordnung eng verknüpften Ursachen der Fabritarbeit verheiratheter Frauen bei den Bestrebungen der Zentrums­ partei und ihr gesinnungsverwandter Sozialpolitiker handelt. a. br.

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. Im Auftrag des Agitationskomites der Textilarbeiter für das Königreich Sachsen unternahm Genossin Ziez- Hamburg in der Zeit vom 7. bis 29. März eine Agitations­tour. Versammlungen fanden statt in Netschtau, Plauen , Mee­ rane , Auerbach , Falkenstein, Rotschau, Reichenbach , Leipzig , Eilenburg , Schönefeld , Mittweida , Frankenberg , Limbach , Lunzenau , Leisnig , Burgstädt , Lichtenstein, Baußen, Groß­ schönau , Kamenz und Großenhain . In Netschtau sind leider nur sehr wenige von den Tausenden der hier beschäftigten Textil­arbeiter organisirt. Auch die Agitation für die Organisation läßt fast alles zu wünschen übrig. So hatte man von vornherein ein winziges Lokal für die Versammlung genommen und dieselbe auch viel zu wenig bekannt gemacht. Trotzdem waren vornehmlich Frauen erschienen. 18 neue Mitglieder, darunter 15 Frauen, traten dem Verbande bei. In Meerane war trotz des schlechten Wetters der Besuch ein guter, es waren mehrere Aufnahmen zu verzeichnen. In Plauen , wo circa 17-18000 Textilarbeiter beschäftigt sind, steht denselben nicht ein einziger größerer Saal zur Verfügung. Frauen waren kaum ein Dutzend in der Versammlung anwesend. Und doch verwendet allein die Plauener Schiffchenstickerei 3500 Mädchen bei der Bedienung der Maschinen, dazu kommen die zahlreichen Weberinnen und Spinnerinnen, die sehr vielen Arbeiterinnen, die beim Steppen, Bleichen, Bügeln, Packen 2c. beschäftigt sind. Kurz hier ist ein weites Arbeitsfeld für die Agitation, die gewerkschaftliche Organisation. Leider fehlt es am Orte an den nöthigen Kräften für das stete, plan­mäßig betriebene Wirken unter den Arbeiterinnen. Die Versammlung in Auerbach war überfüllt. Von den Stickern in Plauen waren einige mit hinübergekommen, um ihre Kollegen dem Verbande zuzu­führen. 27 neue Mitglieder wurden diesem gewonnen. In Falken­stein fand nur eine Mitgliederversammlung statt, weil kein größerer Saal zu haben war. Auch sie beschäftigte sich mit der Frage, wie am besten die Agitation unter den Stickern und Stickermädchen, be­sonders auch in den umliegenden Orten, betrieben werden könne. Glänzend besucht war die Versammlung in Rotschau, welche dem