welche höhere Mädchenschulen und Gymnasien besuchen. Die kleineThatsache, daß die zu erziehenden Geschlechter sich nicht auf dieseSchichten beschränken, daß sozial unter denselben viele Millionen Erziehungsbedürftiger stehen, ließ es völlig außer Acht. Es rührte nichtan das Grundübel des heutigen Bildungswesens: die Klassensonde-rung; es forderte nicht jene Reform, welche der Grundstein jedergroßzügigen Hebung der Schulbildung ist: die Einheitsschule. ZurFrage der gemeinsamen Erziehung der Geschlechter in den höherenSchulen entwickelte die Reserentin zutreffende Gedankengänge, die siedurch interessantes Material stützte. Unter Anderem führte sie aus,daß die gemeinsame Schulerziehung dilliger ist, eine gute Schuldisziplin erleichtert, sich inniger an die Familienerziehung anschließtund diese fortsetzt, günstigere Unterrichtsresultate giebt und die geschlechtliche Spannung im Verkehr der Geschlechter während derEntwicklungsjahre mindert.Frl. vr. zur. Raschke gab in ihrem Referat über die„Einrichtung von Rechtsschutzstellen" einen kurzen geschichtlichenUeberblick über die Entwicklung dieser Institute. Zum Zwecke einesumfassenden Wirkens und einer Hebung der Stellung der Frau redetesie in dem Zusammenschluß aller Rechtsschutzstellen zu einem Vereindas Wort. Das Referat und die sehr regen Debatten über die„Dienstbotenfrage" bewegten sich im Rahmen der bereits mit-getheilten Resolution(Nummer 22). Herr l)r. Silbermann polemisirtein seinem Vortrag über das„Krankenversicherungsgesetz" gegendie„sozialdemokratischen" Ortskrankenkassenverwaltungen und ihre„politischen Tendenzen", hatte aber nach den vorliegenden Berichtenkein Wort der Kritik, geschweige des Kampfes gegen die reaktionäreTendenz der Regierung, das Selbstverwaltungsrecht der Kassen zuschmälern. Die angenommene Resolution enthält nicht die Forderung,das Krankenkassengesetz zu Gunsten eines wirksamen Schutzes derWöchnerinnen und Schwangeren zu reformiren.Im Anschluß an den Verbandstag fanden drei öffentliche Volksversammlungen statt, die sich mit„Hygiene und Sittlichkeit",dem„Zolltarifgesetzentwurf" und dem„Vereins- und Versammlungsrecht" beschäftigten. Ueber„Hygiene und Sittlichkeit"sprach Dr. Flesch-Frankfurt. Seinen trefflichen Ausführungen überdie hygienische Seite der Prostitutionsfrage fehlte leider vollständigdie nöthige Ergänzung nach der ökonomischen und sozialen Seite hin.Diese wurde erst in der Diskusston von mehreren Rednern gestreist,von vr. Blaschko gedrängt, aber erschöpfend gegeben. Zur Zollfragereferirten Frl. Augspurg und Herr v. Gerlach. Der frauenrechtlerischeProtest wendete sich scharf gegen den geplanten Zollwucher, enthielt„Der hochwürdige Herr— Gott lohn es ihm— hat anDeinen Vater geschrieben und der hat mich daher auf seinen Hofkommen lassen, all mein Vergehen und Verschulden ist bei ihatwie unterm Beichtsiegel gelegen und ich Hab' wieder mit Menschenumgehen dürfen. Das vergess' ich ihm nicht, solang ich dasLeben Hab', und dafür bet' ich zu Gott, daß er es ihm vergeltemit guten Tagen auf Erden und dermaleinst im Himmel droben.Daß ich aber Dich, sein Kind, sein einziges Kind dabei betroffenHab', den ersten Schritt auf dem Weg zu thun, den ich gegangenbin, das hat mir meine Geschichte aus der Seel' und dem Herzenherausgerissen. Zu was wär' denn all der Jammer in der Weltund zu was erlitten wir ihn denn, wenn es nicht einmal zu einerLehr' und Mahnung für Andere gut war'?! Sopherl, laß Dichbedeuten, glaub nit, ich wüßt' nit, wie das Blut dagegen rebellirtund braust, bis es im Ohr klingt, als wollt' es keine vernünftigeEinred' gelten lassen, aber denk an mich, denk an die arme Sixtin,bei der es auch nur der eine, einzige Schritt war, den Du heutvorgehabt, der sie bergunter geführt. Bedenk, was eben wir bedenken müssen, daß durch uns leicht eins mehr in der Welt zählt,und dann besinn Dich, was Du all' Liebes und Gutes von Kindauf bis zum heutigen Tage im Elternhaus genossen hast, undDu wirst wünschen, daß es Dein Kind nicht schlechter habe; dazubraucht's aber auch ein Vaterhaus und zwei, die sich an seinerWiege freuen."„Sixtin!— Ich will uns nur schnell ein Licht machen.—Du bleibst heut bei mir und auch für künftig brauchst blos: gluck,gluck zu rufen, so renn' ich Dir unter die Flüg' wie die Küchleinder alten Henn'. Du bist doch eine gute, rechtschaffene Sixtin,Du! Hast Du's wohl gemerkt, Sixtin, daß der Vater jetzt soviel weiße Haar kriegt? Schau, ich mein', er thät' mich nit fortjagen, aber ihn brächt's etwa gar in d'Erd."„Sopherl,— mußt nit so närrisch thun, weil ich Dir dieaber keine grundsätzliche Verurtheilung des Systems der Zölle undindirekten Steuern auf Lebensbedürfnisse. Auch in dieser Beziehungdokumenlirte sich die radikale Frauenrechtelei als Bein vom Bei» undFleisch vom Fleisch der besitzenden Klassen.Alles in Allem that der Verbandstag dar, daß der linke Flügelder bürgerlichen Frauenbewegung vorwärts gehen will und vorwärtsgetrieben wird. Aber statt in gerader Linie, von einem bestimmten,festbegrenzten Programm geführt dem Ziele zuzumarschiren, tänzeltund tändelt er in wundersamen Windungen zwischen allen sozialenStrömungen und allen politischen Parteien hin und her, sich jedochmehr und wehr dem bürgerlichen Freisinn und den Nationalsozialennähernd. Erklärlich genug. Hinter den radikalen Frauenrechtlerinnenstehen die nämlichen sozialen Schichten wie hinter Freisinnigen undNaumannianern. Der Verbandstag hat die Verworrenheit und Zerfahrenheit der radikalen Frauenrechtelei in Helles Licht gerückt, aberihr nicht abgeholfen. Die Direktiven, die er gab, sind so allgemeinerNatur, daß sie nichtssagend werden. Sie erlaube», daß auch künftighin jeder Verbandsverein, jede Person in sozialpolitischer und politischer Beziehung auf eigene Faust fortwurstelt. Wohl deuten sienach vorwärts, aber sie bedingen keinen einheitlichen Marsch mitZusammenfassung aller vorhandenen Kräfte. Es sind die Beschlüsseeines sozialpolitische» Diskutirklubs, aber nicht die einer sozialen,einer politischen Kampsesorganisation.Aus der Bewegung.Bon der Agitation. In drei äußerst stark besuchten Protest-versammlungen gegen den geplanten Brotwucher sprach GenossinZietz-Hamburg Ende Oktober in den Lippeschen Orten: Detmold, Oerlinghausen und Lemgo. Erfreulicher Weise waren inden drei Versammlungen die Frauen stark vertreten, auch viel bürgerliches Publikum wohnte ihnen bei. Der ReichstagsabgeordneteMeyer-Jobst, der auf den Krücken der Arbeiter in den Reichstaggehumpelt, nachdem er sich ihnen gegenüber zuvor auf ein Mindestprogramm verpflichtet, hat der„Lippeschen Post" zufolge erklärt, erwerde für den Zolltarif stimmen. Er war deshalb brieflich zu denVersammlungen eingeladen worden, aber nicht erschienen. Seine anwesenden Parteigenossen, echte Freisinnsmannen, hüllten sich inSchweigen. Jubelnd stimmten die Anwesenden der verurtheilendenKritik zu, welche Genossin Zietz am Zolltarifentwurf und den Befürwortern desselben, sowie an dem Verhalten des Abgeordneten Meyer-Händ' küssen will. Du weißt nit, was Du mir für eine Wohl-that erwiesen hast! Mein' ich ja doch, ich Hütt' Dein'm Vaterall sein' Wohlthat und Menschlichkeit ein klein wenig vergolten,weil Du Dich hast abreden lassen. Dafür segn' Dich Gott,bescher Dir ein' braven Mann und Kinder, an denen Du Freud'erlebst." 5Außen lag weithin stille, laue Nacht. An dem Zaune, längsdem Garten, strich ein Bursche dahin und pfiff ein Liedel, bis erzu dem Holunder kam, da stellte er das Pfeifen ein und lachteden Strauch vertraulich an; dann schlich er lautlos weiter bis zumVorgärtel, kaum hatte er dort den einen Fuß über die Umfriedunggesetzt und wollte den anderen sacht nachziehen, so knarrte daskleine Gartenthürcheu, das meist nur angelehnt stand, und durchdie Dunkelheit schoß etwas auf ihn zu. Rasch zog er das Beinzurück.„Das is das verhöllte Malefizvieh, der Phylax", murmelteer.„Auf den hab'n wir ganz vergessen. Phylaxl, geh, geh, seiein g'scheites Hunderl, wirst mich ja wohl kennen, mich,'n Auhofer Steffel?" Wieder versuchte er es, mit einem Fuße überden Zaun zu setzen, diesmal aber mit aller Vorsicht und allemBedacht.Der derbe, breitgebaute Köter hüpfte vor Aufregung fortwährend mit den Vorderbeinen fingershoch vom Boden empor undhielt den Kopf immer schiefer, je näher ihm die Wade des Burschenkam; er zeigte offenbar die Absicht, wenn sie ihm bequem läge,zuzuspringen und hineinzubeißen. Es war ihm anzumerken, daßer nicht gesonnen sei, das Lob eines guten Hunderls zu verdienenund Tagesbekanntschaften zur Nachtzeit zu respektiren. Er fuhrzu, mit einem unterdrückten Schrei sprang der Bursche zurück.(Schluß folgt.)