beredte Sprache. Sie erheben eine um so wuchtigere Anklage gegen die kapitalistische Ausbeutung, die in den Barnekower Zündhölzchen­fabriken wahre Triumphe feiert, als die Arbeit daselbst äußerst ge­sundheitsgefährlich ist. Arbeiter und Arbeiterinnen sind durch ihre Hantirungen Phosphorvergiftungen ausgesetzt und leiden sehr oft an zerfressenen Zähnen, Kiefern 2c. Im höchsten Grade muß es bei der bekannten gesundheitsgefährlichen Natur der Zündhölzchenfabriken befremden, daß seitens der Arbeiterschaft von Zarnekow nachdrücklich über ungenügende Fabrikinspektion geklagt wird. In dieser Beziehung wie betreffs der erbärmlichen Entlohnung Wandel zu schaffen, wird die Organisation mit allem Eifer erstreben.

W. K.

Ueber das Schlemmerdasein" schlesischer Landarbeite­rinnen und Landarbeiter wurden uns aus deren Kreisen folgende Mittheilungen gemacht. Eine Witwe, die 3 Kinder ernähren muß, verdient pro Tag 80 Pf. Die Frau ist gezwungen, um 3 Uhr früh aufzustehen, um vor ihrem Fortgehen zur Arbeit etwas Essen zu be­reiten und die Kinder zu versorgen. Darauf arbeitet sie bis Abends auf dem Gutshofe. In der Zeit, in der das Getreide gedroschen wird, erhält sie für eine Arbeitszeit von 6 Uhr früh bis 7 Uhr Abends 1 Mr. Taglohn. Schon 3 Wochen nach der Niederkunft nehmen die Frauen die schwere Landarbeit regelmäßig wieder auf, die kleinen Kinder mit sich schleppend. Die Säuglinge stillen sie selbst, weil Milch zu kaufen eine zu große Ausgabe wäre.- Ein 73 Jahre alter Hofarbeiter, der im Monat 10,80 Mt. Invalidenrente erhält, muß, da diese geringe Summe für seinen Unterhalt nicht ausreicht, zusammen mit seiner 70jährigen Frau auf dem Gute schaffen, so viel und so lange als die jungen Leute," sagte er. Dafür erhält der Mann im Hinblick auf seine Invalidenrente 50 Pf. pro Tag, die Frau 40 Pf., während die anderen Arbeiter und Arbeiterinnen mit dem Doppelten entlohnt werden. Die Invalidenrente kommt also nur dem Hofbesitzer zu Gute! E. J.

Soziale Gesetzgebung.

Gegen eine winzige Erweiterung des Schutzes der Ar­beiterinnen in den Zuckerfabriken rüsten die Herren Rübenbarone mit aller Macht. Der Bundesrath beabsichtigt den Erlaß einer Verordnung, daß vom 1. April 1902 an Arbeiterinnen und jugend liche Arbeiter nicht mehr zur Bedienung der Rübenschwemmen, der Rübenwäschen und der Fahrstühle, sowie zum Transport der Rüben­schnitzel in schwer fortzubewegenden Wagen beschäftigt werden sollen. Der Verein der deutschen Zuckerindustrie" hat auf seiner General­versammlung, die kürzlich tagte, gegen diese bescheidene sozialreform­lerische Anwandlung des Bundesraths mobil gemacht. Sein Vor­stand wird bei der Regierung für Beibehaltung des jetzigen Zustandes vorstellig werden. Erklärlich genug. Die Zuckerindustriellen fühlen sich durch jeden gesetzlichen Schutz der weiblichen und jugendlichen Arbeiter in ihrem Allerheiligsten, dem Profit, bedroht! Unter den 75 000 Sachsengängern, welche jahraus jahrein aus Westpreußen  , Schlesien  , Pommern  , Posen und als glänzender Nachweis der waschecht patriotischen Gesinnung der Rübenjunker- aus Galizien  , aus Galizien  , Russischpolen und Rußland   in die Zuckerfabriken wandern, befinden sich etwa zwei Drittel erwachsene und jugendliche Arbeiterinnen und zahlreiche jugendliche Arbeiter. Daß diese billigen, willigen und widerstandsunfähigen Arbeitskräfte vom nächsten Jahre ab nicht mehr bei Beschäftigungen verwendet werden sollen, die nachgewiesener Maßen dem weiblichen und jugendlichen Organismus besonders schädlich sind, deucht den Rittern der Rübenschwemmen und Rüben­wäschen ein unzulässiges Verbrechen wider Gott Mammon, maskirt als, deutsche Zuckerindustrie". Durch seine frühere, geradezu sträf­liche Nachgiebigkeit gegen die Forderungen der Herren hat übrigens der Bundesrath deren neuerliches Ansinnen geradezu provozirt. Man denke: während das Verbot der Nachtarbeit für Arbeiterinnen im Allgemeinen für die Fabrikindustrie am 1. April 1892 in Kraft trat, erlangte es auf Verordnung des Bundesraths für die Zuckerfabriken volle sechs Jahre später Geltung, am 1. April 1898. Und das hatten mit ihren Petitionen die Rübenbarone zu Wege gebracht, obgleich die Nachtarbeit in den Zuckerfabriken viel ungesünder ist, als in manchen anderen Industrien. Die kühn gemachten Zuckerindustriellen heischten in der Folge 1898 vom Bundesrath, daß die Erlaubniß zur Nachtarbeit vorläufig noch auf mindestens fünf Jahre verlängert werde". Diese Zumuthung war aber sogar der bundesräthlichen Ver­ständnißinnigkeit für Kapitalistenwünsche zu toll. Sie wurde abge­lehnt. Wir rathen trotzdem auch dem hoffnungsseligsten Gläubigen an die Sozialreform von oben" nicht, seinen Kopf dafür zum Pfande zu setzen, daß der hohe Bundesrath in dem vorliegenden Falle der " Begehrlichkeit" der Zuckerindustriellen gegenüber die gleiche Festigkeit erweisen wird.

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Gesundheitsschädliche Folgen gewerblicher Frauenarbeit.

Krankheitshäufigkeit der Arbeiterinnen. Anläßlich der Enquete über die Fabrikarbeit verheiratheter Frauen bemerkt der Regierungs- und Medizinalrath für den Regierungsbezirk Potsdam  : ... Auch lassen die vorliegenden Statistiken keinen Zweifel, daß die gewerbliche Thätigkeit dem weiblichen Organismus schädlicher ist als dem männlichen, und daß besonders der jugendliche weibliche Dr­ganismus von den Schädlichkeiten der Fabritarbeit besonders betroffen wird." Daß dies aber nicht blos für die Fabrikarbeit, sondern auch für die Thätigkeit in der Hausindustrie und im Gastwirthsgewerbe gilt, hatten wir mehrfach hervorzuheben schon Gelegenheit. Jede Statistit einer Krankenkasse bestätigt diesen Satz; so ergiebt die Sta­tistik über die Thätigkeit der Aerzte, welche für den Ortskranken­tassenverband Stuttgart   thätig sind, daß auf 100 männliche Mitglie­der 135 und auf 100 weibliche 181 Erkrankungsfälle kamen. Die durchschnittliche Dauer der Unterstützungstage betrug bei den männ­lichen Mitgliedern 18,13, bei den weiblichen dagegen 21,90. Auf ein männliches Mitglied entfielen 9,2, auf ein weibliches aber 12,76 Unterstützungstage.

1900 war die durchschnittliche Dauer der Erkrankungsfälle mit Erwerbsunfähigkeit:

In der Drtskrankenkasse der Bierbrauer 2c. Konditoren 2c.

Bei den männlichen weiblichen

Mitgliedern

Mehr+, weniger den weiblichen

+1,76 Tage +2,53

- 0,32 +0,67

=

=

=

=

M

.

15,36 17,12

16,28

18,81

Schuhmachern 2c.

16,97

16,65

-

Schneidern 2c.

19,49

20,16

23,65*

4,16

Textilindustrie

15,69

19,56

+3,87

Friseure, Diener

15,88

22,90

Handlungsgehilfen 2c.

17,90

20,59*

**

+7,02 M +2,69

Papier, Holz- u. Metall­industrie Baugewerbe  .

.

17,10

20,57

+3,47

:

18,01

18,73

+0,72

M

=

bei

Es ergiebt sich somit, daß die durchschnittliche Dauer der Er­frankungsfälle mit Erwerbsunfähigkeit in allen Berufen bei den weiblichen Mitgliedern größer war als bei den männlichen, mit Aus­nahme der Schuhmacher.

Sittlichkeitsfrage.

Wie berechtigt der sogenannte Arbeitgeberparagraph ge wesen wäre, den die sittlichkeitseifrigen lex- Heinzemänner seinerzeit auf einen Wink der Regierung in den Reichstagspapierkorb ver­schwinden ließen- natürlich nicht ohne überschwängliche Lobpreisung der blüthenweißen Unschuld kapitalistischer Tugend und Sitte und scharfer Abkanzelung der erpressungswüthigen Arbeiterinnen und Dienstmädchen das zeigen wieder einmal sinnenfällig die folgenden Thatsachen. Der Buchdruckereibesiger Louis Mosler, Mitinhaber der Buchdruckerei von Louis Borchardt in Berlin  , war am 16. Oktober v. Js. wegen verschiedener unfittlicher Angriffe, die er an den bei ihm beschäftigten Arbeiterinnen begangen hatte, vom Berliner   Schöffen­gericht zu 4 Wochen Gefängniß verurtheilt worden. Dieser Tage hatte die V. Straffammer, Landgericht I Berlin  , als Berufsinstanz, über diesen Fall zu urtheilen. In der Verhandlung, die unter strengstem Ausschluß der Oeffentlichkeit stattfand, und von Morgens 9 Uhr bis Abends 8 Uhr dauerte, bekundeten ca. 50 Zeugen den­selben Thatbestand, der sich aus der Vorverhandlung ergeben hatte. Trotzdem traten beide Vertheidiger, die Justizräthe Kleinholz und Cassel, für Freisprechung des Angeklagten ein, indem sie denselben als eine von den Arbeiterinnen verführte Unschuld hinstellten. Sie machten ferner geltend, daß die Vorinstanz das Milieu und das hohe Alter des Angeklagten nicht in Betracht gezogen habe. Der Staats­anwalt und der Nebenfläger, Rechtsanwalt Dr. Liebknecht, plädirten für Verwerfung der Berufung, da in der Verhandlung von der That des Angeklagten nichts abgeschwächt und auch keine weitere mildernde Umstände zu Tage getreten wären. Strafverschärfend kämen heute noch die Versuche des Angeklagten hinzu, anständige Mädchen durch haltlose Beschuldigungen in den Schmutz zu zerren. Das Gericht stellte sich prinzipiell auch auf den Boden des Vorrichters, glaubte aber in Anbetracht des hohen Alters des Angeklagten, für diesmal von einer Gefängnißstrafe absehen zu können und wandelte je einen Tag Gefängniß in 15 Mt. Geldstrafe um. Das Erkenntniß lautete daher auf 15 Mt. x 28 Tage= 420 Mt. Geldstrafe und die Kosten

=

* Kleidernähterinnen, die in einer besonderen Kasse sind.

** Kleidernähterinnen und Ladnerinnen sind in einer besonderen Orts­frankenkasse.

a. br.