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dagegen unverändert auf sechs Stunden festgesetzt eine einstündige Pause eingerechnet. Keine noch so schwächliche geseßliche Vorschrift zügelte den kapitalistischen Wehrwolfsheißhunger nach Ausbeutung findlicher Arbeitskräfte auf den verschiedenen Gebieten der Erwerbs­arbeit außerhalb der Fabrit. Die Schutzgesetzgebung erfaßte nicht einmal die ganze Domäne der gewerblichen Arbeit. Und doch war hier in der modernen Hausindustrie eine Hölle entstanden, in der die Kinder vom zartesten Alter an wie die umfangreiche Fach­wie die umfangreiche Fach­literatur unanfechtbar nachwies- leiblich und geistig der schlimmsten Qual, der rettungslosesten Hinopferung überantwortet wurden. Das tapitalistische Ausbeutungsgelüfte schwenkte heuchlerisch die Achtung vor dem Rechte der Familie", um der Gesetzgebung einen Einbruch in sein Dorado zu wehren.

Bergeblich riß die Sozialdemokratie damals wie später bei jeder Gelegenheit die täuschende Hülle von den schwärenden Wunden der Heimarbeit. Vergeblich wies sie nach, daß die unangetastete haus­industrielle Ausbeutungsherrlichkeit den Werth des gesetzlichen Schutzes der Kinderarbeit in den Fabriken herabmindere, ja ver­nichte. Unangetastete hausindustrielle Ausbeutungsfreiheit, und der findige Unternehmer vermag den Arbeitstag seiner findlichen Fabrik­sklaven durch Mitgabe von Arbeit nach Hause allen gesetzlichen Vorschriften zum Hohne schrankenlos zu verlängern! Unangetastete hausindustrielle Ausbeutungsherrlichkeit, und der beutegierige Rapi­talist dezentralisirt seinen Betrieb, er treibt die frohndenden Kleinen aus der Fabritarbeit in die Heimarbeit mit ihren Schrecken unge­zügelter Auswucherung der Kräfte. Die Gefeße des kapitalistischen Wirthschaftslebens lassen ihrer nicht spotten. Die Thatsachen haben die sozialdemokratischen Prophezeiungen in geradezu unheimlicher Weise bestätigt. Das geht aus den Berichten der Fabrikinspektoren hervor, das verzeichnet die wissenschaftliche Forschung über die Heim­arbeit, das ist in den Untersuchungen und Materialsammlungen von Volksschullehrern zu lesen. Neben dem unsäglichen Kinder­elend in der Hausindustrie aber erscheint die nicht minder verderb= liche Aussaugung findlichen Lebensmarkes durch andere gewerbliche Beschäftigungen, durch die Arbeit in Forst- und Landwirthschaft und im häuslichen Dienste. Es ist das hohe bleibende Verdienst deutscher Lehrer, allen voran der tapfere, warmherzige Agahd, in dem dunkelsten Winkel des dunklen Deutschlands , in die Kinder­ausbeutung hineingeleuchtet zu haben.

Bergehoch thürmten sich die ziffernmäßigen, thatsachenreichen Nachweise über den kulturschändenden Raubbau, den Industrie- wie Krautjunker, Ritter vom Laden wie vom Schänktisch mit dem kost­barsten Schatz der Nation, mit der Lebenskraft der heranwachsen­den Geschlechter trieben. Die gefeßgebenden Gewalten aber stehen seit 1891 da, das Ohr geschlossen gegen den Schrei der Plage von Hunderttausenden und Aberhunderttausenden Gemarterter, das Auge blind gegen die zuckende Qual gepeinigter Leiber und Geister, bie Hände leer von Reformen. Der Bundesrath hat nicht einmal fraftvollen, ausgiebigen Gebrauch von seinem Rechte gemacht, durch Ausdehnung der Bestimmungen der Gewerbeordnung die Prole tarierkinder in weiteren nichtfabritsmäßigen industriellen Betrieben ein Weniges zu schützen. Die von ihm 1897 verfügte Unter­stellung der Werkstätten der Kleider- und Wäschekonfektion unter die betreffenden gesetzlichen Vorschriften sprengte kaum ein lindern­des Tröpfchen auf den glühenden Stein der Kinderausbeutung. Die Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten legte müßig die Hände in den Schoß. In manchen Gemeinden und Bezirken kam es zu Polizeivorschriften, die besonders der Auswucherung der Kleinen beim Straßenhandel, Waaren- und Zeitungsaustragen, Regelsezen 2c. wehren sollen. Allein nicht genug damit, daß diese Vorschriften auch auf engstem Gebiet hinter den allerbescheidensten Forderungen zurückblieben, wurden sie obendrein vielfach von den Gerichten als null und nichtig erklärt. Erst 1897 ließ sich das Reichsamt des Innern neuerlich ein Schrittchen nach vorwärts drängen. Es ver­anlaßte durch ein Rundschreiben die Bundesregierungen, im Jahre 1898 Erhebungen über die gewerbliche Kinderarbeit außerhalb der Fabriken vorzunehmen. Die Enquete erstreckte sich von vornherein nicht über das weite Feld der forst, landwirthschaftlichen und häus­lichen Erwerbsthätigkeit der schulpflichtigen Kinder, und sie wurde in den einzelnen Bundesstaaten verschieden, überall aber mangel­haft durchgeführt. Ihre Ergebnisse wurden im dritten Viertel­

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jahrsheft zur Statistik des Deutschen Reiches, Jahrgang 1900, ver öffentlicht. Sie führten zu dem Gesezentwurf über den gewerb­lichen Kinderschutz, dessen wichtigste Bestimmungen wir in letter Nummer mittheilten, und der bereits im Reichstag in erster Lesung verhandelt worden ist. Wir schreiben 1902! Die oberste Reichs= behörde für Sozialreform hat also abermals keineswegs mit jener fieberhaften Emfigkeit gearbeitet, die sie aufzuwenden vermag, wenn es sich um Liebesgaben an Schlotbarone und Ochsengrafen, wenn es sich um Zuchthausgeseze und Zollwucher handelt. Hätte viel­leicht die deutsche Arbeiterklasse nach berühmten Mustern" durch einen Zwölftausendmark- Agitationsfonds die Vorbereitung der Re­form beschleunigen können? Wie oft aber noch die Sonne sich über der unsagbaren Qual der ausgebeuteten Kleinen neigen wird, ehe die eingeleitete Reform That wird, das mögen die Götter wissen. Keine Kinderschutz- Kommissionsdiäten werden die Berathungen der 21 Kerls" fördern, welche der Reichstag mit der Durch­arbeitung des Regierungsentwurfes betraut hat. Und welche Ver­besserungen traurigsten Looses wird das Gesetz schließlich dem Kinde des deutschen Proletariats bringen? Das werden wir in einem folgenden Artikel zeigen.

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Das Weib und der Intellektualismus.*

Von Gertrud David - Mainz .

Den vielen Streitschriften über die Frauenfrage hat sich eine neue hinzugesellt, aber wahrlich keine überflüssige. Die jüngst er­schienene Broschüre von Oda Olberg : Das Weib und der In­tellektualismus"** ist kein gereiztes hysterisches Gekeife über die Schlechtigkeit der Männer, kein billiges Phrasengeflingel über in den Wolken schwebende Menschenrechte der Frau, ihre Gleichberechtigung zc. Sie ist aber auch feine jener fonzessionisselnden und kompromisselnden, auf den Beifall der Philister spekulirenden Auslassungen des so­genannten gesunden Menschenverstandes, in denen vor und nach jeder noch so bescheidenen Forderung im Interesse der Frauen eine Ver­beugung vor dem Hergebrachten, dem durch Alter heilig Gewordenen gemacht wird. Scharf und flar faßt die Verfasserin ihr Problem. Und mit einer bewunderungswürdigen Summe von Wissen, Geist und Logit, getragen und durchleuchtet von einer tiefen gesunden und harmonischen Lecensauffassung, sucht sie es zu lösen, so weit eben die große Zahl von sozialen und biologischen Unbekanntem, die das Problem einschließt, eine Lösung zuläßt.

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Es ist nur eine Seite der großen Frauenfrage, die Oda Olberg in ihrer Broschüre behandelt, jenes Gebiet, das man als die ,, Damen­frage" bezeichnet hat, da bis jetzt nur in denjenigen Frauenfreisen, die der Geist und Seele abstumpfender Sorge um das tägliche Brot enthoben sind, die Frage der geistigen Ausbildung, des geistigen Aus­lebens eine brennende werden konnte. Und die Verfasserin nimmt hier eine weitere Einschränkung vor, indem sie davon absieht, das Recht der Frau auf geistige Berufsthätigkeit zu erörtern. Darüber, meint sie, müsse die Praxis, die Erfahrung entscheiden, welche die sich entgegenstellenden prattischen Schwierigkeiten als wesentlich oder unwesentlich erweisen werde. Worum es sich nach Oda Olberg allein handelt, das ist das Anrecht der Frau auf intellektuelle Entwicklung, ihr Recht, an dem geistigen Leben ihrer Zeit theilzunehmen.***

Dieses Recht nicht schlechthin, sondern in dem heute gegebenen

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* Diese Besprechung wurde bereits Mitte März eingesendet, konnte aber D. R. Raummangels wegen nicht früher veröffentlicht werden. ** Akademischer Verlag für soziale Wissenschaften. Dr. Edelheim. Berlin­Bern 1902.

*** In der kapitalistischen Gesellschaftsordnung können allerdings nur die Frauen der besitzenden Klassen dieses Recht und Anrecht prak­tisch ausnützen. Ihrer Auffassung vom geschichtlichen Entwicklungsprozeß entsprechend fordern aber die Sozialisten grundsätzlich das Eine und Andere für alle Frauen. Ihr Kampf für die Aufrichtung von Schranken gegen die kapitalistische Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft und durch­greifende soziale Reformen; ihr Kampf vor Allem für Beseitigung der kapi­ talistischen Ordnung und Befreiung der Arbeit muß auch im Hinblick auf diese grundsätzliche Forderung gewerthet werden. Er steigert und sichert für die Frauen der ausgebeuteten und beherrschten Massen die Möglichkeit der praktischen Ausnutzung des Rechtes auf intellektuelle Entwicklung und Bethätigung. Er will durch Schaffung der sozialistischen Gesellschaft zum unbeschränkten Recht aller Frauen machen, was unter der Herrschaft des Kapitalismus ein Vorrecht der Damen ist. Die von Oda Olberg erörterte Frage reicht mithin an grundsätzlicher Bedeutung über den Rahmen der " Damenfrage" hinaus und ist allgemeine Frauenfrage.

Anm. der Red.