Aeußerste ausnutzen, um unsere Interessen zu fördern." Die Aus­führungen des konservativen Blattes enthalten eine glänzende An­erkennung für die politische Einsicht und Reife der norwegischen Proletarierinnen, sie sind andererseits ein Armuthszeugniß für die heillose Wirrköpfigkeit der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen, die in Norwegen   wie anderwärts der Utopie nachjagen, Wolf und Lamm vermählen zu wollen.

Frauenbewegung.

Die Versammlung des Verbandes fortschrittlicher Frauen­vereine hat in Berlin   vom 3. bis 7. Oftober getagt und das von uns in Nr. 20 mitgetheilte Arbeitsprogramm erledigt. Die Verhand­lungen und Beschlüsse der Organisation, welche den linken Flügel der deutschen Frauenrechtelei bildet, weisen in sozialpolitischer und poli­tischer Hinsicht einen zwar kleinen, aber doch bemerkbaren, anerkennens­werthen Fortschritt auf. Wir werden die Arbeit der Versammlung erörtern, sobald ein ausführlicher Bericht darüber in der frauen­rechtlerischen Prefse vorliegt. In Folgendem die Beschlüsse zu den Fragen, welche unsere Leserinnen besonders interessiren:

Arbeiterinnenfrage. Die am 3. Oktober 1901 im Reichs­ tagsgebäude   versammelten Delegirten des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine erkennen an, daß dem Arbeitnehmer, der in einem Abhängigkeitsverhältniß vom Arbeitgeber steht, ein Ausgleich für diese ungünstige Stellung geboten werden muß einerseits durch die Staats­hilfe in Form der Arbeiterschutzgesetzgebung, andererseits durch die Selbsthilfe in Form der beruflichen Organisation. Zur Hebung des Arbeiterinnenstandes hält die Versammlung:

a) die Einführung der obligatorischen Fortbildungsschule,

b) den weiteren Ausbau des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes, c) die berufliche Organisation der Arbeiterinnen

für nothwendig. Die Delegirten verpflichten sich, durch praktische Mitarbeit jeder Art diese Zwecke zu fördern.

Krankenversicherung  . Die heutige Versammlung erklärt hin­sichtlich der bevorstehenden Revision des Krankenversicherungsgesetzes für nothwendig:

1. den Kreis der versicherungspflichtigen Personen derart zu er­weitern, daß er sich mit dem Kreise der der Invalidenversiche­rung unterliegenden Personen deckt,

2. die Mindestleistungen der Krankenkassen allgemein zu erhöhen, 3. die freien Hilfskassen mindestens ebenso lange als gleichberech= tigte Träger der Krankenversicherung bestehen zu lassen, wie Betriebskrankenkassen das Recht eingeräumt wird,

4. eine Regelung des Verhältnisses zwischen Kassen einerseits und Aerzten und Apothekern andererseits.

Dienstbotenfrage. Die am 5. Oktober vom Verband fort­schrittlicher Frauenvereine abgehaltene Versammlung ersucht den hohen Reichstag, baldigst folgende Forderungen gesetzgeberisch in Angriff zu nehmen:

1. Abschaffung der Gesindeordnungen, da diese in rechtlicher Be­ziehung mit dem modernen Arbeitsverhältniß, wie es der Reichsgewerbeordnung zu Grunde liegt, nicht vereinbar sind und die Hausangestellten unter ein Ausnahmegesetz stellen, 2. die Unterstellung der aus dem Dienstverhältniß sich ergebenden Rechtsstreitigkeiten unter die Gewerbegerichte,

3. die Ausdehnung der Reichs- Kranken- und Unfallversicherung auch auf die im Hausdienst Angestellten, die Ausdehnung der obligatorischen Fortbildungsschule auf die Dienenden. In öffentlicher Versammlung gelangte eine scharfe Protestreso­Iution gegen den Zolltarif zur Annahme.

Die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen und das preußische Vereinsgesetz. Die Verhandlungen der Versammlung des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine sind gegen alles Erwarten von polizei­lichen Maßnahmen gestört worden, die sich mit Recht auf das preußische Vereinsunrecht beriefen. Die Vormittagssigung des ersten Verhandlungstages konnte ungehindert, wie vorgesehen, im Reichs­ tagsgebäude   stattfinden. In Folge polizeilichen Eingreifens mußten dagegen die weiteren Sigungen verschoben und im Industriegebäude fortgesetzt werden. Uniformirte Polizeibeamte sollten laut höherer Weisung die Nachmittagssigung am 3. Oktober überwachen. Auf Grund der Verordnung des Reichstagsgebäudes verweigerten jedoch die Reichstagsbeamten der Polizei den Zutritt zu der Sitzung. Um der Verwaltung des Reichstagsgebäudes einen Konflikt mit der Polizei zu ersparen, beschlossen die Versammelten, auszuwandern und ihre Tagung im Industriegebäude fortzusetzen. Allein auch hier ging die Wiederaufnahme der Arbeiten Dank des preußischen Vereinsrechts nicht ohne Hindernisse vor sich. Die Sigungen mußten als öffentliche Versammlungen polizeilich angemeldet und genehmigt werden und durften erst Sonnabend stattfinden, nachdem vorschriftsmäßig 24 Stunden

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seit Erledigung dieser Formalität verstrichen waren. Sehr mit Un­recht erblicken die radikalen Frauenrechtlerinnen in dem Vorgehen der Polizeibehörden eine Ueberschreitung von deren Machtbefugnissen. Die Polizei hat nur gethan, was ihres Amtes ist, was ihres Amtes sein muß auf Grund des geltenden Vereinsrechts. Dieses Recht ist Dank der früheren Toleranz der Behörden für die bürgerlichen Frauen­rechtlerinnen wohl in seinem reaktionären Wesen gemildert, aber nicht aufgehoben worden. Daß von ihm zum ersten Male bürgerliche Damen als gleichberechtigt behandelt wurden, ist eine amtliche Quit­tung für die Fortschritte der bürgerlichen Frauenbewegung. Und diese Quittung verpflichtet. Sie verpflichtet die Frauenrechtlerinnen, endlich mit aller Energie für die Beseitigung der bekannten vereins­gesetzlichen Bestimmungen in Preußen und anderen Bundesstaaten zu kämpfen, statt sich in der Gnadensonne behördlicher Koulanz" lässig zu dehnen.

Eine frauenrechtlerische Protestversammlung gegen das Vorgehen der Polizei fand am 7. Oktober statt und war glänzend besucht. Als offizielle Wortführerin der Frauenrechtlerinnen vertrat Frl. Augspurg den Standpunkt, daß es sich bei dem Vorgehen der Polizeibehörden gegen die Versammlung des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine um eine Ueberschreitung der Amtsgewalt handle, gegen die man sich beim Oberpräsidenten beschweren und eventuell im Ver­waltungsstreitverfahren flagen werde. Das Verlangen der preußischen Polizei, die Verhandlungen eines im Reichstagsgebäude   tagenden Kongresses auf Grund des preußischen Polizeigesetzes durch unifor­mirte Beamte überwachen zu lassen, sei schon deshalb unberechtigt, weil das Reichstagsgebäude   dem Reiche überantwortet sei und damit aus dem preußischen Staatsgebiete ausgeschieden wäre. Sie bestreite, daß der Kongreß, abgesehen von der Dienstbotenfrage, sich mit öffent­lichen Angelegenheiten im Sinne des Gesetzes beschäftigt habe. Ohne jede Begründung stellte die Rednerin die Behauptung auf, die Sozia­listin Klara Zetkin   habe in der Gleichheit" den Frauenkongreß denunzirt, und so Herrn von Windheim aus dem Gleichgewicht ge= bracht." Wir setzen uns an anderer Stelle mit dieser abgeschmackten, gehässigen Verdächtigung auseinander. Diese sofort in der Versamm­lung zurückzuweisen, war unmöglich, da keine Diskussion stattfand. Frl. Augspurg verkoppelte im weiteren Verlaufe ihrer Rede ihre fritischen Ausfälle gegen Polizeigeist und Polizeiwirthschaft mit dem frommen Wunsche, die Polizei sollte foulanter sein, wie sie schon häufig Koulanz gezeigt habe". Sie endete mit einem Kampf­rufe gegen alle Landesgesetze, welche das Vereins- und Versammlungs­recht beschränken, insbesondere aber gegen das preußische Vereins­gesetz und der Forderung eines freiheitlichen Vereins- Reichsgesetzes. Die eingeladenen freisinnigen Reichstagsabgeordneten Träger und Kopsch bekundeten den fortschrittlichen Frauenrechtlerinnen ihre Sympathie. Trefflich sprach der dritte eingeladene Redner, der Nationalsoziale Herr v. Gerlach. Mit Genugthuung müsse es die bürgerliche Frauenbewegung erfüllen, so führte er aus, wenn die Polizei das Gesez auch gegen sie so scharf anwende, wie gegen die Proletarierinnen. Ihr Vorgehen zeige, daß die bürgerlichen Frauen ein gut Stück weiter vorwärts geschritten seien. Und mit Freuden sei es zu begrüßen, daß in Folge des Verhaltens der Polizei auch in den bürgerlichen Frauen der Gedanke wach werde, für den die Proletarierinnen schon lange fämpfen: Fort mit unserem Vereins­gesetz. Die Versammlung nahm mit allen gegen zwei Stimmen eine Protestresolution an, welche das Vorgehen der Behörden als einen unwürdigen Mißbrauch der Polizeigewalt" brandmarkt, Aufhebung aller landesgesetzlichen Vorschriften über Vereins- und Versammlungs wesen und reichsgesetzliche Regelung des Vereinsrechts fordert.

Die Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Frauenvereins hat vom 30. September bis 2. Oktober in Eisenach  getagt. Sie beschloß unter Anderem eine Statutenänderung, nach der das Programm des Vereins in Zukunft lauten soll: a) Befreiung der Berufsarbeiten der Frau von allen ihrer Entfaltung entgegen­stehenden Hindernissen. b) Belebung des Interesses für hauswirth­schaftliche und gewerbliche, wissenschaftliche und künstlerische Berufs­bildung des weiblichen Geschlechts. c) Förderung der thätigen An­theilnahme der Frauen an den kulturellen und sozialen Arbeiten unserer Zeit. d) Förderung der Rechte der Frau im privaten und öffentlichen Leben." Wir werden auf die Verhandlungen der General­versammlung in nächster Nummer zurückkommen.

Sozialistische Frauenbewegung im Auslande.

Eine sozialistische Zeitung für die belgischen Frauen herauszugeben, haben die Genossinnen beschlossen. Die Zeitung soll vom 1. Oktober ab in französischer und vlämischer Sprache erscheinen und sich in der Hauptsache mit dem Frauenstimmrecht beschäftigen. Eine Nummer des Blattes ist uns bis jetzt noch nicht zugegangen.

Berantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Bettin( Bundel) in Stuttgart.  - Druck und Berlag von J. H. W. Dies Nachf.( G. m. b.§.) in Stuttgart  .