RR. Jahrgang. " Nk«lriM. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen. DieGleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post(eingetragen unter Nr. 2973) vierteljährlich ohne Bestellgeld KS Pf.; unter Kreuzband SS Pf. JahreS-Abonnement Mt. 2.60. Stuttgart  Mittwoch den so. November 1901. Zuschriften an die Redaktion derEleichheit« sind zu richten an Frau Klara Zetkin  (Zundel). Stuttgart  , Blumen- Etraße s«, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach-Straße IS. Nachdruck ganzer Artikel nur mit Ouellcnangabc gestattet. Jnhalts-Berzeichniß. Die Hausindustrie. Von u. br. Der zweite Verbandstag der fortschritt­lichen Frauenvereinc. Aus der Bewegung. Feuilleton: Hartingers alte Sixtin. Von L. Anzengruber.(Fortsetzung.) Notizentheil: Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Gewerkschaftliche Arbeiterinncnorganisation. Sozialistische Frauenbewegung im Aus­lände. Frauenbewegung. Verschiedenes. Die Hausindustrie. Schon oft haben wir in unserem Blatte auf die tiefen Schäden der Heimarbeit hingewiesen und Schilderungen des Ar­beiterelends in dieser weitverzweigten und stark verbreiteten Be­triebsform der modernen Industrie veröffentlicht. Die Arbeiterinnen haben allen Anlaß, sich um die einschlägigen Verhältnisse zu be­kümmern, denn in der Hausindustrie sind weit mehr Frauen ver­treten, als in der Fabrikindustrie. Während in der letzteren noch die große Mehrheit der Beschäftigten zu den Männern gehört, ist sicherlich weit mehr wie die Hälfte der in der Hausindustrie Aus­gebeuteten weiblichen Geschlechtes. Die Statistik läßt uns freilich mit ihren betreffenden Angaben völlig im Stiche. Kenner der Hausindustrie, ja selbst amtliche Statistiker haben längst festgestellt, daß unsere Gewerbestatistiken nur einen Bruchtheil der Haus­industrie erfassen können. Trotz der Mängel der Statistik herrscht jedoch kein Zweifel, daß Hunderttausende Arbeiterinnen von zeitlich Früh bis Mitternacht und oft auch noch länger hausindustriell thätig sind. Neben diesen Hunderttausenden arbeiten aber noch Andere täglich ihre 11 Stunden in der Fabrik, und nehmen dann Arbeit mit nach Hause, um noch viele Stunden, nicht selten bis der Morgen graut, weiter zu schaffen. Diese mörderischeste Form des industriellen Betriebs breitet sich immer mehr aus. Ganz in ähnlicher Weise wie die Fabrik­industrie ständig zunimmt, im Gegensatz zum Handwerk, das im Absterben begriffen ist, sehen wir die Hausindustrie immer mehr Gebiete erfassen, immer größeren Umfang annehmen. Wohl kann sich die Hausindustrie gegenüber der Konkurrenz der Riesenbetriebe in den meisten Textilindustrien nicht erhalten, sie führt da einen aussichtslosen Daseinskampf, der den Arbeitern und Arbeiterinnen immer steigende Entbehrungen auferlegt. Sie nimmt aber sonst fast überall zu, wo sie einmal Boden gefaßt hat. Selbst die in Bezug auf die Hausindustrie völlig ungenügenden Berufs- und Gewerbestatistiken von 1882 und 1895 lehren durch ihren Ver­gleich, daß die Hausindustrie immer weitere Kreise zieht. Bekannt ist dies von den Konfektionsindustrien und der Putzmacherei, wie der Wäschefabrikation, aber ebenso ist es der Fall in der Schuh­macherei, in der Tabakfabrikation, in den Industrien der Dreh- und Schnitzwaaren, in der Korbmacherei, in der Sattlerei, den Spielwaarenindustrien, der Spitzenverfertigung, der Weißzeugstickerei, in der Musikinstrumentenfabrikation, in der Gummi- und Haar­flechterei u. s. w., u. s. w. Fast in allen diesen Hausindustrien spielt die Frauenarbeit eine außerordentlich große Rolle. In einer ganzen Reihe derselben übersteigt die Zahl der weiblichen Arbeiter weit die Zahl der hier thätigen Männer. Einzelne dieser In­dustrien beschäftigen allein Zehntausende von Arbeiterinnen. Die steigende Ausbreitung der Hausindustrie ist aber wohl die bedenklichste Erscheinung in unserer industriellen Entwicklung. In der Hausindustrie fehlt jeder ernsthafte Arbeiterschutz. Hier sehen wir das Kind, das kaum das Laufen gelernt hat, und die Greisin, die nur schwer die Finger rühren kann, noch thätig; hier giebt es keine Begrenzung der Arbeitsstunden, kein Verbot der Nachtarbeit, kein Ruhen der Arbeit an Sonn- und Feiertagen. Hier fehlt jeder Schutz der Wöchnerinnen, der Schwangeren, der jugendlichen Arbeiter und Kinder; hier herrscht die ständige An­treibung der Arbeitskraft durch den nie ruhenden und nichts kosten­den Antreiber, den Hunger. Von einer Gewerbeaufsicht ist keine Rede. Die engen Wohn- und Arbeitsstätten der Hausindustriellen bilden die Ausgangspunkte schwerer Epidemien; hier hat die Schwindsucht ein weites Feld, wo sie Jung und Alt niedermäht. Staat und Gesellschaft stehen diesem äußersten Raubbau mit der menschlichen Arbeitskraft gleichgiltig gegenüber. Ruhig sehen sie zu, wie Tausende junger Menschenknospen in der vergifteten Atmosphäre der Hausindustrie dahinwelken, wie Zehntausende hoffnungslos tagaus, tagein für Bettelgroschen ihre Arbeitskraft aufs Aeußerste anspannen. Aber auch die Hausindustriellen selbst fühlen nicht die Größe ihres Elends und denken nicht daran, sich gegen ihre Ausbeutung zu stemmen. 99 von 100 unter ihnen sind zu sehr verelendet, als daß sie überhaupt noch zur Erkenntniß ihres Jammers kommen können. Sie tragen ihre Roth als ein schweres Schicksal, sie haben keine Hoffnung, ihm je zu entrinnen; sie haben keine Kraft, sich aufzubäumen, sie haben keinen Sinn mehr, sich zusammenzuscharen, um einen gemeinsamen Widerstand zu leisten. Den Meisten von ihnen ging die Fähigkeit verloren, sich zu organisiren, mit einem wehmüthigen Lächeln weisen sie den Gedanken zurück, in Gewerkschaften sich zu schulen, und dann für eine bessere Existenz zu kämpfen. Sie glauben nicht mehr an Er­folge, und sie würden auch nicht festzuhalten vermögen, was sie sich erringen könnten. Das klassische Gebiet der Arbeitswilligen nannte vor nicht langer Zeit der bürgerliche Nationalökonom Lujo Brentano   die hausindustrielle Arbeiterschaft. In der Hausindustrie ist thatsäch- lich das Ideal der Scharfmacher erfüllt. Hier sehen wir Hundert­tausende, die sich alles bieten lassen, die nie den Gedanken an Wider­stand zu fassen wagen, die an keinen Streik denken. Kurz die vollständige Verwirklichung des Zukunftsstaats unserer Arbeiter­feinde. Die Thatsache allein, daß die zu Fleisch und Blut ver­körperten Unternehmerideale zur tiefsten Verelendung des Prole­tariats führen, müßte die Arbeiter anstacheln und aufrütteln zum schärfsten Klassenbewußtsein. Die Proletarier, die noch nicht dem schwärzesten Elend anHeim gefallen sind, haben sich nicht nur ihrer Haut zu wehren. Sie müssen vielmehr auch dafür sorgen, daß die Ursachen der Verelendung nicht immer weiter und weiter um sich greifen. Es fällt ihnen die Aufgabe zu, all ihre Kraft ein­zusetzen, um der gekennzeichneten Richtung der industriellen Ent­wicklung ein Halt zu gebieten, um die Arbeiter und Arbeiterinnen der Hausindustrie aus ihrem Elend zu retten. Wohl sind wir überzeugt, daß es eines der Ziele der kämpfenden Arbeiterklasse sein muß, an Stelle der Hausindustrie die Arbeit in Fabriken zu setzen. Aber wir wissen auch ganz Wohl, daß es für den Augen­blick nicht möglich ist, die Hausindustrie durch gesetzliches Verbot oder durch Kämpfe der organisirten Arbeiterschaft aus der Welt zu schaffen. Ein weiter Weg muß zurückgelegt werden, bis das Ziel erreicht ist! Niemand von uns wird aber die Hände in den Schoß legen, weil nicht alles mit einem Schlage durchgesetzt wer-