mit der aufgewendeten Mühe, der verbrauchten Arbeitskraft? Manch­mal kommt wohl über die Eine oder die Andere ein Gefühl der Ver­drossenheit, der Hoffnungslosigkeit geschlichen, aber nur, um im nächsten Moment von neuer Kampfeslust und Arbeitsfreude besiegt zu werden. Eigentlich ist ja auch keine Ursache zur Verdrossenheit vorhanden, wenn man bedenkt, welches Material in den Arbeiterinnen aufgeklärt und für die Organisation gewonnen werden muß. Erwägt man alle Schwierigkeiten, die sich bei der Erziehung der Proletarierinnen für die Organisation zeigen, dann muß man staunen, daß doch schon so viel erreicht worden ist. Diese Gedanken drängten sich auf, als in Wien   an den Pfingstfeiertagen die erste Reichskonferenz der österreichi­schen Tabatarbeiterinnen tagte. Man denke: K. R. Tabatarbeite rinnen, Arbeitssklavinnen des Staates. 34000 Frauen und Mädchen beschäftigt der österreichische Staat in seinen 30 Tabak­fabriken, 15 der Fabriken haben sich durch 47 Delegirte bei der Kon­ferenz vertreten lassen. Der österreichische Staat läßt seine Zigarren fast ausschließlich von Arbeiterinnen herstellen, neben den 34.000 Arbeiterinnen sind nur etwa 4 bis 5000 Männer beschäftigt. Dieses Verhältniß kam auch bei der Delegirung zum Ausdruck: es war die erste Fachkonferenz in Desterreich, bei der die Majorität der Theil­nehmer aus Frauen bestand, von 47 Delegirten waren 26 Arbeite­rinnen. Das Zustandekommen dieser Konferenz ist ein wirkliches Er­eigniß in der Arbeiterbewegung Desterreichs und speziell in der Arbeiterinnenbewegung. Die Bedeutung liegt darin, daß es die erste Fachkonferenz war, die von Arbeiterinnen getragen wurde, eine Bedeutung, dadurch erhöht, daß diese Arbeiterinnen K. K.( faiser lich königliche) Staatsarbeiterinnen sind. Die Konferenz zeigte, daß wenn es auch erst sechs Fachvereine der Tabakarbeiterinnen giebt, der Organisationsgedanke doch schon festen Fuß unter ihnen gefaßt hat. Die erste Tabatarbeiterinnenorganisation entstand in Joachimsthal  im böhmischen Erzgebirge  , dann folgten die Arbeiterinnen von Mähren  und Schlesien  , von Wien   und schließlich von Fürstenfeld   in Steier­mart. Die Konferenztheilnehmerinnen stellen entschieden die Elite der österreichischen Tabatarbeiterinnen dar.

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muß halt die noch so häufig herrschende Antipathie gegen hohe Bei­träge überwunden werden, was ja zum Theil schon geschehen ist. Projektirt ist ein Wochenbeitrag von 20 Heller. Man kann wohl faum weniger erheben, da ja davon auch Krankenunterstützung ge­währt werden soll. Diese ist. für Tabatarbeiterinnen um so noth­wendiger, als bei ihren Betriebskrankenkassen die höchst sonderbare Einrichtung besteht, daß schwangeren Arbeiterinnen kein Kranten­geld gegeben wird. Der Arzt empfiehlt ihnen, sich einen Urlaub zu nehmen. Damit entfällt sowohl die Krankenunterstützung als auch der Lohn. Diese humane" Einrichtung in den K. K. Betriebskranken­tassen hat schon manches schwere Vergehen an der Gesundheit der Arbeiterinnen verschuldet. So erkrankte im vorigen Jahre eine Linzer Tabakarbeiterin. Der Arzt nahm sie nicht in den Kranken­stand auf, sie mußte sich einen Urlaub nehmen und starb während der Schwangerschaft an Wassersucht, ohne daß sie einen Kreuzer Krankenunterstützung erhalten hätte. Dieses verwerfliche System wird durch die Organisation bekämpft werden; bis der Kampf erfolg­reich durchgeführt ist, soll die Unterstützung durch den Fachverein die ärgste Noth lindern.

Es wurde beschlossen, den Finanzminister im Parlament interpel­liren zu lassen, ob ihm die Zustände in den Betriebskrankenkassen bekannt sind, und was er zur Abhilfe zu thun gedenkt. Die Pensions­verhältnisse sind gleich inhuman. Nach 10 jähriger Beschäftigung wird bei Eintritt der Invalidität eine Wochenpension von 2,40 Kronen ge­währt; nach 20jähriger Beschäftigung eine Pension von 4,80 Kronen wöchentlich. Allzugroße Noblesse für seine invaliden Arbeiter kann man dem österreichischen Staate, dem eben jetzt die Abgeordneten in den Delegationen 38 Millionen für neue Kanonen bewilligt haben, nicht nachrühmen.

Ebenso unglaublich schlecht sind die Wohnungsverhältnisse der Tabatarbeiterinnen. Am Orte der Fabrik herrscht gewöhnlich Woh­nungsmangel. Die Frauen müssen zwei bis drei Stunden weit nach Hause gehen. Für Diejenigen, deren Angehörigen in einem Dorfe ein kleines Anwesen haben, liegen die Verhältnisse ja noch günstig; freilich müssen auch sie bei schlechtem Wetter in Scheuern, Böden 2c. übernachten. Es giebt wohl in einigen Orten Arbeiterhäuser, die Be­ſtimmungen für die Miether sind aber von so kleinlichem Polizei­geist beseelt, daß gewöhnlich nur die berühmten braven, zufriedenen Arbeiter dort wohnen. Die betreffenden Wohnungen sind aber auch ihrer Zahl nach vollständig ungenügend. Wo hundert Familien Ob­dach brauchen würden, ist es nur für Dutzende vorhanden. Als sehr wichtig wurde die Errichtung von Kinderkrippen hervorgehoben. Müssen doch viele Arbeiterinnen ihren ganzen Wochenlohn an die Kostfrauen ihrer Kinder bezahlen. Die Arbeiterinnen wünschen vom Staate subventionirte Kinderkrippen mit geschulten Kinderwärterinnen, denen sie beruhigt und gegen geringe Bezahlung ihre Lieblinge über­geben könnten.

Die Macht, welche der Organisation innewohnt, hat sich bei den Tabatarbeiterinnen bereits überzeugend bewährt. Speziell die Stern­berger Arbeiterinnen haben ihrer Solidarität schon manch schönen Erfolg zu danken. Sie haben die Majorität im Ausschuß der Be triebskrankenkasse erlangt, sie haben Muth genug gehabt, ihre Randi­datinnen gegen die Kandidaten der Direktion zu wählen. Ebenso die Arbeiterinnen in Wien  . Die Organisation hat es ver­mocht, den Arbeiterinnen soviel Ansehen zu verschaffen, daß auch die wenig humane Behandlung, die sie von den Fabrikärzten zu erdulden hatten, besser geworden ist. Sehr erschwert werden die Organisations­bestrebungen der Staatsarbeiterinnen durch die klerikalen Einflüsse. Fast in jedem Orte, wo eine Tabakfabrik vorhanden ist, giebt es katholische Arbeiterinnenvereine, Rosenkranz- und Marienvereine, katholische Patronagen 2c., wo die Proletarierinnen am Sonntag Die Organisation wird auch hier Mittel und Wege finden müssen, Nachmittag mit Kaffee, Gugelhupf und frommen Traktätchen gefüttert den berechtigten Bedürfnissen der Arbeiterinnen Rechnung zu tragen, werden. In Tachau  ( Böhmen  ) hält die Fürstin Windischgräß nach den Staat zu erinnern, wie sehr er bis jetzt seine Pflichten vernach= Feierabend Nähstunden ab, auch Missionspriester läßt die Durch- lässigt. Die Arbeiterinnen zeigen viel Muth und Kampfesfreude. laucht" zur Erbauung der Arbeiterinnen kommen. Als vor dem dies- Sie bauen voll Zuversicht auf die Macht der Vereinigung, sie sind maligen 1. Mai verlautete, die Fabrikarbeiterinnen von Tachau   sich bewußt, daß in dieser ihre Stärke liegt. Sie sind entschlossen, würden eine Maifeier abhalten, kam die Fürstin schnell von Wien   nach Kräften zu arbeiten, um ihrer Fachorganisation zu der Entwick­und gab kund, wer sich nicht an der Maifeier betheiligt, dürfe mit lung zu verhelfen, deren sie bedarf, wenn sie den Arbeiterinnen das ihr der Fürstin am ersten Sonntag im Mai einen Ausflug sein soll, was sie von ihr hoffen und wünschen. - machen. Leider ziehen solche Aussichten bei den armen, mit Freuden so stiefmütterlich bedachten Arbeiterinnen noch immer. Es meldeten sich so viele Ausflügler, daß es der Durchlaucht" wohl zu viele waren; an Stelle des Ausflugs wurde mit Hinweis auf die ungünstige Witterung eine Jause( Vesper) in der Reitschule veranstaltet. Die Arbeiterinnen wurden mit Kaffee und dem schon genannten obligaten Gugelhupf bewirthet und man denke mit der fürstlichen Equipage abgeholt. Das ist so ein Bild, wie man die Arbeiterinnen zufrieden erhalten will. So soll verhindert werden, daß den getäuschten Arbeitssklavinnen die Augen über das an ihnen begangene Unrecht geöffnet werden.

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Und doch fällt den Arbeiterinnen die Binde von den Augen, wie die Konferenz zu Pfingsten bewiesen hat. Nach dem Verlauf der Verhandlungen, der Klarheit und dem Verständniß, das die Delegirten zeigten, kann mit Recht behauptet werden, die Tabakarbeiterinnen ge­hören zu den intelligentesten Lohnarbeiterinnen Desterreichs. Sie zeigten sich ungemein unterrichtet über den komplizirten Arbeitsprozeß ihrer Industrie sowohl, als über den Werth und die Bedeutung einer guten Fachorganisation. Die Delegirten, obwohl zumeist Frauen, ver­mieden das oft so zeitraubende, weitschweifige Wiederholen. Viele legten den Situationsbericht schriftlich vor. Mit allen gegen eine Stimme wurde beschlossen, eine Reichsorganisation zu gründen, nur über die Beitragsleistung waren die Meinungen verschieden. Da

Adelheid Popp  - Wien  .

Die Frauenfrage.

I.

XE

Ein

Die Frauenfrage in ihrem ganzen Umfang einer Darstellung zu unterziehen", hat die Genossin Lily Braun   unternommen. erster starker Band( 557 Seiten Großoktav), des dieser Aufgabe gewidmeten Werkes ist erschienen. Wie aus dem Titel hervor­geht und im Vorwort näher ausgeführt wird, soll dieser Band als ein in sich abgeschlossenes Ganze die geschichtliche und wirth­schaftliche Seite der Frauenfrage behandeln, der in Aussicht gestellte zweite und abschließende Band ist dazu bestimmt, die zivilrechtliche und öffentlich rechtliche Stellung der Frau, die psycho= logische und ethische Seite der Frauenfrage zu erörtern.

Der Plan, den Frau Braun   entworfen hat, ist umfassend genug. Der Bedeutung des Gegenstandes entsprechend ausgeführt, würde er eine fühlbare Lücke in unserer sozialpolitischen Literatur ausfüllen. Und es mag gleich rühmend hervorgehoben werden, daß die Verfasserin im vollen Bewußtsein ihrer großen Aufgabe sich mit Eifer und Liebe

* Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung und wirthschaft­liche Seite, von Lily Braun  , Leipzig  , bei S. Hirzel.