Frage gestellt, wohl gar illusorisch gemacht. Ganz besonders ge- schieht dies in Orten und Gegenden, in denen die proletarische Frauenbewegung erst festen Fuß zu fassen und sich zu entwickeln beginnt. Durch das Aufgebot sauststarker Büttelgewalt und juristischer Spitzfindigkeit wähnt man hier, die Proletarierinnen aus dem Kampfe für ihr Recht und ihre Freiheit zurückzuschrecken! in den Jammerwinkel, wo sklavische Demulh und stumpfsinnige Muthlosigkeit hocken. In zähem, geduldigen Kampfe müssen hier noch Rechte erobert werden, die in Berlin und anderen großen Städten mit kräftiger proletarischer Fiauenbewegung keine Behörde mehr anzutasten wagt. Kein Zweifel deshalb, daß auch die Zulassung der Frauen zu allen politischen Veieinsversammlungen in hart­näckigem Streite erkämpft werden muß. Die zweite Erklärung des preußischen Polizeiministers zeigt das klärlich. Das allgemeine gleiche Recht für Alle wird nur an Stelle der behördlichen Willkür treten, die Gesetzesmäßigkeit an Stelle heillosen Wirrwarrs, wenn das klassenbewußte Proletariat aller­orten die strikte Durchführung der Neuerung ertrotzt. Die Ge­nossen müßten künftighin die Fraum zu allen Versammlungen der politischen Organisationen einladen und dabei für einen getrennten Zuhörerinnenraum sorgen. Jeden Vorstoß der Behörden gegen die Anwesenheit von Frauen in solchen Versammlungen gälte es durch Erschöpfung aller zuständigen Rechtsmittel zu beantworten. Die Genossen dürften auch nicht davor zurückschrecken, eine Versamm­lung wegen der verweigerten Entfernung der Zuhöreriunen der Auflösung verfallen zu lassen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß im Allgemeinen Versanimlungsauflösungen der modernen Arbeiter­bewegung nicht schaden, umgekehrt, sie meist in der wirksamsten Weise fördern, nicht selten mehr, als die zündendste Agitations­rede es zu thun vermocht hätte. Viele, welche der überzeugenden Macht entwickelter Gründe unzugänglich sind, verstehen die Sprache, welche das in einer Handlung verkörperte Unrecht spricht, das ihn persönlich trifft. Nothwendig ist ferner, daß in der Oeffentlichkeit jeder Fall gebrandmarkt wird, in dem die Behörden bürgerlichen Damen und Proletarierinnen das Versammlungsrecht mit zweierlei Maß messen. Auf die Dauer kann keine Regierung den Schimpf ertragen, zweierlei Recht im Sack zu führen, ein Zirkusrecht für die agrarischen Zollwucherer und eingemeines" Recht für die gemeine" Bevölkerung. Die unablässige öffentliche Kritik von zweierlei Maß und Gewicht zwingt entweder die Behörden, die bürgerlichen Damen und die bürgerlichen Organisationen mit den gleichen Ruthen zu sti eichen, mit denen sie den Rücken des Prole­tariats peitscht. Sobald es da aber heißt:Ade Koulanz l", gewinnt die Frage einer gründlichen Reform des Vereins- und Versamm­lungsrechts auch für die bürgerlichen Klassen und Parteien eine praktische Bedeutung. Und das um so eher und zwingender, je mehr Antheil am politischen Leben die bürgerlichen Frauen rehmen, je nützlicher, ja unentbehrlicher sich ihre politische Bethäligung für die bürgerlichen Parteien erweist. Oder aber die fortgesetzte Kenn­zeichnung des beliebten zweierlei Rechtes nöthigt schließlich die Be­hörden, den Proletarierinnen und den Arbeiterorganisationen Recht sein zu lassen, was bürgerlichen Damen, was Flotten- und Krieger­vereinen mitsammt dem Bunde der Landwirthe billig ist. Wirft die Praxis der Klassenjustiz jede täuschende Hülle ab, so gelangt ihr Wesen den proletarischen Massen um so klarer zum Bewußtsein, so fordert es um so eindringlicher ihren Kampf, den Kampf der Benachtheiligten, heraus. Mit der Erkenntniß, dem festen Wollen des werklhäligen Volkes muß aber in diesen Zeitläuften auch die reaktionärste Regierung rechnen. Handelte es sich in dem Kampfe gegen die neue Willkür auf vereinsgesetzlichem Gebiete auchnur" um Frauenrecht und um Frauenrecht allein, die Genossen wären durch Ueberzeugung und Programm verpflichtet, ihn mit aller Schärfe und Ausdauer zu führen. Aber mit dem Frauenrecht zugleich gilt es, das Recht der Arbeiterklasse zu schützen und zu behaupten. Nicht blos die prole­tarischen Frauen, die klassenbewußten Proletarier ohne Unterschied des Geschlechts müssen deshalb mit der That hinter der Losung stehen: Gegen zweierlei Maß und Gewicht I Frauenstimlnrecht/ I. Allgemeineis und gleiches Wahlrecht. Der AusdruckAllgemeines und gleiches Wahlrecht" wird in der mißbräuchlichsten Weise angewandt. Wenn wir in die Nachschlage­bücher blicken, so finden wir dort berichtet, daß das allgemeine Wahl­recht u. A. besteht bei den Wahlen zum deutschen Reichstag, bei den Wahlen zum Landtag in Baden , in Oldenburg in Sachsen-Meiningen und Anhalt, dann zur Wahl eines größeren Theiles der Abgeordneten in Württemberg, Schaumburg-Lippe , Sachsen-Weimar ; daß es im Ausland die Grundlage des Wahlsystems bildet in Frankreich , der Schweiz und Norwegen , dann mit gewissen Beschränkungen in Bel­ gien , ferner in Spanien , Griechenland , der Argentinischen Republik , den übrigen amerikanischen Republiken, wobei zu bemerken ist, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Brasilien gewisse Ausnahmen, wie der des Ausschlusses der Analphabeten zc., vorliegen. In Oesterreich besteht ein höchst ungleiches und beschränktes neben dem allgemeinen Wahlrecht. Nahezu allgemeines Wahlrecht besitzen England, Dänemark , die Niederlande, Bayern , Sachsen-Koburg-Gotha, die beiden Schwarzburg und die beiden Reuß. Das Wahlrecht, wie es in all diesen Ländern besteht, enthält eine Reihe von Beschränkungen, so zum Beispiel einen Ausschluß der Personen, die nicht im vollen Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sind, gegen die das Konkursverfahren eröffnet ist, die wegen geistiger Mängel unter Vormundschaft stehen, die Armenunterstützung beziehen und dergleichen. Die Gesetzgebung einzelner Länder kennt auch noch den Ausschluß der Analphabeten, der Geistlichen, der Soldaten, der Neger zc. von dem Wahlrecht. Aber keine einzige dieser Gesetz­gebungen hält es für nothwendig, ausdrücklich zu erklären, daß mehr wie die Hälfte der erwachsenen Personen, auf die vorstehende Aus­nahmen nicht zutreffen, vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Es wird einfach als selbstverständlich betrachtet, daß blos das männliche Ge­schlecht bei der Behandlung öffentlicher Angelegenheiten mitzusprechen, über den Inhalt der Gesetze, über die Art und Höhe der Steuer zc. zu beschließen habe, daß der übrige Theil der Bevölkerung sich dem Beschlossenen einfach fügen müsse Aus dieser allgemein herrschenden Anschauung ergab sich dann weiter, daß in manchen Ländern ein relativ freies Vereins- und Versammlungsrecht für die Männer be­steht und ein aufs Aeußerste verkrüppeltes, werthloses für das weib­liche Geschlecht. Es hieße eine Geschichte der sozialen Beziehungen der beiden Geschlechter schreiben, wollte man die Ursachen des Miß­verhältnisses zwischen dem Rechte des Einen und der Rechtlosigkeit des Anderen aufdecken. Dies kann aber nicht im Rahmen dieser Aus­führungen geschehen, es muß genügen, daraus hinzuweisen, daß die politische Rechtlosigkeit der Frau eines der interessantesten Probleme der Menschheitsgeschichte ist. Wir wollen hier nur zeige», wann das Frauenstimmrecht im Laufe der neueren Geschichte aufgetaucht ist, und welche Ausdehnung es in der Gegenwart errungen hat. Bevor wir aber diese Darlegungen beginnen, sei auf eine merkwürdige Er­scheinung hingewiesen, die im schärfsten Gegensatz steht zu der po­litischen Rechtlosigkeit der Frau, auf die Thatsache, daß in einer Reihe von Monarchien schon vor vielen Jahrhunderten, auch zur Zeit des starrsten Absolutismus, der Frau das Erbsolgerecht auf den Thron eingeräuint wurde, also auf die höchste, verantwortungsvollste Be- amtung. Diese Thalsache steht im schärfsten Widerspruch zur po­litischen Rechtlosigkeit des weiblichen Geschlechtes. In Spanien , Por­ tugal , England und Holland ist das Recht der Frauen an der Thron­folge nur wenig beschränkt, außerdem besteht es in Oesterreich , Rußland und Griechenland beim Fehlen männlicher Erben im regierenden Hause. Welche Machtfülle in den Händen von Frauen gelegen hat, lehrt schon der Hinweis auf Namen, wie Maria und Elisabeth von England , die beiden so verschieden gearteten Töchter Hein­richs VIll.; auf Maria Theresia von Oesterreich, die vielleicht die hervorragendste Gestalt im Hause der Habsburger war, auf Katha­ rina II. von Rußland , die bei allen ihren Fehlern eine der glänzend­sten Gestalten in der Reihe der russischen Herrscher gewesen ist. Man kann ohne Uebertreibung sagen, daß unter den Frauen, die Kronen getragen haben, lange nicht so viel Mittelmäßigkeilen und unbedeutende Gestalten vorhanden waren, als unter den männlichen Vertretern des Gottesgnadenthums. - Quellen: Villey, Edmond, I,6KisIat.ur öleotorale eompares äes principaux pa�s ck'Lurope. Paris 1900. Picrstorff, Jul., Frauenarbeit und Frauenfrage im III. Bande der 2. Auflage des Handwörterbuchs der Staalswissenschaftcn. Jena 1900. Meyer, Georg , Das parlamentarische Wahlrecht. Berlin 1901. Handbuch der Frauenbewegung, herausgegeben von Helene Lange und Gertrud Bäumer . Berlin 1901. Die Gleichheit. Ostrogorski,Die Frau im össentlichen Rechte." Leipzig l«97.