Rechte sie behauptet und bezichtigt. Gute Beispiele verbessern schlechte Sitten. Ich lese also nicht blos, ich zähle, was Genossin Braun in dieser Hinsicht geschrieben hat. In Abschnitt Vl der Broschüre„ Die Wirkungen der Hauswirthschaftlichen Reform", Seite 26 bis 31, wird das Mittel zum Zweck" lichtvoll und nachdrücklich in nachstehenden drei Zeilen in den Vordergrund gerückt":" Der Augenblick könnte kommen, wo sie( die männliche Arbeiterschaft) die, wie wir gesehen haben, rasch steigende Masse der weiblichen Arbeiter mit all ihrer geistigen Rückständigkeit als eine Rette an ihrem Fuße empfinden werde." Allerdings hat Genossin Braun im zweiten Abschnitt ihres Schriftchens auf Seite 14 ausgeführt, daß die Doppelbelastung der Proletarierin mit Hausarbeit und Erwerbsarbeit die politische Aufklärung und gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen wesentlich erschwert, daß mithin eine Entlastung der Frau mit Rücksicht auf ihre Antheilnahme am Klassenkampf nothwendig ist. Diese Thatsache habe ich kurz in meinem ersten Artikel unter den Gründen gewürdigt, welche dazu drängen, auch eine Erleichterung der häuslichen Arbeitsbürde der Frau anzustreben. Wollte Genossin Braun, daß die betreffende Stelle so gewerthet würde, wie sie es in der Entgegnung heischt, so hätte sie das sprichwörtliche Beispiel des russischen Malers nachahmen müssen. Dieser schrieb unter eine mehrdeutige Zeichnung:„ Das ist ein Löwe und kein Hund."
Als eine grobe Unv- orsichtigkeit muß ich es charakterisiren, was Genossin Braun betreffs der Begründung meines Vorwurfs behauptet, ihre Auffassung der Wohnungsreformfrage sei bürgerlichsozialreformlerisch angekränkelt. Die Begründung, die sie mir unter die Feder legt, ist nicht blos eine Verdrehung und Entstellung des unzweideutigen Sinnes und des klipp und klaren Wortlauts meiner Ausführungen. Es ist gleichzeitig eine recht entstellte und verdeutelte -doch Pardon, nach Lessings Helden ist die deutsche Sprack eine plumpe Sprack", sagen wir deshalb lieber eine recht modifizirte Wiedergabe ihrer eigenen diesbezüglichen Darlegungen in der Broschüre. Eine Vergleichung der drei Stellen beweist das sinnenfällig. Fern sei mir, Genossin Brauns Vergnügen zu stören, von der Höhe ihrer praktisch sublimirten" Ueberzeugung herab die waschechte Gesinnung" Anderer zu verhöhnen. Aber sie füge dem scherzhaften Spiel den Ernst des Nachweises hinzu, daß ich ihr gegenüber oder sonstwo mich des Blödsinns schuldig machte,„ Alles, was die Arbeiterklasse thut und läßt, für unfehlbar richtig zu erklären, fest davon überzeugt zu sein, daß all ihre praktische Thätigkeit eine völlig vergebliche ist,... .. daß sie der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber trotz ihrer Millionen Stimmen machtlos ist".
Allerdings bekenne ich Eins, meiner Ansicht nach heißt es die Arbeiterklasse in ihrer Energie lähmen, statt sie zu stärken", wenn man sie, wie Genossin Braun in der Frage der Wohnungsreform, von einer angeblich starken Reformströmung der freisinnigen Bourgeoisie Bedeutsames oder auch nur Nennenswerthes hoffen läßt. Die deutsche Arbeiterklasse hat den Reformeifer dieser freisinnigen Bourgeoisie gebührend schätzen gelernt. Er wurde ihr vor Augen geführt durch die freisinnigen Professoren, die in erbärmlichster Hasenherzigkeit dem Züricher Arbeiterschutzkongreß fernblieben, dafür aber in Brüssel im Schatten der kaiserlichen Februarbotschaft mit Herrn von Berlepsch konventikelten, der seinerzeit das skandalöse Arbeitertruzgesetz vertheidigt hatte. Sie lernte ihn kennen durch die Gesinnungstüchtig keit, mit der die nämlichen Gelehrten als freiwillige Seeulanen in den Protestversammlungen der Berliner Arbeiter gegen die Flottenvorlage eine Gastrolle gaben und durch den Mannesmuth, mit dem sie den Protestversammlungen gegen die Zuchthausvorlage fernblieben. Er wird bewiesen durch die schmachvolle Auslieferung des Wahlfreises Memel - Heydekrug an den Brotwucherer und durch Duzende und Dutzende anderer Thatsachen. Was aber die spezielle Frage der Wohnungsreform anbetrifft, so hat Professor Tönnies seinerzeit in Brauns Archiv" in seinem vorzüglichen Artikel über den Hamburger Hafenarbeiterstreit thatsachenbegründet und herzerfrischend deutlich aufgezeigt, welcher Reformthaten die freisinnige Bourgeoisie unter dem Drucke der Arbeiterklasse und dem Hinblick auf die drohende Choleragefahr fähig ist. Genoffin Braun monirt sanft die Sozialdemokratie ob ihrer seitherigen Unthätigkeit in Sachen der Wohnungsreform. Das zu thun ist sicherlich ihr unantastbares Recht. Nur hätte sie über dessen pflichteisriger Wahrung nicht vergessen sollen, auf einen der wichtigsten Gründe dieser Unthätigkeit hinzuwiesen: auf das Rückwärts, die Feigheit der freisinnigen Bourgeoisie. Die Sozialdemokratie war gezwungen, den Kampf für den Arbeiterschutz und andere hochbedeutsame Reformen hinter das Niederringen des bösartigsten Arbeitertruges und der schlimmsten politischen Reaktion zurückzustellen. Arbeitertrutz und politische Reaktion sind aber im großen Ganzen direkt oder indirekt in das Schuldkonto der freisinnigen Bourgeoisie zu buchen. Uebrigens ist es Genossin Braun unbenommen, ihrer Ueberzeugung entsprechend alles daran zu setzen,
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um soweit irgend möglich durch persönliches Wirken die getadelte Unthätigkeit der Sozialdemokratie zu bekämpfen und zu mildern. Wenn sie sich in Zukunft auch nur auf dem einen Gebiet der Wohnungsreformfrage in Schrift und Wort als Thätigste unter den Thätigen erweist, so wird das sicherlich allseitig mit aufrichtigster Freude und Anerkennung begrüßt werden.
Meine Kennzeichnung der Wirthschaftsgenossenschaft als eine Utopie brandmarkt Genossin Braun als einen Ausfluß der„ komischen" neuzeitlichen Mode,„ diejenigen utopischer Jdeen zu zeihen, die Ideale der Sozialdemokratie aus dem Stadium der Predigt in das der That überführen wollen". Gegenüber dieser Abrüffelung meines straffälligen Unverständnisses, der vorliegenden Pflicht, an Stelle der Predigt die That zu setzen, kann ich mich leider nicht auf die Anerkennung beschränken, daß kaum Jemand wie Genossin Braun zu dieser Abrüffelung berufen ist. Das Talent, Andere zu praktischer Arbeit für unsere Jdeale zu mahnen, hat sich bei ihr zur bemerkenswerthen Virtuosität ausgebildet. Aber ihr Gedankengang umschließt nicht blos das wohlberechtigte Gebet: Ich danke Dir Gott , daß ich nicht bin wie diese Räuber, Mörder oder auch wie diese Zöllner des NurPredigt Sozialismus. Er enthält auch eine meines Erachtens grundfäßlich verkehrte Auffassung, daß schon inmitten der kapitalistischen Gesellschaft die Möglichkeit vorhanden ist, die Ideale des Sozialis mus zu verwirklichen. Würde dies zutreffen, so wäre es die dringende Pflicht der Sozialdemokratie, unverzüglich an eine Revision ihrer Begriffe und Taktik zu gehen. Denn an Stelle des unversöhnlichen Kampfes gegen die kapitalistische Gesellschaft müßte die friedliche Verwirklichung sozialistischer Jdeale im Rahmen der heutigen Ordnung treten. Einstweilen und bis Geschichte und Thatsachen mich eines Besseren belehren, bin ich„ buchstabengläubig" genug, die getennzeichnete Auffassung für einen liebenswürdigen Wahn zu halten. Als wichtigste That, um den Sozialismus aus der Theorie in die Praxis überzuführen, erscheint mir noch immer die„ Predigt" der sozialistischen Jdeale unter den proletarischen Massen und deren Organisation und Schulung für den schärfsten Kampf gegen die tapitalistische Ordnung. Wie die Dinge geschichtlich gelagert sind, fann gegenwärtig der proletarische Klassenkampf noch nicht der Durchführung der sozialistischen Ideale selbst gelten. Er muß sich vielmehr in der Hauptsache in dem Ringen um die Möglichkeiten der Kampfesfähigkeit des Proletariats erschöpfen. Es heißt deshalb das Pferd beim Schwanze aufzäumen, wenn man dem Proletariat jetzt die Aufgabe zuweist, durch Wirthschaftsgenossenschaften 2c.„, die sozialistischen Ideale aus dem Stadium der Predigt in das der That überzuführen". Von der„ komischen" Vorstellung zu schweigen, daß der Sozialismus sich stückweise in die kapitalistische Gesellschaft einschmuggeln lasse.
Sei's drum, daß Genossin Braun diese meine Auffassung als ,, Dogmenfanatismus" und meine Verurtheilung ihres Standpunktes als„ Rezerriecherei" richtet. In den Witchen ihrer kirchlichen Erinnerungen" grüßen mich nur alte, liebe Bekannte und ursprünglich kameradschaftliche Stammtischspässe, die in der Polemik zwischen Genossen allmälig zur Bedeutung von Gründen und Urtheilen heraufgeklommen sind. Genossin Braun ergößt sich mit solchem Behagen an den Reizen ihres Adoptivkindes, kirchliche Erinnerungen", daß sie es zweimal vorführt, das eine Mal katholisch geschoren, das andere Mal lutherisch gescheitelt. Es ist dies ein Vergnügen, das meiner Ansicht nach recht billig und wenig geschmackvoll ist, dafür aber bei den reminiszenzenreichen Gedankengängen Genoffin Brauns um so erklärlicher. Es thut mir herzlich leid, in ihr Vergnügen das Wermuthströpflein der Versicherung träufeln zu müssen, daß mein „ Dogmenfanatismus" weder vor dem Schreckgespenst der Geschorenen noch der Gescheitelten gewichen ist. Klara Zetkin .
Notizentheil. Frauenbewegung.
Ein weiblicher Stadt- und Hofgärtner. Fräulein von Karlowska wurde vor einiger Zeit als Stadtgärtnerin und kürzlich als fürstliche Gärtnerin in Brauenfels angestellt. Die Dame hat ihre berufliche Ausbildung in der Obst- und Gartenbauschule zu Ma rienfelde erhalten und ist Mitglied des Vereins zur Förderung des Frauenerwerbs durch Obst- und Gartenbau.
Apothekerinnen in Ungarn . In Ungarn sind gegenwärtig vierzehn Damen als Gehilfinnen in Apotheken thätig. Zwölf der Pharmazeutinnen besitzen die staatliche Anerkennung des Rechtes auf Ausübung ihres Berufs, die das Unterrichtsministerium sicherlich auch den zwei Apothekerinnen gewähren wird, die erst kürzlich in ihre Stellung eingetreten sind, denn auch sie haben den vorgeschriebenen Bildungsgang absolvirt.
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