Auffassung begründet, daß der Verein ein politischer sei. Auf welche Thatsachen sich diese Auffassung in dem vorliegenden Falle stützt, darüber fehlen uns jede Anhaltspunkte. Wie uns mitgetheilt wurde, liegt die Vermuthung nahe, daß staatsretterischer Eifer das Auf­fassungs- und Deutungsvermögen der Kieler   Polizeibehörden zu den höchsten Leistungen beflügelt. Die Gewerkschaften der Stadt sollen nämlich wiederholt aufgefordert worden sein, ihre weiblichen Mit­glieder auszuschließen. Dieses freundliche Winken, das nur den Fehler hat, gegen§ 152 der Gewerbeordnung zu verstoßen, wird in Zu­sammenhang mit der erfolgten Schließung des Bildungsvereins gebracht. An zuständiger Stelle" erachtet man aufgeklärte und organisirte Proletarierinnen als staatsgefährlich", und deshalb wird. wieder einmal der gnadenreiche§ 8 des preußischen Vereinsrechts angerufen. Allerdings wird von manchen Seiten die Rechtsgiltigkeit dieses Paragraphen entschieden bestritten. Das preußische Vereins­gesetz beruht auf der Nothverordnung vom 29. Juni 1849. In dieser Nothverordnung, deren gesetzliche Genehmigung nachgesucht wurde, war das Verbot nicht vorhanden, welches Frauen die Zugehörigkeit zu politischen Vereinen und die Beschäftigung mit politischen Ange­legenheiten in Vereinsversammlungen untersagt. Dieses Verbot kam erst durch einen Antrag des Abgeordneten Ulrichs in das Gesetz und wurde am 18. Februar 1849 von der zweiten Kammer angenommen. Das Verbot schließt eine Aenderung der Artikel 29 und 30 der preußischen Verfassung in sich, die am 2. Februar publizirt wurde. Nach Artikel 107 dieser Verfassung war deshalb zur Giltigkeit des Verbots eine zweimalige Zustimmung der Kammer mit 21tägiger Zwischenzeit zwischen der ersten und zweiten Abstimmung erforder­lich. Eine zweite Abstimmung hat nicht stattgefunden. Die Gerichte müßten der obenstehenden Auffassung entsprechend zuerst darüber be­finden, ob das Verbot des§ 8 zurecht besteht oder nicht. Jedenfalls müßte diese Frage einmal grundsätzlich bis zu den höchsten Instanzen durchgefochten werden.

Notizentheil.

( Von Lily Braun   und Klara Betkin.)

Weibliche Fabrikinspektoren.

Die Zuziehung von Arbeiterinnen und Arbeitern als Assistenten der Gewerbeinspektion in Württemberg hat die sozialdemokratische Fraftion des württembergischen Landtags be­antragt. Der von ihr eingebrachte Antrag fordert eine bessere Or­ganisation und Ausgestaltung der Gewerbeaufsicht, der ein Ober­inspektor vorstehen soll, welcher direkt beim Ministerium des Innern ressortirt. Als Aufgabe des Oberinspektors ist vorgesehen, die Ein­heitlichkeit im Aufsichtsdienste zu fördern, die Erfahrungen der In­spektion zweckdienlich zu verwerthen und die Jahresberichte der vier Bezirksinspektoren in übersichtlicher, einheitlicher Bearbeitung zu ver­öffentlichen. Die Zahl der Assistenten der Gewerbeaufsicht soll unter Heranziehung von Arbeitern und Arbeiterinnen so vermehrt werden, daß alle revisionspflichtigen Betriebe in der Regel zweimal jährlich revidirt werden können.

Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation.

Die Organisation der Wiener   Buchbindereiarbeiterinnen macht Fortschritte, die auf einer am 17. März stattgefundenen Kon­ferenz festgestellt wurden. 60 Delegirte aus 40 Betrieben hatten sich eingefunden, um die Frage der Frauenarbeit in der Buchbinderei zu erörtern. Wir entnehmen dem Berichte der Wiener Arbeiterzeitung" das Folgende: 1889 famen auf 100 in der Buchbinderei beschäftigte Personen 67 männliche und 33 weibliche. 1898 famen bereits 57 Männer und 43 Frauen auf 100 Personen, und heute sind wir dem Punkte sehr nahe, an dem die weibliche Arbeiterschaft das Uebergewicht über die männliche erlangt. Im Jahre 1889 wurden in 283 Buchbindereien 476 Arbeiterinnen verwendet; im Jahre 1898 aber in 328 Betrieben 978 Arbeiterinnen.

Die durch das Ueberhandnehmen der Frauenarbeit immer noth­wendiger werdende Organisirung der Arbeiterinnen hat aber ebenfalls Fortschritte gemacht. Vor zehn Jahren zählte der Verein nur 10 weib­liche Mitglieder, während er im letzten Jahre mit 260 weiblichen Mit­gliedern abschloß.

Dem Situationsbericht folgten die Berichte aus den einzelnen Werkstätten. Mit großer Sachkenntniß und Präzision berichteten zahl­reiche Genossinnen über die Zustände in ihren Werkstätten, sowie über die Organisationsverhältnisse, und durchwegs ergab es sich, daß die Verhältnisse in jenen Betrieben, in denen die Arbeiter­schaft vorwiegend oder durchwegs organisirt ist, weit günstigere sind, als in denen mit unorganisirten Leuten.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Bundel) in Stuttgart  .

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Aus der Staatsdruckerei wurde berichtet, daß dort der Zu­gehörigkeit der Arbeiterinnen zu der Organisation die größten Schwierig­feiten bereitet werden und daß die Zustände dementsprechend schlechte sind. Die Vertheilung der Affordarbeit giebt Gelegenheit zu den größten Ungerechtigkeiten. Die gutgearteten", d. h. christlich- sozialen Arbeiterinnen bekommen leichte und lohnende Arbeit, diejenigen aber, die irgend verdächtig sind, für die Interessen ihrer Kolleginnen ein­treten zu wollen, müssen sich bei unangenehmer und schlechtentlohnter Arbeit abplagen. Ein fester Wochenlohn wäre für die Arbeiterinnen dringend anzustreben. Die Luft in der Buchbindereiabtheilung, be­sonders in der Leimerei, ist direkt gesundheitsschädlich, und gerade in diesem Raume wird sehr oft die Mittagsstunde durchgearbeitet, damit der Leim nicht kalt wird.

Der Konferenz wohnten viele Arbeiterinnen als Gäste bei. Ueber die Nothwendigkeit der Organisation sprach Genossin Schlesinger, über die Presse Genossin Kraja.

Soziale Gesetzgebung.

a. br.

Die Schaffung von vier Arbeiterkammern mit einer Zentralstelle für Arbeiterangelegenheiten hat die sozialdemo fratische Fraktion des württembergischen Landtags beantragt. Aufgabe der Arbeiterkammern soll sein: Wahrnehmung der wirth­schaftlichen Interessen der Arbeiter, insbesondere durch Sammeln und Verarbeiten von Material über die Arbeits- und Existenzbedingungen der Arbeiter, Stellung von Anträgen zur Hebung der Lage der Arbeiter, Begutachtung diesbezüglicher Regierungsvorschläge, Unterstützung der staatlichen Gewerbeaufsicht. Die Zentralstelle für Arbeiterangelegen­heiten soll eine selbständige Kollegialbehörde bilden, der hauptsächlich Folgendes obliegt: einheitliche Bearbeitung und Veröffentlichung des von den Arbeiterkammern erhobenen Materials, Betrauung der Arbeiterkammern mit Erhebungen 2c., Berathung der Gewerbeinspek­toren. Die Arbeiterkammern sollen bestehen aus dem Gewerbeinspektor des Kreises als Vorsitzenden, einem von der Regierung zu bestellenden Sekretär und etwa 18 Arbeitervertretern, die durch direkte Verhältniß­wahl gewonnen werden. Wahlberechtigt sind die als Gewerbegehilfen thätigen Mitglieder der im Lande bestehenden gewerkschaftlichen Be­rufsvereinigungen. Der Antrag schließt mithin in sich, daß auch den gewerkschaftlich organisirten Arbeiterinnen das Wahlrecht zu den Arbeiterkammern zufallen soll. Die Arbeiterkammern tönnen Aerzte, Techniker zc. als Sachverständige zuziehen. Die Zentral­stelle für Arbeiterangelegenheiten soll bestehen aus dem Obergewerbe­inspektor als Vorsitzenden, zwei von der Regierung zu bestellenden Sekretären und etwa 15 von den Arbeiterkammern zu wählenden Beiräthen.

Die Freigabe des Sonnabend Nachmittag von 4 Uhr ab für Fabritarbeiterinnen wurde vom schweizerischen National­rath mit 55 gegen 42 Stimmen abgelehnt. Die Reform, welche so dringend nöthig ist und den Arbeiterinnen die Sonntagsruhe erst thatsächlich sichert, scheiterte an der Haltung der meisten bürgerlichen Radikalen. Die Rücksicht auf die kapitalistischen   Geldsacksinteressen triumphirte über die oft besungene soziale Einsicht" und das viel­gerühmte gute Herz" der bürgerlichen Demokraten. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!

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Frauenbewegung.

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Zu einer periodischen internationalen Friedenskundgebung der Frauen fordert die Münchener Frauenrechtlerin Frau Selenta auf. Dieselbe soll alljährlich am 18. Mai stattfinden, dem Jahres­tage der Haager Friedenskonferenz farnevalesfen Angedenkens, die nach Frau Selentas frommen Wähnen unendlich werthvolle Resul­tate" geschaffen hat. Die Friedensliebe der Frauenrechtlerinnen die sich seinerzeit zum größten Theil für die Flottenvorlage begeisterten- und der Werth der harmlosen Aktionen bürgerlicher Friedensapostel welche das Militärbudget bewilligen in allen Ehren, aber der obige Satz, die Anlehnung der Friedenskundgebung an die pomphafte Komödie im Haag muthet doch wie ein ungeheuerlicher verspäteter Aprilscherz an. Die friedensbegeisterten Damen scheinen auf dem Monde und nicht in dieser Welt zu leben. Wie werden die unend­lich werthvollen Resultate" des Haager Humbugs doch so sinnig und minnig illustrirt durch die beiden wahnwißigen, fulturschändenden Kriege, die ihm auf dem Fuße gefolgt sind: den Transvaalkrieg zur Unterwerfung der Buren und den Hunnenfeldzug der europäischen ,, Beter und Krieger" nach China  . Angesichts der Ereignisse ist es gelinde gesagt eine Kinderei und Geschmacklosigkeit ohnegleichen, eine Friedenskundgebung mit dem höfischen Klimbim im Haag in Zusammen­hang zu bringen, der nur den Zweck verfolgte, die friedenssehn­süchtigen Völker zu nasführen.

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Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b.H.) in Stuttgart  .