Nr. 13.

Die Gleichheit.

11. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2978) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 19. Juni 1901.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichniß.

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Die Wirthschaftsgenossenschaft. I. Von Klara Zetkin  . Die Thätigkeit der Assistentinnen der bayerischen Fabrikinspektion und die Arbeitsverhältnisse der bayerischen Fabrikarbeiterinnen im Jahre 1900. Von D. Z.­Französische   Arbeiterinnen im 13., 15. und 16. Jahrhundert. Von a. br. Aus der Bewegung. Feuilleton: Die Erdbeeren. Von Emile Zola  . Notizentheil: Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation. Gesundheits­schädliche Folgen gewerblicher Frauenarbeit. Sozialistische Frauen­bewegung im Ausland. Frauenbewegung. Frauenstimmrecht.

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Die Wirthschaftsgenossenschaft.

I.

Wer die vielfältige Arbeitsbürde kennt, unter der die berufs= thätige Frau, zumal aber die Proletarierin seufzt, der muß zu­geben, daß ihre Entlastung von hauswirthschaftlichen Geschäften ein Ziel ist, aufs Innigste zu wünschen. Die kapitalistische Ord­nung entwürdigt die proletarische Berufsthätige zur Lohnsklavin, sie macht ihre Thätigkeit zur härtesten Brotfrohn, die Zeit und Kraft der Persönlichkeit so gut wie vollständig aufsaugt. Die Familie stellt heute an die Gattin, die Mutter höhere, vielseitigere, weitfassendere geistige und sittliche Verpflichtungen als früher. Und immer zahlreicher und wichtiger werden die Aufgaben, welche der Proletarierin das ureigene Interesse im öffentlichen Leben, in der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung stellt. Es fügt sich die Arbeitsnacht in der dürftigen Häuslichkeit zum Arbeitstag in der Fabrik, das Sonntagsschaffen daheim zur Werfeltagsfrohn draußen. Es schwindet binnen wenigen Jahren Jugendfrische und Gesundheit, die Lebenskraft bricht vorzeitig zusammen. Und das Fazit davon? Der kapitalistische Ausbeuter allein vermag sich dank seiner wirthschaftlichen Macht sein Recht" auf die Leistungen der Arbeiterin in vollem, ja in übermäßigem und gemeingefährlichem Umfange zu sichern. Die Pflichten derselben gegen sich selbst, gegen Mann, Kinder und Klassengenossen leiden dagegen Noth. Tiestraurige, ja himmelschreiende Thatsachen bezeugen das.

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Gewiß eignet der wirthschaftlichen Entwicklung die Tendenz, die wirthschaftliche Thätigkeitssphäre des Einzelhaushalts immer enger zu begrenzen, ja ihn als Wirthschaftsganzes aufzugeben. Sie hat ihm bereits die wichtigsten der früheren hauswirthschaftlichen Arbeiten entwunden und sie dem Handwerk, der Industrie zuge­wiesen. Und dank des Fortschritts der Produktionstechnik und Produktionsverfahren ist die Möglichkeit vorhanden, seine wirth­schaftlichen Aufgaben auf ein winziges Mindestmaß zu beschränken. Aber die Umwandlung der einschlägigen Verhältnisse tommt gerade Der am wenigsten zu Gute, die am dringlichsten der Erleichterung ihrer Arbeitslast bedürfte: der Proletarierin. Die Kärglichkeit des Einkommens der proletarischen Familie schließt es aus, daß diese ihrem Haushalt all die Maschinen und Einrichtungen nutzbar macht, welche die Arbeit ersparen, vereinfachen oder außerhalb der vier Pfähle verlegen.

Will man das L008 der Proletarierin bessern, soweit dies innerhalb der kapitalistischen   Gesellschaft möglich ist, so ist deshalb nicht ausreichend, sie blos als Berufsthätige durch Arbeiterinnen­schutz und gewerkschaftliche Organisation gegen die kapitalistische Ausbeutung zu schüßen. Es muß vielmehr gelten, sie auch als Hausmutter zu entlasten, ihr die wirthschaftlichen Arbeiten abzu­nehmen, welche ohne materiellen Schaden und mit großem inneren

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Frau Klara Zetkin  ( 8undel), Stuttgart  , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

Gewinn für die Familie vom Einzelhaushalt losgelöst werden Tönnen. Was in dieser Richtung die Gemeinde thun kann und thun sollte, haben wir seinerzeit furz erörtert.( Siehe Nr. 2 und 3 der Gleichheit":" Nothwendige Ergänzung".)

Entlastung der berufsthätigen Frau von den wirthschaftlichen Verrichtungen des Einzelhaushalts, das ist das Ziel, welches Ge­noffin Braun auf einem anderen Wege anstrebt, dem der genossen­schaftlichen Selbsthilfe des Proletariats. Verdrängung des Einzel­haue halts durch die Wirthschaftsgenossenschaft einer größeren An­zahl von Familien: in diesem Vorschlag gipfelt ihre Broschüre " Frauenarbeit und Hauswirthschaft", die ebenso wirksam, zum Theile meisterlich geschrieben, als reich an trefflichen Einzel­heiten ist. Genossin Brauns Vorschlag tritt uns als Schlußergebniß eines zweifachen Nachweises entgegen. Die ersten Abschnitte ihres Schriftchens legen dar, daß sowohl die Entwicklung der Haus­wirthschaft wie die Berufsthätigkeit der Frau zur Beseitigung des Einzelhaushalts, zur Organisation der Wirthschaftsgenossenschaft drängt.

Hören wir, wie sich Genossin Braun das äußere Bild eines genossenschaftlichen Haushalts vorstellt: In einem Häuserkompler, das einen großen, hübsch bepflanzten Garten umschließt, befinden sich etwa 50 bis 60 Wohnungen, von denen keine eine Küche enthält; nur in einem kleinen Raume befindet sich ein Gaskocher, der für Krankheitszwecke oder zur Wartung kleiner Kinder benutt werden kann. An Stelle der 50 bis 60 Küchen, in denen eine gleiche Zahl von Frauen zu wirthschaften pflegt, tritt eine im Erd­geschoß befindliche Zentralfüche, die mit allen modernen, arbeit­sparenden Maschinen ausgestattet ist. Giebt es doch schon Abwasch­maschinen, die in drei Minuten 20 Dußend Teller und Schüsseln reinigen und abtrocknen! Vorrathsraum und Waschküche, die gleich­falls selbstthätige Waschmaschinen enthält, liegen in der Nähe; ebenso ein großer Eßsaal, der zu gleicher Zeit Versammlungsraum und tagsüber Spielzimmer der Kinder sein kann. Ein kleineres Lesezimmer schließt sich ihm an. Die ganze Hauswirthschaft steht unter einer erfahrenen Wirthschafterin, deren Beruf die Haushaltung ist; ein oder zwei Küchenmädchen stehen unter ihrer Aufsicht. Die Wohnungen dieser Haushaltungsbeamten sind im selben Stock wie die Wirthschaftsräume, sie umfassen auch noch das Zimmer der Kinderwärterin, die ebenso wie die Anderen von allen Bewohnern gemeinsam angestellt ist. Die Mahlzeiten werden je nach Wunsch und Neigung im gemeinsamen Eßsaal eingenommen oder durch besondere Speiseaufzüge in alle Stockwerke befördert. Die Er­wärmung der Wohnungen erfolgt durch Zentralheizung, so daß auch hier 50 Oefen durch einen ersetzt werden. Während der Arbeitszeit der Mütter spielen die Kinder, sei es im Saal, sei es im Garten, wo Turngeräthe und Sandhaufen allen Alters: klassen Beschäftigung bieten, unter Aufsicht der Wärterin. Abends, wenn die Mutter sie schlafen gelegt hat und die Eltern mit Freun den plaudern oder lesen wollen, gehen sie hinunter in die gemein­samen Räume, wo sie sich die Unterhaltung nicht durch Alkohol­genuß zu erkaufen brauchen, wenn sie kein Bedürfniß danach haben."

Genossin Braun betont, daß der stizzirte Plán sich nach den verschiedensten Richtungen verändern läßt. Er kann vereinfacht

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" Frauenarbeit und Hauswirthschaft", von Lily Braun  . Berlin  , Verlag der Buchhandlung Vorwärts. Agitationsausgabe 20 Pf.