beaufsichtigen. Ich will annehmen, es sind in einem Hause nur sechzig Familien. Sicherlich würden davon doch fünfzehn kleine Kinder besitzen, die noch nicht laufen können. Sollen diese Kinder denn alle von einer Wärterin gewartet werden? Das wäre doch wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Die Kinder würden dabei halb verkommen und die Wärterin müßte sich trotzdem halb zerreißen, und das können wir doch am allerwenigsten verantworten. Dazu möge man noch bedenken, welcher Streit daraus entstehen könnte, wenn das eine oder andere Kind etwas zurückgesetzt würde. Und wie steht die Sache betreffs des Wirthschaftspersonals? Wenn auch alle möglichen Maschinen angeschafft werden könnten, was nebenbei bemerkt recht viel Geld kosten würde, so bedürfen Maschinen, die im Haushalt gebraucht werden, noch viel Bedienung. Man könnte in der Wirthschaftsgenoffenschaft auch unmöglich mit drei Personen in der Küche auskommen. Wenn wir nicht das Arbeitspersonal mit Arbeit überbürden wollen, was uns doch gewiß fern liegen muß, so können wir gar nicht daran denken, das ganze große Hauswesen von vier Personen versehen zu lassen. Ja, es ist sogar undenkbar, daß so wenig Menschen auch bei der allerangestrengtesten Arbeit allen Anforderungen genügen könnten. Das muß sich Jeder sagen, der eine Ahnung vom Arbeiten hat. Würde man aber in der Wirthschaftsgenoffenschaft so viel Bedienung anstellen wie nöthig wäre, so würde das ganze Unternehmen sich viel zu theuer gestalten, um von Arbeitern überhaupt gegründet und unterhalten zu werden. Frieda Wulff-Stralsund . Aus der Bewegung. Von der Agitation. Anläßlich der Ernennung des„langen" Möller zum Handelsminister wurde bekanntlich in dem Wahlkreise Duisburg-Mülheim eine Ersatzwahl nothwendig. Bei der Wahlagitation mitzuwirken, ward Genossin Zietz-Hamburg von de» leitenden Genossen des Kreises aufgefordert. Versammlungen waren geplant in Mülheim a.d. Ruhr, Duisburg , Meiderich , Broich, Hochfeld und Buschhansen. In Mülheim verfügen wir leider nur über ein kleines Lokal, das etwa 2S0 Personen saßt. Dasselbe war bald überfüllt, und aus einer Wiese hinter dem Hause hatten sich außerdem Hunderte angesammelt, die ebenso aufmerksam wie die im Saale befindlichen Personen dem Referate folgten und durch jubelnden Beifall ihre Zustimmung zu demselben bekundeten. Das geräumige Lokal in Meiderich war überfüllt, unter den Anwesenden waren mindestens 200 Frauen. Auch in Meiderich war die Stim- Die Näherin. Von Theodore de Banville.— Druksch von Wilhelm Thal. I. An der Stelle, wo die Rue Saint-Jacques in Paris , die von Umbauten noch verschont geblieben ist, ihre ursprüngliche Enge bewahrt hat, wohnte im höchsten Stocke eines Hauses, das ausschließlich Arbeiter beherbergte, in einer unter den Dachziegeln gelegenen Kammer eine sehr arme, achtzehn Jahre alte Arbeiterin Namens Josephine Moche. Hübsch und anmuthig, aber bleich, schlank, fast mager, mit feinen Zügen, weichem kastanienbraunem Haare und hellgrauen Augen, repräsentirte sie gerade jenen Schönheitstypus, auf den selbst eine Herzogin stolz sein kann, die 200000 Francs Rente besitzt. Der Zufall verleiht den Enterbten, die nicht wissen, was sie damit anfangen, solch' vornehme Gesichter. Der Geburtsschein Josephines trug den standesamtlichen Vermerk:„Vater unbekannt". Die junge Arbeiterin war die Tochter einer gewissen Adele Moche , die ledig und Näherin wie sie, verführt und'verlassen worden war und um ihr Kind zu erziehen, unaufhörlich arbeitete, bis die ewige Näherei sie schließlich aufgerieben hatte. Wenn sie sich nicht verführen lassen wollte, mußte Josephine leben und sterben wie ihre Mutter, denn sie gehörte zu jenem millionenköpfigen Stamme Armseliger, Beladener, für die es keine Hoffnung auf Erden giebt. Früher war es ein tollkühner Plan von der Nadel leben zu wollen: heute ist es nicht mehr und nicht weniger als eine wahnsinnige Idee. Allerdings hatte Josephine Moche Stunden wilder Empörung gegen ihr Laos . Sie war kein zahmes Geschöpf. Sie wollte nicht essen, nicht trinken, nicht schlafen, sie wollte Tag und Nacht arbeiten, um nur nicht in die Sklaverei zu gehen, nicht einer mung eine vorzügliche. Einem katholischen Lehrer, der der Referentin entgegentrat, wurde von dieser und Genossen Wessel gehörig heimgeleuchtet. Das große Lokal in Duisburg war bis zum letzten Platz gefüllt. Durch nicht endenwollenden Beifall sowie durch Zwischenrufe bekundeten die Anwesenden ihre Zustimmung. In letzter Stunde war es den Gegnern gelungen, uns das Lokal in Broich wieder abzutreiben, so daß die Versammlung daselbst leider ausfallen mußte. In Hochfeld war nicht nur das Lokal überfüllt, sondern Hunderte hatten sich hinter die Fenster postirt. Ueberall zeigte sich, daß auch die Frauen den politischen Tagesfragen ein lebhaftes Interesse entgegenbringen. Am Vorabend der Wahl sollte die Versammlung in Buschhausen stattfinden. Schon am Morgen erschien ein Genosse aus dem Orte beim Wahlkomite und theilte mit. daß von den Gegnern beabsichtigt sei. die Versammlung zu sprengen. Wir sahen in Ruhe den Dingen entgegen, die da komme» würden. Der Saal war von uns gemiethet und der Schlüssel dazu in unseren Händen. Als wir jedoch gegen 7 Uhr anlangten, war der Saal bereits besetzt. Unseren Genossen, der im Besitze des Schlüssels war. halte man einfach bei Seite gedrängt, die Thür zertrümmert und war dann durch die zerbrochene Thürs und die Fenster in den Saal gestürmt. Den Anführer der„Beumergarde" machte der evangelische Ortspastor. der von dem Bürgermeister assistirt ward, welcher etwa ein Dutzend Schutzleute anführte. Gegen 8 Uhr erschienen die Bergleute, die sich mit Stehplätzen begnügen und in der Mehrzahl, viele Hunderte. draußen bleiben mußten. Nach Eröffnung der Versammlung gab Genosse Weyers bekannt, daß wir von der Absicht unserer Gegner unterrichtet seien. Im Falle von Ruhestörungen würden wir jeden Lärmmacher aus dem Saale weise», da das Lokal von uns gemiethet sei. Wer sich dann nicht füge, werde später wegen Hausfriedensbruches belangt werden. Dagegen sei Jedem volle Redefreiheit garantirt. Als darauf Genossin Zietz das Wort ertheilt ward, schlug die ganze „Beumerkolonne" wie auf Kommando einen heillosen Lärm und verlangte, daß das Bureau von ihren Leuten besetzt werde. Genossin Zietz erbat sich das Wort zur Geschäftsordnung. Sie führte aus, daß uns zwar mitgetheilt worden, eine Sprengung der Versammlung sei beabsichtigt. Jedoch könne sie das, so lange keine Beweise dafür vorlägen, nicht glauben, da sie von Niemanden schlechter denke, als von sich selbst. Sie sei der Meinung, das politische Anstands- und Reinlichkeitsgefühl müsse Jeden abhalten, zu so überaus schmutzigen, unanständigen Mitteln im Wahlkampfe zu greifen. Sie könne nicht glauben, daß der Herr Bürgermeister in der obenerwähnten Absicht hergekommen sei. Viel lieber wolle sie annehmen, daß er mit dem starken Polizeiaufgebot erschienen sei. um Ausschreitungen der Gegner Werkstatt angehören zu müssen. Daheim wollte sie arbeiten, unter einem fremden Dache konnte sie nicht athmen. Sie nähte auch für Arbeiterinnen, für Näherinnen, die glücklicher waren, als sie selbst, und die mehr Mittel besaßen. Da sie in allen Nadelarbeiten sehr gewandt war, so fertigte sie auch Kleider zu billigen Preisen an. Weil man ihr jedoch alle Zu- thaten liefern mußte, und sie nicht einen halben Nieter Besatz oder Futter auslegen konnte, so bestand ihre Kundschaft einzig und allein aus kleinen Rentiersfrauen und alten Jungfern mit Katzen und Papageien, kurz aus Damen, die sehr anspruchsvoll waren und sehr schlecht zahlten. Wenn sie den Arbeiterinnen, die ihr zu thun gaben, erklärte, daß sie bei so schlechter Entlohnung nur Brot essen und Wasser trinken konnte, so fragten diese erstaunt:„Ja haben Sie denn keine Nähmaschine?" Nein, Josephine Moche hatte keine,- sie besaß nichts, was Geld kostet, außer ihrer Matratze, ihrem Tisch aus weißem Holz, ihrem Stuhl und das winzige eiserne Oefchen, das sie nur drei Mal im Jahre anzündete. II. Träume sind ein Luxus, die Denen untersagt sind, welche mit materiellen Schwierigkeiten kämpfen. Josephine hatte nichts weiter begriffen, als daß es ein Geschlecht giebt, welches bestimmt ist, stets zu sticheln und zu nähen, das nie die Arbeit unterbrechen darf und alles Elend ertragen muß, und daß sie selbst diesem Geschlechte angehörte. Und sie hatte nicht einmal die Hoffnung, daß ihr elendes Geschick durch eine Zuneigung gelindert und verklärt werden könnte, denn sie war fest entschlossen, lebenslang allein zu bleiben. Ein junges Mädchen der reichen Klasse stellt sich die Liebe unter dem Bilde eines ideal schönen Jünglings vor, der wie ein
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11 (25.9.1901) 20
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