einige Beispiele von dieser Kleinarbeit wieder, weil sie meines Erachtens die Schwierigkeiten beleuchten, mit denen die gewerkschaftlicheAgitation unter den Arbeiterinnen zu kämpfen hat, gleichzeitig aberauch ein recht Helles Streiflicht auf die Ausbeutung und das Unrechtwerfen, welche die meisten Arbeiterinnen noch immer schweigend,widerstandslos dulden.Der Beschwerdekommission der Leipziger Genossinnen, welche imAuftrag des Gewerkschaftskartells zum Zwecke der Uebermittelungan die Gewerbeinspektion Klagen der Arbeiterinnen über gesetzwidrigeArbeitsbedingungen entgegennimmt, waren wiederholt Beschwerdenüber die Verhältnisse in der Baumwollspinnerei zugegangen. DieSchutzvorrichtungen, Garderoben und Aborte waren sehr mangelhaft.Im Laufe des letzten Sommers ging weiter Klage ein, daß allen ineinem Saale beschäftigten 1S0 Arbeiterinnen Strafabzüge vom Lohnein der Höhe von 10 bis 60 Pfennig gemacht wurden, und zwar ohnevorherige Mittheilung. Auf Befragen nach dem Grunde antworteteder Meister, es sei Wolle im Abort gefunden worden, und da mannicht wisse, wer sie hineingeworfen, so würden Alle gestraft. Ineiner Werkstubenversammlung, welche der Textilarbeiterverband einberief, sollten die Arbeiterinnen Stellung zu der ihnen widerfahrenenMaßregel nehmen. Sie sollten mir eine Vollmacht ertheilen, für sie beimGewerbegericht aus Rückzahlung der zu Unrecht erhobenen Strafabzüge klagbar zu werden. Obgleich der Textilarbeiterverband durchHandzettel zum Besuch der Versammlung eingeladen hatte, hieltenes doch kaum zwanzig Arbeiterinnen der Mühe werth, zu erscheinen.Der geplante Schritt mußte in der Folge unterbleiben. Immerhinwar die Versammlung nicht ohne Nutzen für die Erweckung desSolidaritätsgefühls und des Gewerkschaftsgedankens. Nachdem ichin schlichten Worten die harte, ungerechte Maßregel der Betriebsleitung und die verderbliche Wirkung der Indifferenz und des Mangelsan Zusammenhalt unter den Arbeiterinnen erörtert hatte, legte ichkurz den Werth und die Nothwendigkeit der Organisation dar. MehrereArbeiterinnen traten dem Verband bei und versprachen, für denselbenrührig bei ihren Kameradinnen zu agitiren. Die Werkstubenversammlung zeigte uns übrigens neben der Gleichgiltigkeit der Arbeiterinnennoch einen anderen alten und besonders widerlichen Feind der gegewerkschaftlichen Organisation: das Denunziantenthum. Eine Arbeiterin hatte in der Hausflur des Lokals aufgepaßt, wer in die Versammlung ging und auf Grund ihrer Angeberei wurden mehrereArbeiterinnen entlassen. Das Unternehmerthum sucht mit allentariats sprengt. Die Suchende war zur Wissenden geworden, dieWissende mußte zur Kämpferin werden.In der langsamen mühevollen Arbeit der Selbstbildung entwickelte unsere Genossin die empfangenen Ideen, suchte sie sich dieerforderlichen Kenntnisse, die nöthige politische Schulung anzueignen.Und welche Schwierigkeiten galt es dabei zu überwinden! Zuerst diemangelhafte Vorbildung, dann und vor Allem die materielle Roth,die Ueberbürdung mit Pflichten. Ein kleiner Schreihals nach demandern hielt seinen Einzug in die Familie Eichhorn, die aus derSchweiz zurückgekehrt war und sich in Leipzig niedergelassen hatte.Auguste war eine zärtliche, gewissenhafte Mutter, eine treubesorgteHausfrau, sie mußte Miternährerin der zahlreichen Familie sein,durch Nähen das Einkommen vergrößern. Wollte sie ihren Bildungsdrang befriedigen, so hieß es, als Erste auf, als Letzte zu Bett, sohieß es, jede freie Minute nutzen. Dabei wurde die tapfere Frauin Leipzig bald die verständnißvolle, aufopfernde Helferin ihresMannes bei der politischen und gewerkschaftlichen Kleinarbeit, dieunter der Oberfläche, begleitet von Gefahren und Schwierigkeiten geleistet werden mußte. Mit Rath und That half sie den Genossenüber manches Hinderniß hinweg. Wie sie mit Wort und Beispielden Muth der Frauen stärkte, ihre Begeisterung für den Sozialismusentflammte, das haben wir bereits erwähnt, das zeigte sich besondersals es gelegentlich der'Aussperrung der Leipziger Steinmetzen zueinem Massenprozeß kam.1888 wurde Hermann Eichhorn aus Leipzig ausgewiesen undsiedelte nach Dresden über, wo er wie seither seine besten Kräfte inden Dienst der Arbeiterbewegung stellte. Auguste trat hier bald alsKämpferin für den Sozialismus in der Oeffentlichkeit an seine Seite.Als Agitatorin und Organisatorin wirkte sie vor Allem dafür, dieFrauen dem politischen und gewerkschaftlichen Befreiungskampfe derArbeiterklasse zuzuführen. Ihr Name ist mit der Entwicklung derproletarischen Frauenbewegung in Dresden untrennbar verbunden.Sie war Mitglied der Frauenagitationskommission, die Anfangs der00 er Jahre gegründet wurde, und aus der 1394 der„Arbeiterinnenbildungsverein" hervorging, zu dessen Leiterinnen sie gehörte. Inrichtiger Würdigung der Verhältnisse befürwortete sie 1900, daß dieOrganisation sich auflösen und die Mitglieder den sozialdemokratischenWahlvereinen beitreten sollte». Auf den Parteitagen zu Köln, GothaMitteln die Aufklärung und Organisirung seiner Lohnsklavinnen zuhintertreiben. Diese Thatsache allein schon müßte den Arbeiterinnenpredigen, wie werthvoll für sie der gewerkschaftliche Zusammenschluß ist.Ein anderes Beispiel. Die Weltfirma Mey Se Edlich läßt alljährlich vor Weihnachten zahlreiche Ueberstunden arbeiten, die oftbis 12 Nhr Nachts dauern. So auch letzte Weihnachten. Kaum wardas„Fest der Liebe" vorüber, so erhielten die Arbeiterinnen als nachträgliches Weihnachtsgeschenk die Ankündigung, daß ihr Lohn um25 Prozent gekürzt werden würde. Die Maßregel wurde damit begründet, daß die Arbeiterinnen„zu viel verdient hätten". Manurtheile selbst, was als„zu viel verdient" galt: einige ganz besonders geschickte Arbeiterinnen hatten in der Zeit fieberhaftestenSchuftens bis 16 Mark wöchentlich verdient, während nicht wenigeandere sich mit— 5 bis 8 Mark Wochenlohn begnügen mußten!Zusammen mit der angeordneten Lohnkürzung wurde bekannt gegeben,daß die Arbeiterinnen aufhören sollten, die nicht mit dem geringerenVerdienst einverstanden seien. Aus Furcht, das kärgliche Brot zu verlieren, ließen die nur zum kleinsten Theile organisirten Arbeiterinnendie 14tägige Frist verstreichen, ohne Einspruch gegen die verändertenLohnbedingungen zu erheben. Erst als ihnen bei der Lohnzahlungzum Bewußtsein kam, welchen großen Theil ihres Verdienstes 25 Prozent ausmachen, erkannten sie ihre Hilfsbedürftigkeit. Sie wendetensich nun an die Genossinnen und den Fabrikarbeiterverband mit derBitte, bei dem Kommerzienrath Mey vorstellig zu werden und umRücknahme der Lohnherabsetzung zu ersuchen. Der Fabrikarbeiterverband berief eine Werkstubenversammlung ein, zu der alle Arbeiterinnen und Arbeiter des Betriebs durch Handzettel eingeladen wurden.Die Versammlung erfreute sich eines verhältnißmäßig guten Besuchs,denn von 1000 Geladenen waren etwa 200 erschienen, von denenfreilich kaum ein Dutzend der Organisation angehörten. Das Beieinandersein und die ermunternden Worte der Versammlungsleiterregten zu mancherlei Mittheilungen über die Verhältnisse im Betrieban. So wurde unter Anderem bekannt, daß Herr KommerzienrathMey, der als humaner Mann gefeiert wird, gerichtlich bestrafte Arbeiterinnen beschäftigt, jedoch zu so niedrigem Lohn, daß für sie dieVersuchung nahe liegt, wieder zu stehlen oder sich der Prostitutionzu ergeben. Im Betreff der verhängten Lohnkürzung hatte eineDirektrice erklärt: die Arbeiterinnen sollten nur ein Bricket wenigeranlegen, ein Stückchen Wurst weniger essen oder ein Kleid wenigerund Hamburg vertrat sie die Dresdener Genossinnen. Mit klugemTakt verstand sie es, ein harmonisches Miteinanderarbeiten von Genossinnen und Genossen herbeizuführen. Ebenso energisch, wie sieabmehrte, wenn die Genossen„den Herrenstandpunkt des Mannes"über die Grundsätze des Sozialisten stellen wollten, wies sie es zurück,wenn bei den Genossinnen frauenrechtlerische Eigenbrödelei es überdie allgemeinen Interessen des Proletariats davonzutragen drohte.Ihr agitatorischer Wirkungskreis in politischen und gewerkschaftlichenVersammlungen erweiterte sich mit jedem Jahre. Die schwerstenSchicksalsschläge vermochten nicht, die Energie zu lähmen, mitder sie die proletarischen Frauen zum Kampfe aufrief undfür den Kampf schulte. Ihr heißgeliebtes Töchtercheu starb.Der staatsretterische Eifer riß gelegentlich eines Boykotts derDresdener Arbeiter den todtkranken Mann aus ihrer Pflege undüberantwortete ihn mehrwöchentlicher Hast. Bald darauf, 1896,raubte ihr die tückische„Steinmetzkrankheit" den treuen Lebens- undKampfesgefährten. An ihrer Begeisterung für das hehre sozialistischeIdeal gesundete Auguste Eichhorn von der schmerzensreichen tiefenWunde. Unverzagt führte sie allein den harten Existenzkampf weiter,und nicht blos für Sicherung des eigenen Lebens, die beiden jüngstenSöhne bedurften noch der stützenden, helfenden Mutterhand. Ihre aufopferungsvolle Hingabe an den Dienst des Sozialismus schien sich zuverdoppeln. Es war, als fühle sie die Verpflichtung, auch für dentheuren Todten weiterzukämpfen. Wie manche Nacht durchwachtesie, um Material für einen Vortrag zu sammeln, um eine Rede auszuarbeiten! Wie manchen langen Weg legte sie müde und halbhungrigin Sturm und Regen zurück, weil eine wichtige Besprechung stattfinden,eine Agitation vorbereitet werden mußte! Und je mehr, je Besseressie leistete, um so weniger zufrieden war sie in edler Ungenügsamkeitmit den eigenen Leistungen. Mehr als einmal klagte sie mir unterThränen:„Nun hat man mich in Zk. wieder zur Agitation gerufen!Du weißt nicht, wie dieses Vertrauen mich drückt! Ich fühle, daßmir noch gar zu viel fehlt, daß ich noch unendlich lernen müßte. Ach,hätte ich in meiner Jugend lernen können!"Die schleichende Krankheit, die sie vom Manne überkommen hatte,die durch Ueberanstrengung und kärgliche Ernährung begünstigt wurde,riß endlich unsere Genossin aus Reih und Glied. Wie lange, wiewacker hat sie sich gegen das Unterliegen, das Nichtarbeiten gewehrt!