IR. Jahrgang. " Die MM. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen. Die.Gleichheit" erscheint alle ttTage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post leingetragen unter Nr. 2g7S> vierteljährlich ohne Bestellgeld es Pf.; unter. Kreuzband 8b Pf. JahreS-Abonnement MI. 2.  «». Stuttgart  Mittwoch den S.?. Oktober Zuschriften an die Redaltion derGleichheit» find zu richten an Frau Klara Zetlin(Zundel), Stuttgart  , Blumen- Straße 8«, Ul. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach-Strahe 1», Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet. JnhaltS-Verzeichniß. Gegen das Elend in der Konfektionsindustrie. Frauen als Spcicherarbeiter in Hamburg  . Von Louise Zietz-Hamburg. Wer denunzirt? Fräulein Anita Augspurg   zur Antwort. Von Klara Zetkin.   Aus der Be­ wegung.   Feuilleton: Hartingers alte Sixtin. Von L. Anzengruber. Notizentheil: Frauenstimmrecht. Frauenbewegung. Sozialistische Frauen­bewegung im Auslande. Gegen das Elend in der Konfektionsindustrie. So jung die deutsche Konfektionsindustrie noch ist, so glän­zend und kraftvoll ist ihre Entwicklung. Im Verlauf weniger Jahrzehnte hat sie für ihre verschiedenen Zweige im Inland ein ausgedehntes, stetig wachsendes Absatzgebiet errungen: hat sie in der Damen  -, Herren- und Mäntelkonfektion Frankreich  , England und Oesterreich-Ungarn   geschlagen; hat sie sich siegreich den Welt­markt erobert, wo sie als größter Lieferant der einschlägigen Waaren auftritt. In den Städten und auf dem Lande beschäftigt sie Hunderttausende, unter denen die Frauen überwiegen, zu denen die Kinder einen starken Prozentsatz stellen. Nach Hunderten von Mil­lionen beziffert sich alljährlich ihr Umsatz innerhalb und außerhalb des Deutschen Reiches. Hunderttausende und Aberhunderttausende an Profit, die sich zu mehr als fürstlichen Vermögen häufen, fließen jahraus jahrein in die diebes- und feuersicheren Geldschränke einer kleinen Reihe von Konfektionsfirmen, die sich eines Weltrufs er­freuen. Die bekannten Paläste am Hausvogteiplatz zu Berlin  , die prächtigen Villen und herrschaftlichen Wohnungen von Großkonfek­tionären in der und jener Stadt erzählen anschaulich von der Blüthe der deutschen   Konfektionsindustrie und dem märchenhaften Reichthum ihres Unternehmerthums. Aber freilich: die Wurzeln dieser Blüthe haften im Sumpfe des tiefsten Massenelends, und der märchenhafte Reichthum baut sich auf aus der bittersten Armuth, der maßlosen Pein vieler Zehn­tausende. Neben den Bildern von Glanz und Pracht, welche ein Blick auf die deutsche Konfektionsindustrie entrollt, treten andere des düstersten, vielgestaltigen sozialen Jammers. Das Elend der KonfektionSarbeiterschaft ist zu einer sprichwörtlichen Thatsache ge­worden, die sich riesengroß in grauscm Hohn neben den geschäftigen Worten von Deutschlands   Größe und Kultur reckt. Die eigenthümlichen Betriebsverhältnisse der Konfektionsindu­strie, die im Zeichen der Heimarbeit und des Zwischenmeisterthums stehen, haben hier einen Grad der schmachvollsten, Leib und Geist bedrohenden und vernichtenden Ausbeutung des Menschen durch den Menschen geschaffen, der sich weit über das durchschnittliche Maß der kapitalistischen   Auswucherung proletarischer Arbeitskraft erhebt. Diese Betriebsverhältnisse dezentralisiren den Großbetrieb. Sie schieben zwischen den eigentlichen Großunternehmer und die Arbeits­kräfte ein Zwischenglied, mehrere Zwischenglieder, schaffen damit für die Arbeiter und Arbeiterinnen ein mehrstufiges, vielgestaltiges Ab- hängigkeitSverhältniß, welches ihre Ausbeutung steigert, sie durch allerhand Nebenumstände verschärft und erhöht und den Kampf gegen sie erschwert. Gleichzeitig ermöglichen sie, große Massen der wirthschaftlich und sozial schwächsten und widerstandsunfähigsten Elemente zur Arbeit und Ausnutzung heranzuziehen. Nach der Konfektionsindustrie drängen die unglückseligen crwerbsbedllrftigen proletarischen Frauen, welche Mutterliebe und Hausfrauenpflichten vor dem Eintritt in die Fabrik zurückschrecken lassen und die vom trügerischen Schein geblendet in der Heimarbeit ein har­monisches Nebeneinander von Brotfrohn und häuslichem Wirken erhoffen. Der Konfektionsindustrie strömen aus klein- und mittel­bürgerlichen Kreisen die sehr zahlreichen Frauen und Mädchen zu, welche die Roth ebenfalls zum Verdienen zwingt, die aber im dünkel­haften Staudesbewußtsein Fabrik und Werkstatt meiden, um ihr Arbeiterinnensein zu verwischen und abzuleugnen: die Frauen und Töchter der verelendenden Handwerker und Kleingewerbetreibenden, der niederen Handelsangestellten, der unteren Staats- und Ge- meindeb.amten-c. In der Konfektionsindustrie, in einer schmach­vollen Schmutzkonkurrenz, die den eigentlichen Arbeiterinnen das Stück Brot aus der Hand schlägt, suchenbessere Frauen" und höhere Töchter" die Mittel für Tand, Flitter und Näschereien zu erwerben, die ihnen der Wille oder der Geldbeutel des Familien­oberhaupts vorenthält. Und wie überall bei Heimarbeit, so spielt auch in der Kon­fektionsindustrie die Verwendung von Personen eine große Rolle, die nicht mehr oder noch nicht voll leistungsfähig sind, die nur den größeren oder geringeren Bruchtheil einer Arbeitskraft stellen und zu Nebenarbeiten herangezogen werden, für die kein Lohn berechnet wird. Die halb erblindete Mutter der Konfektionsnäherin; ihr be­tagter Schwiegervater mit den schwielenharten, zitternden Händen; ihr Kind, das kaum die zarten Fingerchen regieren kann, oder dem bei der Arbeit vor und nach der täglichen Schulzeit die Augen zu­zufallen drohen: sie alle müssen in der Regel durch Knöpfe auf­heften, Faden schlagen, Heftfäden ausziehen zc. zum Mithelfen, Mitverdienen heran. In der Leistung einer Arbeitskraft stecken fast stets noch die Theilleistungen von halben, Viertels, achtels Arbeits­kräften. Der Unternehmer bezahlt die Arbeitskraft des Mannes, der Frau oder auch die des Ehepaars; was er thatsächlich kauft, ist aber sehr oft der größte Theil der Arbeitskraft der ganzen Familie. Die widerstandsschwachen, widerstandsunfähigen Arbeitskräfte, welche die Konfektionsindustrie zu rekrutiren vermag, sind ihr zum weitaus größten Theile zur schrankenlosen Ausbeutung über­liefert. Für die deutsche Gesetzgebung ist ja die Heimarbeit bis jetzt ein Rührmichnichtan geblieben und auch die Werkstättenarbeit ist gesetzlich nur spottwenig geschützt. Zu den erwähnten Vorbe­dingungen fettester Profite auf der einen Seite, grauenvollsten Elends auf der anderen, gesellen sich noch weitere. Die Möglichkeit für die Unternehmer, einen beträchtlichen Theil der Betriebsunkosten, die Ausgaben für Arbeitsräume, Beheizung, Beleuchtung, für Zu- thaten, Nähmaschinen w. auf die Arbeitenden überzuwälzen; ihre Befreiung von den Lasten der Versicherungsgesetzgebung w. Kurz, die eigenthümlichen Betriebsverhältnisse haben die Konfektionsindustrie zu einem wahren Dorado, einem Goldland für das Unternehmer­thum gemacht, zu einem GeHenna, dem Thale   des Jammers und der Thränen, für die Arbeiterschaft. Die Beschäftigung der KonfektionSacbeiter entbehrt unter dem einschneidenden Einfluß des Wechsels von Hochsaison und Flaue der Sicherheit und Regelmäßigkeit. Wochen fieberhafter Hätz mit gesteigertem Verdienst werden durch Zeiten abgelöst, wo Arbeit und Verdienst kaum nennenswerth ist, ja völlig versiegt. Die Fest­stellungen der Gewerbezählung von 1895 über die Kampagne- und Saisonindustrien erweisen das klärlich. Das Auf und Ab zwischen