Und ist es nidbt die Proletarierin, die so gut wie ihre Brüder der Frohn und des Leidens, der Hoffnung und des Kampfes, unter diesem Stande der Dinge leidet, ja vielfach noch mehr wie diese ihre Brüder? Bessere Bildung, welche das Auge klarblickend, das Herz begeisterungs- und opferfähig, den Willen kühn macht, bedarf sie, die künstlich in Rückständigkeit und Stumpfsinn Ge­haltene, so dringend wie jene. Noch weniger als ihre Klasscn- genossen kann sie, die sozial Schwächere, die um ihrer Mutterschaft und deren Bei pflichtungen willen Rücksichtsbedürftigere, durchgreifen­der sozialer Resoruien entrathen. Erweiterung und Sicherung der politischen Freiheiten ist für sie, die politisch Rechtlose, von höchstem Werihe als eine Bürgschaft dessen, daß die Stunde näher rückt, in welcher das Ende ihrer politischen Unmündigkeit vor dem Gesetz schlägt. Allein ist nicht jede Reform, welche die Proletarierin als Angehörige der ausgebeuteten Klasse, welche sie als Angehörige des sozial unter­drückten weiblichen Geschlechts heischen muß, in den Junkern und Junkergenossen den tödtlichsten Feinden begegnet? Daß die Mauern der Junkerherrschaft gebrochen und geschleift werden, ist eine un­erläßliche Vorbedingung dafür, daß das Proletariat siegreich zur politischen Macht emporsteigt, daß die Proletarierin gleich gerüstet, gleich wehrtüchlig, wie der Proletarier die Schlachten um Macht und Befreiung mitschlägt. Nieder mit dem Zollwucher, nieder mit der Junkerherrschaft muß deshalb im neuen Jahre vor Allem die Tageslosung der proletarischen Frau sein, die leidbebürdet aber zukunftsfroh dem inbrünstigen Sehnsuchtsschrei: Sozialismus, dein Reich komme, den heiligen Eidschwur hinzufügt: Sozialismus, ich kämpfe für dein Reich. Denn auch in ihre Hand ist die Macht gegeben, das ihrige dazu zu thun, auf daß der unstillbare Beutehunger Derer gebändigt werde, die schon ohnehin auf Kosten des ausgebeuteten Volkes Satte und Uebersättigle sind; das grenzenlose Herrschafts­gelüste Jener zu zügeln, die bereits heute in brutaler Gewaltfülle den Fuß auf den Nacken der proletarischen Massen setzen. Ge­bieterisch weisen die Reichstagsverhandlungen um den Zolltarif­entwurf darauf hin, daß die Proletarierin diese Macht nütze. In wünschenswerthester, handgreiflicher Deutlichkeit lassen sie in Er­scheinung treten, wo die letzte Entscheidung über die sträflichen Absichten zur Auspowerung und Verknechtung der Arbeiterklasse fällt, und wer sie fällt. Nicht im Reichstag können die profit- und machtgierenden Zollwuchcrer von einer parlamentarischen Majori­tät geschlagen werden, es müssen sie vielmehr die proletarischen Blassen außerhalb des Parlaments niederringen. In der That, welches ist die Kampfessituation, die durch die vieltägige erste Schlacht um den Tarifentwurf enthüllt wurde? Mit Haut und Haar hat sich die Reichsregierung das beweist das Rededefils der Minister den Brotverlhcurern verschrieben. Und Arm in Arm mit der Regierung des Zollwuchers marschiren die bürgerlichen Mehrheitsparteien des Reichstags, marschiren die kleineren bürgerlichen Fraktiönchen der Polen und Elsässer. Hohn­lachend stampfen die Träger der Theuerungspolitik über jedes Be­denken hinweg, das die Rücksicht auf das Wohl der Massen dem eingeleiteten Beutezug in den Weg stellt. Ihr Ohr hört nicht den Schrei der Plage, der dumpf, verzweifelt aus Millionen Kehlen bricht; ihr Auge ist blind für das bergehoch sich häufende Elend der Werkthätigen. Den Massen die Sklavenpflicht uns tribut- und schurpflichtig zu sein; uns das Herrenrecht die Massen zu scheren: das ist die Moral der Zollfrevler. Ungetrübt durch jede Senti­mentalität klingt sie aus den beiden geflügelten Worten heraus, welche die Schilderung blutigsten Jammers den Reihen der Herren entlockte. Aus Rösickes Wort des Hohnes für den Hunger:Ich esse auch Kartoffeln", aus Graf Arnims Wortder Lästerung des Hungers":Ter Vater wird wohl alles versoffen haben." Kaum jemals ist eine schlechte Sache schlechter, erbärmlicher vertheidigt worden, als es mit dem Zollwucher im Reichstag ge­schehen. Seine Nutznießer und Zutreiber können auf ernste Necht- fertigungsgründe als auf einen überflüssigen Luxus verzichten. Sie wissen sich in den gesetzgebenden Körperschaften im Besitz der Macht, und sie sind willens, diese ihre Macht zu brauchen und zu miß­brauchen, dafern sie nur können. Auch nicht die vortrefflichsten, die unanfechtbarsten Gründe sind Schranken, an denen ihre Macht, ihr Wille zerschellt. Macht kann nur durch Macht gebrochen werden.

Der Junkermacht in den gesetzgebenden Körperschaften gilt es die Volksmacht außerhalb derselben entgegenzustellen. Die Opposition der bürgerlich Freisinnigen und Volks­parteiler ist aber ohnmächtig, eine große Volksbewegung zu ent­fesseln. So gründereich, so sachkundig, so scharf zum Theil auch die Reden der Richter, Gothein, Payer, Pachnicke sind, es fehlt ihnen die Zauberkraft, welche die breiten Massen zum politischen Leben weckt und zum politischen Kampfe führt. Sie muß ihnen fehlen, denn ihre Auffassung geht nicht über die bürgerliche Ge­sellschaft hinaus, ihre Kritik tastet diese nicht an. Die Sozial­demokratie dagegen läutet mit ihren Parlamentsreden die Sturm­glocke, welche die proletarischen Massen zur Vertheidigung ihrer Interessen auf die Schanze ruft. Denn in diesen Reden pulsirt die zwingende Kraft der großen Leidenschaft, die einzig und allein von einem grundsätzlichen Kampfe ausgelöst werden kann. Ihre Kritik wendet sich mit voller Wucht und Schärfe gegen die kapi­talistische Ordnung, deren legitimes Kind der Zollwucher ist. Sie weisen iiber die Beutepläne der Junkersippe hinaus dem Kampfe der Massen ein höheres Ziel: die Beseitigung des Kapitalismus, den Aufbau einer neuen Welt. So wird die Sozialdemokratie zur Wecke: in, Organisatorin und Führerin der Massen, der Volks­bewegungen großen S�ils. Sicherlich ist es den agrarischen und industriellen Schnapphähnen äußerst schmerzhaft, von den Molken- buhr, Bebel und Singer im Reichstag nicht mit den freisinnig­bürgerlichen Peitschen gezüchtigt zu werden, wohl aber mit den sozialdemokratischen Skorpionen. Jedennoch größer als ihr Schmerz ist ihre Wuth darüber, daß jeder ihnen ausgetheilte sozialdemo­kratische Hieb die Massen außerhalb des Reichstag; aufrüttelt und für den Kampf begeistert. Siegreich wird die Sozialdemokratie über den Zollwucher Hinwegschreilen, wenn es ihr gelingt, im Kampfe wider ihn die Massen der bedrohten Ausgebeuteten hinter sich zu sammeln. Die im alten Jahre kraftvoll eingeleitete Protestaktion darf während der Zeit der Kommissionsberathungen nicht abflauen. Ilmgekehrt, sie muß im neuen Jahre mächtiger und mächtiger anschwellen, bis ihre Wogen über dem Zollwucher zusammenschlagen. So halb­absolutistisch auch gegenwältig im Deutschen Reiche die Zeitläufte sind: Regierungen und Volksvertretungen müssen unter der Herr­schaft des allgemeinen gleichen und direkten Wahlrechts immerhin mit Massenbewegungen rechnen. Die Majorität, welche heule noch den Wagen der Zollwuchcrer zieht, schiumpft morgen zu einer Minorität zusammen, wenn der weisen Einsicht der Volksvertreter durch die weisere Furcht vor dem Zorn und dem Abfall der Wählermassen auf die Beine geholfen wird. Wie bei dem Zucht­hausgesetz, so muß auch bei dem Zollwucher die parlamentarische Tugend mit dem Schrecken vordem Massenschritt der Arbeiter­bataillone" regiert werden. In allen großen Volksbewegungen gegen den Lebensmittel­wucher sind die Frauen in erster Reihe gestanden. Von furchtbarer Roth aufgepeitscht waren es die Frauen des Pariser Volkes, die am 5. und 6. Oktober 1789den Bäcker und die Bäckerin" (König Ludwig XVI . und Marie Antoinette ) aus Versailles nach der Hauptstadt zurückführten. Mögen die drohenden vieläugigen Plagen die deutsche Proletarierin bestimmen, sich als tragende und treibende Kraft der Volksbewegung gegen die Beutepolitiker zu bethäligen. Sie sei eingedenk, daß mancher Zollwucherer nicht blos von Gnaden männlicher, wahlberechtigter Dummheit in dem Reichs­tag sitzt, sondern auch dank weiblicher nicht wahlberechtigter Gleich- giltigkeit und Rücksländigkeit. Kampfesgenossinnen, ans Werk, um in der entferntesten Hütte, um in der trostlosesten Werkstatt die proletarischen Frauen zu Wissenden, Wollenden und Kämpfenden zu schulen, sie als bewußte, unversöhnliche Gegnerinnen dem Zoll- wucher entgegenzustellen! Es gilt hohem Preise. Ter Zollwucher schädigt die KampfeStüchtigkeit des Proletariats im Ringen um seine Befreiung. Der Zollwucher hemmt heute in Deutschland die wirthschaftliche Entwicklung, welche die materiellen Voraussetzungen der sozialistischen Gesellschaft zeitigt. Der Zollwucher stärkt die Geldsacksgewalt und politische Macht der arbeiterfeindlichsten, reaktio­närsten Klassen. Nieder mit ihm!