das Privateigenthum an den Produktionsmitteln und am Grund und Boden weiter besteht. Häuslichkeit und Sittlichkeit werden die Dr. Rurella und Genossen nicht wiedererwecken mit ihren Vorschlägen. Will er das, dann lerne er die soziale Frage in ihrer ganzen Schärfe und in ihren Ursachen klar erkennen, er wird dann verstehen, daß gerade die Wohnungsfrage ein Gebiet ist, das am flarsten überzeugt, wie wenig die großen Krebsschäden an unserem Gesellschaftskörper auszuschneiden sind, so lange die heutige Wirthschaftsordnung er­halten bleibt.

Die Wohnungsfrage ist für Einzelne sicherlich in der heutigen Gesellschaft weniger furchtbar zu gestalten, das Proletariat in seiner Gesammtheit wird die Erlösung aus Wohnungsnoth, Wohnungsjammer und Wohnungselend erst finden, wenn die sozialistische Gesellschafts­ordnung die kapitalistische abgelöst hat.

Diesem Ziele mit allen Kräften, mit allen Mitteln zuzustreben, hierfür alle Klassengenossen und Klaſſengenossinnen zu entflammen und zu begeistern, das ist unsere Aufgabe, das ist wichtiger und dringlicher als alle Projektenmacherei. Ad. Braun.

Die Wirthschaftsgenossenschaft.

Eine Entgegnung.

Nach den fünfzehn Spalten zu schließen, mit denen Genossin Zetkin   meine kleine Broschüre todtgeschlagen hat, muß die Gefahr, die ich damit über das kämpfende Proletariat heraufbeschworen habe eine riesige sein; die bösartigsten Gegner des Sozialismus haben sich kaum solcher Beachtung zu erfreuen gehabt. Mir fällt dabei immer jene Geschichte von dem katholischen Priester ein, der seinem Lieblings­schüler, als er ihn entließ, folgende Lehren mit auf den Weg gab: , Hüte Dich am meisten", so sagte er, vor dem Teufel der Ketzerei. Mit jedem Gedanken, den keiner unserer Heiligen und heiligen Väter vorgedacht hat, schleicht er sich bei Dir ein. Die heilige Kirche zu fördern, ist allein Sache ihres erleuchteten Hauptes. Wir haben nur zu glauben und Glauben zu predigen und die Beunruhigung von den Gemüthern ferne zu halten."

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Nun bilde ich mir keineswegs ein, daß mein Plan einer Wirth­schaftsgenossenschaft ein völlig neuer ist; neu an ihm ist nur, wie ich mir seine Verwirklichung denke und daß ich die Arbeiterschaft auf­fordere, sie in die Hand zu nehmen. Genossin Zetkin   versucht den Nachweis zu führen, daß ich damit einer Utopie nachjage. Nebenbei bemerkt, ist es fomisch genug, wie sehr es neuerdings üblich wird, diejenigen utopischer Jdeen zu zeihen, die Jdeale der Sozialdemo­kratie aus dem Stadium der Predigt in das der That hinüber­führen wollen! Im Wesentlichen sind die Gründe, die Genossin Zetkin   gegen die Wirthschafsgenossenschaft anführt, genau dieselben, die gegen jede genossenschaftliche Idee eingewendet worden sind. Man hielt die Konsumgenossenschafter mindestens für ebensolche unpraktische Utopisten und begriff nicht, daß arme Arbeiter mit schwankendem Einkommen den Kaufherren der Welt Konfurrenz machen wollten. Und die Konsumgenossenschaften haben sich in einer Weise durchgesetzt, wie ihre ersten Vorfämpfer es sich sicher nicht

Grünes Reis unterm Schnee.

Der Sturm brauste um das kleine Haus und fegte die dicht­fallenden Schneeflocken vor sich her; bis zur halben Höhe der Mauer hatte es schon zu öfteren Malen eine Lehne aufgeschichtet gehabt und er schien, als wolle er alles bis zum Schlot hinauf verwehen und begraben, dann fuhr er plöglich die Ecke herum und zerwirbelte und zerstäubte wieder, was er aufgebaut.

In der einzigen Stube der Hütte saß ein junges Paar und ein altes Weib um den Tisch und verzehrten ihr färgliches Abend= mahl, Sauremilchsuppe, in welche Brot geschnitten war; sie löffelten selbe aus einer Schüssel. Drei Personen in dem engen Raume mit den feuchten Wänden, den kleinen erblindeten Fenstern und der dumpfigen Luft und das Aussehen des jungen Weibes zeigte, daß ein viertes Wesen sich bald einstellen werde, die Noth mit den drei anderen zu theilen.

Die beiden Weiber hatten gestritten, das junge Legte mit hochgeröthetem Gesicht den Löffel weg, während das alte den seinen nochmals in die Schüssel führte und mit der zitternden Hand auf dem Wege zum Munde das Geschöpfte verschüttete.

Die Junge fuhr mit einem Ausruf des Unwillens zurück. " Jetzt wird's schon ungustig mit Dir z' essen, Mutter", sagte der junge Mann.

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träumen ließen. Für baaren Unsinn halten heute noch sehr viele Sozialdemokraten die baugenossenschaftliche Bewegung, weil es dem Proletariat an Mitteln fehlen soll, sie erfolgreich durchzuführen. Und doch dringt sie unaufhaltsam vorwärts, wowon Jeder sich durch die Broschüre von Paul Kampffmeyer  , Die Baugenossenschaften im Rahmen eines nationalen Wohnungsreformplanes", die auch Genossin Zetkin   anführt, überzeugen kann. Und zwar sind ein erstaunlich großer Theil der Genossenschafter ungelernte oder doch nicht besonders hoch entlohnte Arbeiter, mit einer Jahreseinnahme von 900 bis 1200 Mt. Diese Arbeiterkategorie aber ist es gerade, deren Frauen, sobald Kinder da sind, die Familie durch ihre Arbeit mit erhalten müssen.*

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Ebenso gut nun, wie diese Arbeiter Bau- und Konsumgenossen­schaften beitreten können, sind sie auch im Stande, Glieder einer Wirthschaftsgenossenschaft zu werden, um so mehr, wenn sie wie ich von vornherein voraussetzte aus einer Bau- oder auch aus einer Konsumgenossenschaft hervorgeht. Die Wirthschaftsgenossenschaft stellt finanziell nicht viel höhere Anforderungen an ihre Mitglieder, im Gegentheil, sie erleichtert eine Vermehrung des Familieneinkommens, indem sie die Leistungsfähigkeit der Frau erhöht. Genossin Zetkin  wird kaum leugnen können, daß alle diese Arbeiterfamilien ihr Leben wenn auch noch so schlecht- fristen. Ich kann nun wirklich nicht einsehen, warum ihnen das in der Wirthschaftsgenossenschaft, die durch Einkauf und Zubereitung der Speisen im Großen ganz bedeutend billiger wirthschaften kann, als die einzelne kleine Familie, nicht möglich sein sollte, was ihnen unter unvergleichlich schwierigeren Verhältnissen in der Miethsfaserne möglich ist. Nun werden mir aber die Krisen, die Zeiten der Arbeitslosigkeit entgegengehalten, als ob ich selbst niemals etwas von ihnen gehört hätte. Ich halte aber meinen Plan gerade im Hinblick auf sie für besonders wichtig, denn ich glaube, daß die Existenz, auch die noch so kümmerliche, in der Wirthschaftsgenossenschaft immerhin noch viel leichter ist, als in der Verlassenheit irgend eines Großstadtwinkels, wo fein Nachbar sich um den anderen fümmert. Es scheint mir auch durchaus nicht so unmöglich, aus Beiträgen der Mitglieder einen Fond für Nothfälle zu gründen. In den Bau- und Sparvereinen bestehen vielfach solche Fonds, aus denen die Miethe für diejenigen bezahlt wird, die sie momentan nicht aufbringen können, und daß es nicht schwer ist, solche Fonds ins Leben zu rufen, zeigt sich schon daraus, daß die Arbeiter in Zeiten guten Verdienstes aus freien Stücken Spareinlagen machen. Genossin Zetfin sucht mir aber schließlich auch aus einem Umstand einen Strick zu drehen, den nur derjenige in dieser Weise gegen mich ausnüßen kann, der von vornherein mit dem schärfsten Vorurtheil an meine Ideen herangetreten ist. Weil ich nämlich 1,40 Mt. für die tägliche Beköstigung eines Dienstboten ansetze, meint

* Ich verweise dabei nur auf folgende Schriften: Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für das Jahr 1899, 4 Bände. Berlin   1900. Großherzoglich badische Fabritinspektion, Die soziale Lage der Pforzheimer  Bijouteriearbeiter, Karlsruhe   1901. Die Beschäftigung verheiratheter Frauen in Fabrifen. Nach den Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbeamten bearbeitet vom Reichsamt des Innern. Berlin   1901. Rudolf Martin, Die Ausschließung der verheiratheten Frauen aus der Fabrik. Tübingen   1897.

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Nun legte auch die Alte den Löffel hin und begann an ihrer Schürze zu glätten; nach einer Weile sagte sie leise: Wenn ich Euch zur Last fall', braucht's mer's nur mit ein'm Wort merken zu lassen, so möcht' ich nimmer verbleib'n"

Sie neigte den Kopf vor, um besser zu hören, denn jetzt mußte ihr Sohn, ihr einzig' Kind, doch Nein darauf sagen. Aber er schwieg und sie blickte mit großen, glanzlosen Augen starr nach den Beiden.

Wieder verging eine Weile, der Perpendickel der Schwarz­wälder Uhr, die an der Wand hing, hatte ein gar eigenes Tiden, das in der Luft nachzitterte.

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Das junge Weib erhob sich. Man sagt Dir nit geh, noch bleib." Sprach es, indem es die Schüssel aufgriff und nach der Küche trug.

Die Alte wendete ihr Gesicht dem Sohne zu, in den Mund­winkeln begann es ihr zu zucken und über den Augen schlossen sich paar Mal rasch hintereinander die Lider, aber er sah vor sich hin zur Erde und sagte nicht: Bleib! Er stand vom Stuhle auf und ging zur Thüre hiaus.

Von der Küche her hörte man das junge Weib einige Male lachen und den jungen Bauern pfeifen, es fam wohl nicht vom Herzen, aber nur nichts merken lassen!

Und die alte Greisin, als sie sich in der Stube allein sah,