Wärterinnen hatten wir erfahren, der Herr Inspektor sei zwar streng, aber sonst nicht übelwollend ihnen gegenüber. Und da derselbe auf unser erstes Schreiben sofort geantwortet hatte, wandten wir uns Mitte Januar nochmals an ihn mit dem Ersuchen, uns über den Stand der Angelegenheit Aufschluß geben zu wollen. Daraufhin erhielten wir auch von dieser Seite keine Antwort. So blieb uns denn nichts weiter übrig, als die öffentliche Meinung aufzurufen gegen die maß­lose Ausbeutung armer, wehrloser Frauen, die mitten in dem Gewühl und Getriebe der Großstadt ein völliges Einsiedlerleben unter Um­ständen zu führen gezwungen sind, die unbedingt zum physischen Ruin und geistiger Stumpfheit führen müssen. Angesichts der Halsstarrigkeit der Direktion gilt es nicht nur, nach­drücklich für die Interessen der Wärterinnen zu wirken, sondern es wäre jedenfalls auch zu erwägen, ob es nicht angezeigt sei, mit ganzer Kraft dafür einzutreten, daß derHamburgerStaat selbst die Verwal­tung der Bedürfnißanstalten übernimmt und sie so einrichtet, wie die schon vorhandenen städtischen Anstalten. Der Pachtkontrakt geht, wenn wir recht unterrichtet sind, nächstens seinem Ende ent­gegen. Bei Uebernahme der Anstalten seitens des Staates könnte nach zwei Seiten hin die dringend nöthige Reform eintreten: die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Wärterinnen könnten nach humaneren Grundsätzen geregelt und für das Publikum könnten Anstalten zur unentgeltlichen Benützung einge­richtet werden. Vorläufig ist die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf die vorliegenden schier unglaublichen Verhältnisse gelenkt worden, und die öffentliche Meinung ist ein Faktor, auf den unter Umständen auch derVerein für hygienische Zwecke" Rücksicht nehmen muß. Aus der Bewegung. Bon der Agitation. Im Auftrag des Vorstandes von Gau 14 des Fabrikarbeiterverbandes sprach Genossin Tröger-Offen­bach Ende vorigen Jahres in Versammlungen zu Ludwigshafen , Friese»heim, Frankenthal , Neustadt und Hettenleidenheim. Die Versammlungen waren überall gut besucht und führten der Or­ganisation eine stattliche Anzahl neuer Mitglieder zu. In Franken­ thal erklärten männliche Verbandsmitglieder, sie hätten nun die Ueberzeugung gewonnen, daß die Frauen so gut wie die Männer auf geistigem Gebiete leistungsfähig seien, sie würden sich in dieser ihrer Ueberzeugung auf keiner Gaukonferenz mehr beirren lassen. In Hettenleidenheim hatten sich die Herren Grubenbesitzer mit- sammt dem Herrn Pfarrer am Bahnhof eingefunden, als der Zug einlief, welcher die Referentin brachte. Sie wolltendie gefährliche Person" zuerst und in nächster Nähe sehen, um sie dann in der Ver­sammlung um so besservernichten" zu können. Vollzählig waren die Herren in der Versammlung erschienen. Als aber der Vorsitzende am Schlüsse des mit rauschendem Beifall aufgenommenen Referats die Gegner aufforderte, sich zum Worte zu melden, da die anwesen­den Arbeitgeber unmöglich den Arbeitnehmern gleich mit den Aus­führungen einverstanden sein könnten o weh! da blieben die Herren stumm. Den Kampf mit geistigen Waffen lieben sie nicht. Die Ent­schädigung für ihr Schweigen folgte später. Nach der Versammlung blieben einige Genossinnen und Genoffen mit der Referentin im Nebenzimmer zusammen. Letztere erklärte bei einem Täßchen Kaffee den Frauen Verschiedenes. Dieses gemüthliche Beisammensein erschien den Honoratioren offenbar als eine finstere Verschwörung. Plötzlich klopfte es heftig an der Thür. Der Wirth öffnete und herein stürzte mit aufgepflanztem Bajonett der Gendarm, Ortsoberhaupt und ein Beamter standen vor der Thür. Da die erschreckten Anwesenden das Gas ausgedreht hatten, so hätte durch das Hereinstürmen des Bewaffneten in das menschengefüllte Zimmer leicht ein Unglück ge­schehen können, das ein junges Menschenkind zum Krüppel gemacht haben würde. Alte Arbeiter und Arbeiterinnen sieht man nämlich kaum im Orte. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der werkthätigen Masse sind daselbst so hart, daß die meisten Leute in den besten Jahren zu Grunde gehen. L. T. Im Auftrag verschiedener Gewerkschafts- und Parteiorganisationen hielt Genossin Tröger-Offenbach eine weitere Reihe von Ver­sammlungen ab. In Schweinfurt , Bamberg und Nürnberg referirte sie für die Schuhmacher. In den zwei zuerst genannten Orten war die Versammlung ziemlich gut, in Nürnberg war sie sehr gut besucht. Der Verband gewann durch diese Agitation neue Mitglieder. Ueber den Zolltarifentwurf sprach Genossin Tröger, der Aufforderung der organisirten Bierbrauer entsprechend, in Hanau und Alzey . Die Versammlung, welche sie in Groß- Gerau abhielt, führre dem dortigen sozialdemokratischen Verein 22 Frauen als Mitglieder zu. Die Genossinnen versprachen außerdem, demnächst eine Vertrauensperson zu wählen, welche die Agitation unter den Frauen in Fluß halten soll. Noch im Jahre vorher waren die Frauen des Ortes nicht zu bewegen gewesen, einer Versammlung beizuwohnen, in der Genossin Tröger referirte. Daß eine Frau öffent­lich sprach, schien ihnen unmöglich, ja ungeheuerlich. Seither haben die Genossen sich angelegen sein lassen, die Frauen aufzuklären und wie die mitgetheilten Umstände beweisen, mit gutem Erfolg. Mögen sie Sorge tragen, daß das begonnene Aufklärungswerk rüstig fort­schreitet. In Klein-Auheim und Oberhöchststadt hielt Ge­nossin Tröger je eine Agitationsversammlung ab, um dem Verband der Fabrikarbeiter Mitglieder zuzuführen. Obgleich die Zeit für die Agitation schlecht gewählt war der letzte Sonntag vor Weihnachten war die Versammlung im ersteren Orte doch gut besucht und ge­wann der Organisation 10 neue Mitglieder. In Oberhöchststadt litt die Versammlung unter dem sehr schlechten Wetter, das die Arbeiter der umliegenden Orte zu Hause hielt. Immerhin traten dem Ver­bände genügend Mitglieder bei, daß die Gründung einer Zahlstelle in Aussicht genommen wurde. Zur Weihnachtsfeier der Gewerk­schaften in Worms und in Alzey und der Parteigenossen in Uf- hofen hielt Genossin Tröger die Festrede. In Ufhofen traten der Parteiorganisation 38 Mitglieder bei. Unter den proletarischen Frauen von Worms regt sich erfreuliches Leben und Streben. Ueberall beginnen sich die Erfolge der proletarischen Frauenbewegung zu zeigen. L. 1'.* In Crimmitzschau, Glauchau , Reichenbach i.V. , Meerane und Werdau hielt Genossin Luxemburg kürzlich sehr erfolg­reiche Versammlungen ab. Das behandelte Thema lautete:Die bürgerliche Sozialreform und die Aufgaben der Gewerk­schaften." Die Versammlungen waren ausgezeichnet besucht, auch von Seiten der Frauen. In Crimmitzschau zum Beispiel wohnten der Versammlung gegen 400 Frauen bei. Genossinnen griffen in verschiedenen Orten sehr geschickt und wirksam in die Diskussion ein, in der ein vorzüglicher Geist des proletarischen Klassenbewußtseins und der Schulung zum Ausdruck gelangte. Eine Reihe von Versammlungen hielt kürzlich Genossin Zetkin ab. In Berlin sprach sie im Auftrag der Berliner Genossinnen über:Die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts eine Nothwendigkeit." Die imposante Ver­sammlung nahm einstimmig eine Resolution an, welche gegen die po­litische Rechtlosigkeit des weiblichen Geschlechts mit Nachdruck pro- testirt und folgende Forderungen erhebt: Aufhebung aller landes­gesetzlichen Bestimmungen, das Vereins- und Versammlungsrecht be­treffend; Schaffung eines einheitlichen freien Reichsvereinsgesetzes mit gleichen Rechten für Frauen und Männer; Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts zu allen gesetzgebenden und verwaltenden Körperschaften. Im vierten Berliner Wahlkreis sprach Genossin Zetkin über denBankerott des sozialistischen Ministerialismus in Frankreich ", im dritten Wahlkreis über das Thema:Weib und Arbeiterin im Lichte der Sozialdemokratie." Der Brotwucher und das arbeitende Volk" war die Frage, die sie in Friedrichs hagen behandelte. In Leipzig hatte derBildungs­verein für die Frauen und Mädchen der arbeitenden Klassen" zwei Volksversammlungen einberufen, die einen vollen Erfolg brachten. Im Pantheon referirte Genossin Zetkin überBerufsarbeit der Frau und Mutterschaft", im Felsenkeller in Plagwitz über Frauenarbeit und Gewerkschaftsorganisation." In dem ersten Referate wies die Rednerin an der Hand von Thatsachen die Konflikte nach, welche in der kapitalistischen Gesellschaft durch die Anforderungen der Berufsarbeit und der Mutterschaft erwachsen. Sie erörterte die Mittel, welche diese Konflikte mildern können und zeigte, daß ihre Lösung nur durch den Sozialismus möglich ist. In dem zweiten Referate begründete Genossin Zetkin eindringlich die Nothwendigkeit, die Arbeiterinnen gewerkschaftlich zu organisiren und betonte besonders den Werth der hierfür nöthigen Kleinarbeit. Sämmt- liche Versammlungen waren vorzüglich besucht, zum Theil überfüllt und vom besten Geiste getragen. In Breslau fand in der ersten Hälfte des Februar eine öffent­liche sehr gut besuchte Versammlung statt, in der Genossin Braun über das Thema sprach:Der Sozialismus und die Frauen." Der Versammlung wohnten sehr viele Frauen bei, und den wirkungs­vollen Ausführungen der Rednerin wurde lebhafter Beifall zu Theil. Im Auftrag der Parteileitung für L i p p e fanden Anfang Januar im Fürstenthum eine Reihe Volksversammlungen statt, in denen Ge­nossin Zieh referirte. Die erste Versammlung in Lage war vor der Zeit überfüllt, und Viele mußten umkehren. Unter lebhaftem Beifall sprach die Reserentin über den Zolltarifentwurf. In der Diskussion sprachen nicht nur unsere Genossen in zustimmendem Sinne, sondern auch der Vertreter der Freisinnigen. Eine'Resolution, die sich scharf gegen den Zolltarif wendet, fand einstimmige Annahme. Ueberfüllt war auch das große Versammlungslokal nebst Galerien in * Beide Berichte gingen der Redaktion erst sür diese Nummer ein.