Nr. 14.
Die Gleichheit.
11. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2978) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch den 3. Juli 1901.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe geftattet.
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Juhalts- Verzeichnik.
Die Wirthschaftsgenossenschaft. II. Von Klara Zetkin. - Die Bewegung unter den Plätterinnen und Bleichereiarbeitern in Hamburg . Von Louise Zietz . Die Thätigkeit der Assistentinnen der bayerischen Fabrik inspektion und die Arbeitsverhältnisse der bayerischen Fabrikarbeiterinnen im Jahre 1900. Von D. Z.( Schluß.) Aus der Bewegung. Feuilleton: Hoffnung. Von H. Radtke. Empörung. Von E. L.( Gedichte.) Notizentheil: Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Soziale Gesetzgebung. Gesundheitsschädliche Folgen gewerblicher Frauenarbeit. Sittlichkeitsfrage. Frauenbewegung. Preisausschreiben.
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Die Wirthschaftsgenossenschaft.
II.
Nicht unter dem Gesichtswinkel der wirthschaftlichen Vortheile der Wirthschaftsgenossenschaft gegenüber dem Einzelhaushalt, ihrer segensreichen Folgen für die Frau, die Familie, die Gesammtheit haben wir für unsere Zwecke Genossin Brauns Befürwortung der Gründung von Wirthschaftsgenossenschaften zu prüfen. Vielmehr unter dem anderen: sind die Gristenzbedingungen des Proletariats derartige, daß breitere proletarische Schichten durch Gründung von Wirthschaftsgenossenschaften ihre Lage in der heutigen Gesellschaft wesentlich verbessern können? Um was es sich handelt ist nicht die wohlbegründete theoretische Rechtfertigung der Wirthschaftsgenossenschaft. Dagegen ist es der Nachweis für ihre praktische Durchführungsmöglichkeit seitens größerer Kreise der Arbeiterklasse.
Bezeichnender Weise schildert Genossin Braun ziemlich eingehend und sehr anziehend die vielseitigen Segnungen der Wirthschaftsgenossenschaft für das Proletariat. Mit wenigen belanglosen Sägen findet sie sich jedoch mit dem Nachweis für die wichtigsten praktischen Vorbedingungen der von ihr empfohlenen Neuerung ab.
Soll eine Wirthschaftsgenossenschaft sein und leisten, was Genoffin Braun von ihr erwartet, so hat sie vor Allem eine praktische Voraussetzung: ein festes, sicheres, regelmäßiges Einkommen der Genossenschafter von einer Höhe, die ein menschenwürdiges Dasein der Familie ermöglicht. Nur ein solches Einkommen ver bürgt die Mittel, welche für Errichtung und Unterhalt der Wirthschaftsgenossenschaft erforderlich sind. Genossin Braun mußte deshalb vor Allem darthun, daß wenigstens recht umfangreiche Schichten der etwas besser gestellten Arbeiter" über dieses Einkommen ver fügen. Was thut sie statt dessen? Sie segt an Stelle der Frage nach den erforderlichen materiellen Mitteln für die Existenz der Wirthschaftsgenossenschaft die nach den Gebäuden, in denen die Wirthschaftsgenossenschaft eingerichtet werden kann. Erstere dünkte ihr die geringste Schwierigkeit", leztere die größere.
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Augenscheinlich gilt hier das Wort: umgekehrt wird ein Schuh daraus! Wenn erst sehr zahlreichen Arbeiterfamilien die materiellen Mittel für die Errichtung von Wirthschaftsgenossenschaften eignen, so wird es die geringste Schwierigkeit" machen, die zweckentsprechende Erstellung oder Umgestaltung von Gebäuden durchzusetzen. Genossin Braun verbreitet sich jedoch ihrer Auffassung entsprechend in Anlehnung an die Kampffmeyersche Broschüre* verhältnißmäßig recht ausführlich über die Baugenossenschaften, welche eventuell zweckmäßige Gebäude für die Wirthschaftsgenossenschaft errichten sollen. Hingegen thut sie die Frage nach den materiellen Mitteln * ,, Die Baugenossenschaften im Rahmen eines nationalen Wohnungsreformplans."
Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( Bundel), Stuttgart , BlumenStraße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
elegant- lässig aus dem Handgelenk mit der obigen Erklärung von der geringsten Schwierigkeit" ab, sowie mit einem kurzen Absaß, welcher nachweist, daß die Kosten für Besoldung und Unterhalt des Wirthschaftspersonals für die einzelne Familie in der Genossenschaft unbedeutend sind und durch die Ersparnisse des Großbetriebs leicht gedeckt werden. Das wird ihr Niemand bestreiten, am wenigsten im Hinblick auf die offenbar von ihr ins Auge gefaßte Idealarbeiterfamilie, welche für Nahrung allein pro Tag und Person 1,40 Mt. verausgaben kann! Aber die Antwort läßt den Kernpunkt des Problems unberührt. Die Kosten des Wirthschaftspersonals sind doch nur eine verhältnißmäßig unwesentliche Einzelheit aus dem Gesammtbudget der Wirthschaftsgenossenschaft. Eine befriedigend klingende Antwort auf die Frage: können sie von proletarischen Genossenschaftern gedeckt werden? ist deshalb durchaus nicht gleichbedeutend mit dem Nachweis, daß die Existenz- und Ginkommensbedingungen der Durchschnittsarbeiterfamilie die Gründung und das Funktioniren der Wirthschaftsgenossenschaft überHaupt ermöglichen.
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Die Wirthschaftsgenossenschaft bedarf eines Gründungskapitals für Anschaffung bezw. Erstellung arbeits-, zeit- und kraftsparender Maschinen und Einrichtungen, für Ankauf der Kochgeschirre 2c. 2c. Sie bedarf eines Betriebskapitals für den Einkauf im Großen, zur vortheilhaftesten Zeit, an der besten Quelle 2c. Die Wirthschaftsgenossenschaft, wie Genossin Braun sie plant, soll ihren Gliedern eine gesunde, schmackhafte Kost bieten. Die vorgesehene Anstellung einer erfahrenen, geschulten Wirthschafterin, deren Beruf die Haushaltung ist", und die den„ Dilettantismus aus der Küche" vertreibt, wandelte sich aus einem Vorzug in eine Narrethei, würde ihr durch die beschränkten Mittel der Genossenschaft die Aufgabe zugewiesen, nach den berüchtigten Rezepten des von Herrn Hize gesegneten Wegweisers zum häuslichen Glück" aus Knochen, Gemüseabfällen und Kartoffeln Kraftmahlzeiten" herzustellen und mit Hering und Pferdeleber als den wichtigsten Fleischgerichten" zu rechnen.
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Aber die rationelle, schmackhafte Kost muß entsprechend gezahlt werden. Gewiß, daß der Großbetrieb der Wirthschaftsgenossenschaft sich auch in dieser Hinsicht als vortheilhaft, als verbilligend erweist. Immerhin bleiben die erforderlichen Aufwendungen für die Beföstigung der Genossenschafter ansehnlich genug. Genoffin Braun veranschlagt sie pro Tag und erwachsene Person allem Anschein nach mit 1,40 Mt. Sie berechnet wenigstens die Ausgaben für Verköstigung des Wirthschaftspersonals nach diesem Saze, und es ist doch sicherlich ausgeschlossen, daß die Ernährung der Genossenschafter weniger gut und billiger als die der Angestellten sein wird. Kurz, die Anforderungen, welche eine gut eingerichtete und funktio= nirende Wirthschaftsgenossenschaft an die materielle Leistungsfähigkeit ihrer Glieder stellt, sind- an dem durchschnittlichen proletarischen Einkommen gemessen durchaus nicht gering.
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Sind ihnen die Kräfte größerer proletarischer Schichten gewachsen? Die Thatsachen antworten mit einem entschiebenen: Nein! Massen mit unterdurchschnittlichem Einkommen unerreichbar ist, versteht sich von vornherein am Rande und wird auch von Genossin Braun ausdrücklich anerkannt. Aber auch die übergroße Mehrzahl der etwas besser gestellten Arbeiter" erfreut sich keineswegs solcher Erwerbsverhältnisse, daß sie im Stande wäre, Genossin Brauns Vorschlag zu verwirklichen.
Daß die Wirthschaftsgenossenschaft den sehr ausgedehnten
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