Bei dem Vorwurf der bürgerlichen Sozialreformelei läßt es aber Genossin Zetkin   feineswegs bewenden. Noch viel verdächtiger komme ich ihr vor und stellt sie mich den Lesern ihrer Besprechung par, weil ich die kapitalistische Ausbeutung der proletarischen Ar­beitskraft, die kapitalistische Klassenherrschaft" nicht geschildert habe. Es ist wirklich nicht meine Schuld, wenn mir dabei wieder kirch­liche Reminiszenzen kommen: in der lutherischen Kirche nämlich wird jedem Gottesdienst das Herbeten der drei Glaubensartikel voran­geschickt, und sie hält Niemanden für einen echten evangelischen Christen, der das in seiner Kirche nicht ebenso macht. Wer meine Broschüre liest natürlich ohne Vorurtheil liest-, der wird dies ,, Glaubensbekenntniß" nicht vermissen, weil es auf die Worte nicht ankommt, sondern auf den Geist der Worte und jede Zeile in ihr davon durchtränkt ist.

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Zum Schlusse noch einige Worte an Diejenigen, die meinem Plan ohne Voreingenommenheit gegenüberstehen, die Anderen zu über­zeugen, dürfte ja doch ein ziemlich vergebliches Bemühen sein! Der Gedanke der Wirthschaftsgenossenschaft liegt so sehr in der Luft, daß er in den verschiedensten Formen zum Ausdruck kommt. Eine Ge­nossin, die meinem Plan im Ganzen nicht sympathisch gegenübersteht, erzählte selbst, daß ich glaube in Rottbus verheirathete Arbeite­rinnen gemeinsam eine Frau engagirt haben, die ihnen das Mittag­essen focht und die Kinder beaufsichtigt, ein Anfang zur Genossen­schaft, der dem unmittelbaren Bedürfniß entsprungen ist. Genossen­schaftliche Arbeiterrestaurants sind in verschiedenen Stadttheilen von Paris   entstanden, und es mehren sich die Familien, die nicht nur dort gemeinsam essen, sondern auch die Mahlzeiten nach Hause holen; auch in Berlin   wird der Plan eines solchen Restaurants ventilirt. Für Vertheilungsküchen auf genossenschaftlicher Grundlage, wie die in Manchester   begründeten, wird neuerdings in Frankreich   eine rege Agitation entfaltet. Der Jdee der Wirthschaftsgenossenschaft nach meinem Plan, fängt man an, auch in deutschen Genossenschaften näher zu treten. Offenbar geht es mit dieser Utopie" wie mit so mancher: sie wird über Nacht zur Wirklichkeit.

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Genossin Zetkin sagt: Die proletarische Frauenbewegung hat ihre Kraft auf den gewerkschaftlichen und politischen Kampf gegen die Kapitalistentlasse und ihren Staat zu fonzentriren". Ich stimme ihr bei. Sie hat aber auch, das füge ich noch hinzu, dafür zu sorgen, daß aus der kleinen Handvoll Frauen, die gegenwärtig diesen Kampf führen, eine große Schaar wird, und muß zu diesem Zwecke jedes Mittel ergreifen, das Kampffähige schaffen hilft. Die Wirthschafts­genossenschaft ist solch ein Mittel. Selbst wenn es zunächst nur Wenige befreien hilft, bei der Zurückgebliebenheit des weiblichen Proletariats sind auch diese Wenigen viel. Lily Braun  .

Der Entgegnung zur Antwort.

Die schwierige Feststellung des sträflichen Thatbestandes, daß ich mich in wohlgezählten 15 Spalten mit der Wirthschaftsgenossenschaft beschäftigte, hat offensichtlich Genossin Brauns Geisteskräfte in her­vorragendem Maße beansprucht. Nur dadurch erkläre ich mir, daß sie an dem wesentlichsten Inhalt meiner Kritik vorbeischreibt und An­sichten abkanzelt, die ich nie vertreten habe; ja mehr noch: daß sie sogar einen äußeren Umstand übersieht, der doch nach ihrer Auffassung von der großen Bedeutung der Spaltenzahl als äußerlich und innerlich strafmildernd in Betracht kommen mußte. 4 von den+++ 15 Spalten sind nämlich der Wiedergabe ihrer eigenen wichtigsten Ausführungen gewidmet. Ich würde das unerwähnt lassen, wenn Genossin Braun nicht zweimal die Zahl der Spalten meiner Kritik als ganz besonders strafverschärfend der Verurtheilung der Leserinnen empfohlen hätte. Immerhin, mein Gott ja, muß ich mich schuldig bekennen, Genossin Brauns Vorschlag eingehender und gründlicher erörtert zu haben, als dieser lieb zu sein scheint, und als das Projekt offenbar vertragen fann. Wenn es sich um das Betreten neuer Bahnen" handelte, so galt bis jetzt innerhalb unserer Bewegung Gründlichkeit in der Prü­fung der thatsächlichen Verhältnisse nicht für einen Fehler, wohl aber oberflächliches Vorbeihuschen an denselben. Und ich bin kirchen­gläubig" genug, um an dieser Meinung festzuhalten.

Hingegen muß ich einen Vorwurf mit allem Nachdruck zurück­weisen, obgleich er im Wesen durch meine Kritik selbst schon für Jeden widerlegt ist, der diese ohne die Empfindlichkeit der gekränkten Erfinderseele gelesen hat. Nichts lag mir bei meinen Ausführungen ferner als die Auffassung, einen grimmen Feind" zu bekämpfen, und die Absicht, ihn, todtzuschlagen". Was recht allgemein bekannt ist, dürfte auch Genossin Braun kein tiefverborgenes Geheimniß sein: daß mir zum Zwecke des Todtschlags eines grimmen Feindes" denn doch ganz andere Waffen zur Verfügung stehen, als ich sie ihr gegen­über gebraucht habe. Das Mordgelüft, todtschlagen zu wollen, konnte

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mich überdies um so weniger anwandeln, als ich in dem Projekt der Wirthschaftsgenossenschaft sinnenfällig ein todtgeborenes Kind vor mir hatte. Wohl aber hielt ich es für meine Pflicht, die Todtgeburt leider nicht die erste, die uns Genossin Braun geschenkt hat zu konstatiren und nachzuweisen. Als eine der wichtigsten Aufgaben der ,, Gleichheit" habe ich stets erachtet, die grundsägliche Auffassung der Genossinnen zu klären und dadurch ihr praktisches Wirken zu leiten, es vor Eigenbrödelei zu bewahren, welche der allgemeinen Bewegung Kräfte entziehen würde. Ein kritikloses Komplimentiren vor jeder Leistung einer Genossin würde sich schlecht mit dieser Auffassung ver­tragen. Im Stolze ihrer kirchenreinen" Gesinnung mag Genossin Braun ja dieselbe von oben herab als komisch" belächeln, wie so manches Andere auch. Immerhin wird sie auch mir zubilligen müssen, was sie stets als erste Pflicht eines Genossen hält, auch der eigenen Partei kritisch gegenüber zu stehen und nach bestem Wissen und Ge­wissen auszusprechen, was als Fehler erscheint." Oder sollte etwa Genossin Braun gegenüber nicht billig sein dürfen, was der Partei gegenüber Recht ist? Denn nicht mehr, als was Genossin Braun als erste Pflicht jedes Genossen preist, habe ich ihr gegenüber gethan. Weshalb also Räuber und Mörder?

Was den fachlichen Theil von Genossin Brauns Entgegnung anbelangt, so erweist er sich meines Erachtens als ein Versuch zur Rettung ihres Planes, der mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt unternommen worden ist. Auf meine Ausführungen, die psychologischen Voraussetzungen für die Gründung von Wirthschafts­genossenschaften betreffend, hat Genossin Braun ,, mit feiner Silbe zu antworten für nöthig gefunden!" Und doch wäre der Nachweis für das Vorhandensein dieser Vorbedingungen mit von entscheidender Bedeutung für die Beantwortung der strittigen Frage gewesen. Es fällt mir nicht ein, nach berühmten Mustern" Genossin Braun zu unterstellen, sie habe die betreffenden Einwürfe meinerseits todt­geschwiegen". Das Spaltenzählen, das wichtige Spaltenzählen ließ sie dieselben wahrscheinlich übersehen.

Und wie liegen die Dinge bezüglich des Nachweises, daß meiner Kritik entgegen die materiellen Vorbedingungen für die Gründung von Wirthschaftsgenossenschaften im Proletariate vorhanden sind? Genossin Braun hat den von mir angeführten Zahlen und That­sachen auch nicht den armseligsten Thatsachenbeweis entgegengestellt. Was sie giebt, ist nur ihr eigener, ganz persönlicher Glaube", daß trot Hungerlöhnen, unregelmäßigem und schwankendem Verdienst, Arbeitslosigkeit zc. die Gründung von Wirthschaftsgenossenschaften doch möglich sei. Unbestritten, daß es Genossin Brauns unveräußer liches Menschenrecht ist, diesen ihren Glauben für maßgeblicher zu halten, als alle Thatsachen. Aber ihren Glauben und ihr Recht in allen Ehren: sie kann nicht verlangen oder auch nur hoffen, daß Andere in dieser Beziehung gleich anspruchslos sind, wie sie.

Entkräftet es vielleicht eine einzige der Thatsachen, die ich gegen Genossin Brauns Plan ins Feld führte, daß diese unter Hinweis auf die Entwicklung der Konsum- und Baugenossenschaften erklärt, meine Gründe seien im Wesentlichen dieselben, die gegen jede genossenschaft­liche Jdee eingewendet worden sind? Mit nichten. Nebenbei sei zunächst bemerkt, daß ich selbst die nämlichen Einwürfe nicht gegen jede genossenschaftliche Jdee erhoben habe. Und dies aus einem sehr einfachen Grunde. Ich war nie eine Gegnerin der genossenschaft­lichen Bewegung überhaupt und stehe nicht einmal den Baugenossen­schaften feindlich gegenüber, wenngleich ich überzeugt bin, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen ihre Bäume nicht in den Himmel wachsen werden. Was aber die Hauptsache anbelangt, so wäre der obenstehende Möchte gern- Beweis nur unter der einen Bedingung stichhaltig. Wenn Genossin Braun mit zwingender Logik dargethan hätte, daß alle Formen der Genossenschaft völlig wesensgleich sind, und daß mithin für die Wirthschaftsgenossenschaft die gleichen Ent­wicklungsmöglichkeiten gelten, wie z. B. für den Konsumverein oder die Baugenossenschaft. Genossin Braun hat das nicht einmal nach: zuweisen versucht, dafür aber die Behauptung servirt, daß die Wirth­schaftsgenossenschaft finanziell nicht viel höhere Ansprüche an ihre Mitglieder stellt", als die Baugenossenschaft oder der Konsumverein. Sie prüft dabei nicht, ob angesichts der Verhältnisse sich nicht das Nichtviel in ein Zuviel verwandeln muß. Sie läßt vor Allem außer Acht, daß bezüglich der Zahl der Genossenschafter, der Höhe des Anlagekapitals, der Höhe der Beiträge dazu, der zu bietenden Leistungen u. s. w. die Wirthschaftsgenossenschaft unter wesentlich anderen Bedingungen ins Leben tritt und funktionirt, als der Konsum= verein. Von welcher Bedeutung dies aber für die Entwicklung der Wirthschaftsgenossenschaft ist, zeigt das Beispiel der Baugenossen­schaften. Zu den Gründen, welche bedingten und bedingen, daß ihre Entwicklung soweit hinter derjenigen der Konsumvereine zurücksteht, zählen auch die hervorgehobenen Umstände. Und doch liegen für sie die Verhältnisse noch weit günstiger, als für die Wirthschaftsgenossen­