Nr. 20.

Die Gleichheit.

11. Jahrgang.

Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 2978) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 25. September 1901.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe geftattet.

Inhalts- Verzeichniß.

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3um Parteitag der Sozialdemokratie in Lübeck  . Fabrikinspektionsassisten­tinnen in Württemberg   und Preußen. Von a. br. Zur Frage der Wirthschaftsgenossenschaften. Von Frieda Wulff. Aus der Bewegung. Feuilleton: Die Näherin. Von Théodore de Banville  . Deutsch von Wilhelm Thal. Notizentheil: Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Frauen Gesetzlicher Arbeiterinnenschutz.- Frauenbewegung. Frauen­stimmrecht. Verschiedenes. Dienstbotenfrage.

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Bum Parteitag der Sozialdemokratie in Tüberk.

Der diesjährige Parteitag der deutschen Sozialdemokratie tritt

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Frau Klara Bettin( 8undel), Stuttgart  , Blumen Straße 84, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

meinendem, ethisch frisirtem bürgerlichem Rrethi und Plethi freund­liches Lächeln und gefühlvollen Händedruck zu tauschen. Was ihr aus Presse und Versammlungen entgegentönt, ist der unzweideutige Wille der Masse ihrer Gefolgschaft, den grundsätzlichen Kampf wider die kapitalistische Gesellschaftsordnung mit ungeminderter Schärfe weiter zu führen. Kennzeichnend dafür sind die vielerorts erhobenen Wünsche, die Zoll- und Handelspolitik und Krach und Krise auf die Tagesordnung des Parteitags zu seßen. Ganz bes sonders in dem letteren Verlangen äußert sich in erfreulicher Weise das proletarische Klassenbedürfniß nach der unrevidirten" groß­zügigen sozialistischen   Kritik der kapitalistischen   Produktionsweise, ihrer Gesellschaft und ihres Staates.

Kein Zweifel daher: weniger als je wird in Lübeck   die Sozialdemokratie als froh Bekehrte im Unschuldskleidchen bürger­

unter Anzeichen zusammen, welche eindringlichst die schärfere Zu- licher Reformleret erscheinen. Die Verhandlungen und Beschlüsse spigung der wirthschaftlichen und politischen Klassengegensäße und ihrer naturnothwendigen Folge: des Klassenkampfes künden.

Die heraufgezogene Krise, das legitime Kind der Gegensätze, welche in dem Wesen der kapitalistischen   Produktion begründet sind, und durch keine Kartell- oder Ringbildung, keine noch so macht volle Gewerkschaftsbewegung beschworen werden können, lastet mit furchtbarem Drucke auf dem deutschen Proletariat und droht sich auf immer größere Kreise desselben zu erstrecken. Scharf umrissen, hell beleuchtet zeigt sie die unüberbrückbare Kluft der Interessen, welche Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse von einander scheidet. Das deutsche Unternehmerthum saß behaglich schmaßend an der Tafel des Aufschwungs, deren Brosamen die Lohnsklaven sich er­fämpfen mußten. Nun aber hat es fieberhafte Eile, dem Prole­tariat allein die bitteren Früchte des wirtschaftlichen Niedergangs aufzuhalsen. Tausende und Tausende seiner Angehörigen fliegen brotlos aufs Pflaster, denen aber, die dem Kapital weiter zinsen dürfen, grinst Lohndruck, verlängerte Arbeitszeit, gesteigerte Aus­pressung der Arbeitskraft entgegen. Dem privaten Unternehmer­thum voran haftet der preußische Eisenbahnminister, um aus der Strise eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen herauszuschlagen, die ohnehin schon im Zeichen der schäbigsten, verrufensten" Spar­politik" stehen. Neben der Stockung des Wirthschaftslebens zeigt der geplante Zollwucher, wessen sich das Proletariat von seinen Todfeinden, den ausbeutenden und herrschenden Klassen zu versehen hat. Krautjunker und Industriemagnaten marschiren Arm in Arm zum schamlosesten Beutezug auf die Taschen der arbeitenden Massen, und der Staat erweist sich als willfähriger Diener ihrer Raffgier. Und um die heilige Dreizahl voll zu machen, hat im letzten Jahre die abenteuerlichste wahnwißige Wasser- und Eroberungspolitik- welche das Brandmal der Hunnenkultur trägt mit ihrer Zwillings­der das unauslöschliche schwester, der reaktionären Sozialpolitik Schandmal des Zwölftausendmarkbettels eingebrannt ist- sinnen­fälligst die Natur der kapitalistischen   Ordnung und ihres Staates erhärtet.

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Was dem bevorstehenden sozialdemokratischen Parteitag ent­gegenklingt, ist deshalb nicht wie etlichen seiner Vorgänger der Ruf einzelner theoretisch und parlamentarisch führender Persönlich feiten, nach einer" Revision" der sozialdemokratischen Grundsäge und Politik; nicht die Befürwortung der gemüthlichen Auffassung, daß die Arbeiterklasse Alles in Allem mit der kapitalistischen   Ge­sellschaft schon auskommen und ihr durch sittsames Betragen fleine Reförmchen abschmeicheln könne; nicht die Aufforderung, mit wohl

zu allen Punkten ihres reichen und bedeutsamen Arbeitsprogrammes werden ihr unverfälscht, ungemausert revolutionäres Wesen mit wün­schenswerther Unzweideutigkeit zum Ausdruck bringen. Dies gilt sicherlich auch von der Stellungnahme des Parteitags zur Wohnungs­frage. In der That: wenn irgend eines der schreienden Ueber, unter denen das Proletariat seufzt, dringend Linderung heischt, so iſt es das Wohnungselend. Aber kaum einem gegenüber erweist sich das bürgerliche Reformflickwerk seinem Wesen und der Art der Durchführung nach so ohnmächtig, wie gegenüber der Wohnungs­noth mit ihrem entfeßlichen Gefolge an hygienischen, geistigen, sitt= lichen Schäden. So willig deshalb die Sozialdemokratie ist und sein muß, mit Eifer und Nachdruck für alle Reformen einzutreten, alle Mittel zur Anwendung zu bringen, welche eine Milderung der Wohnungsnoth versprechen, so erkenntnißklar ist sie und muß sie sein, jede Ueberschäßung des Umfangs und der Tragweite der einschlägigen Reformarbeit von der Hand zu weisen und auch bei dieser selbst ihre reinliche Scheidung von den bürgerlichen Kur­pfuschern mit aller Strenge aufrecht zu erhalten. Nicht als sozia­listelndes Reformkuddelmuddel, nur als Partei des proletarischen Klaſſenkampfes kann die Sozialdemokratie an die Wohnungsfrage herantreten und auf diesem Gebiet erfolgreich reformiren.

Wie die Dinge liegen, ist mithin heuer die bürgerliche Presse außer Stande dafern sie leidlich bei Verstand und Verständniß bleibt ihren Brotherren mit dem billigen Troste der üblichen Schäfer- Thomastade von der sich mausernden und spaltenden Sozial­demokratie aufzuwarten. Dafür vermag sie dieselben mit dem füßen Labsal eines aufsteigenden Konfliktes zwischen Sozialdemo kratie und Gewerkschaften zu erquicken, wie ihn die tiefbedauerliche Angelegenheit der Hamburger Affordmaurer in ihrem Schoße birgt. Wie sich in den meisten Versammlungen, welche Stellung zum Parteitag nahmen, das Hauptinteresse auf sie konzentrirte, so wird aller Voraussicht nach ihre Behandlung wohl auch einen sehr breiten Raum in den Parteitagsarbeiten einnehmen. Hinter der Angelegenheit der Affordmaurer steht die Frage nach dem Ver­hältniß zwischen der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften. Und was dazu erörtert und beschlossen wird, bedarf reiflichster, sorgsamſter Erwägung, denn es greift tief und folgenschwer in das tägliche Leben und Kämpfen der deutschen Arbeiterklasse auf wirthschaftlichem und politischem Gebiet hinein.

Was den vielumstrittenen Schiedsspruch selbst anbetrifft, so übersehen seine Kritiker nicht blos die scharfe Verurtheilung, die Disziplinbruch und Sonderbündelei gefunden hat, sondern das