130

Die Frauenbewegung in Italien  .

Von Dr. Robert Michels  .

1. Allgemeines über die Italienerin.

Die italienische Frau theilt im Ganzen das Schicksal ihrer aus­ländischen Schwestern. Wir werden im Kommenden erfahren, in welchen Punkten sich ihre Lage von der des weiblichen Geschlechts in anderen Staatentheils vortheilhaft, theils unvortheilhaft unterscheidet. Es dürfte aber interessant sein zunächst zu sehen, wie sich die Italienerin selber in ihrem Sein von den Frauen anderer Länder abhebt. Werfen wir also einmal einen kurzen Blick auf ihren Charakter.

--

Es ist unsäglich schwer, mit ein paar kurzen Federstrichen über das Wesen eines nach vielen Millionen zählenden Volkes abzu­urtheilen. Gehört ja bekanntlich schon mehr wie ein Leben dazu, um auch nur einen einzigen Menschen bis ins Innerste kennen zu lernen und beurtheilen zu können. Und gelingt doch selbst dieses anscheinend so niedrig gesteckte Ziel längst nicht Jedem!

Wenn ich mich trotzdem anschicke, einige wenige Eigenschaften hervorzuheben, welche die italienische Frau von ihren Geschlechts­genossinnen in Deutschland  , Frankreich  , England u. s. w. in etwas unterscheiden, so geschieht das nur, weil ich glaube, daß man aus dem Leben und Weben eines Volkes oder eines Geschlechtes dennoch einige Züge vorsichtig herausnehmen kann, wenn man sich dabei nur dessen stets bewußt bleibt, daß diese Züge durchaus nicht allen Individuen der betreffenden Nation oder des betreffenden Geschlechtes eigenthüm­lich sind und also neben der Regel stets eine ungeheure Zahl von Aus­nahmen stehen bleiben wird. Ich werde also hier nur von einzelnen Sammeleigenschaften der italienischen Frauen, die uns besonders auf­fallen, sprechen. Sie sind natürlich zugleich das Produkt des Klimas und der Geschichte des Landes.

-

-

-

Zunächst ist die Italienerin wie auch der Italiener   weit natürlicher und einfacher als die Deutsche  . Das hat zur Folge, daß die Standeseitelkeit und ebenso die Geschlechtseitelfeit, wie sie in Deutschland   in so starkem Maßstab grassiren, fast unbekannt sind. die Der Mann läßt also in Italien  -- rein menschlich genommen Frau nicht so sehr fühlen, daß er Mann, d. h. das historisch seit Ur­zeiten bevorzugte Geschlecht ist. Viele Bitterkeiten, die bei uns leider nur zu oft als Begleiterscheinungen des Kampfes der Frau um ihre Gleichberechtigung auftreten, fallen deshalb in Italien   einfach weg. So liegt dem Charakter der geschlechtsbewußten Italienerin jede Männerfeindschaft" vollständig fern. Eine Männerfeindin würde in Italien   eine bei Weitem lächerlichere Rolle spielen als es hier der Fall ist.

Eine weitere Folge der Natürlichkeit des Volkes ist auch die große wirklich bewundernswerthe Duldsamteit im Ertragen fremder Mei­nungen, sowie im Geltenlassen fremder Ansprüche. Auch dieser Zug trägt dazu bei, daß in Italien   kaum ein Geschlechterkampf entstanden ist. Der Mann sieht die berechtigten Forderungen der Frau eher ein und kämpft dann mit ihr gemeinsam gegen die todten wie die morsch­gewordenen Buchstaben des Gesetzes.

Mit der Natürlichkeit der italienischen Frau hängen weiterhin eine Reihe von Eigenschaften zusammen, die wir an unseren Frauen leider nur sehr selten zu sehen gewohnt sind. So hat doch die Natur jedem Menschen die Macht und den Willen mit auf die Welt gegeben, sich körperlich zu vertheidigen und im Nothfall sogar selbst anzugreifen. Nur eine Unterdrückung der natürlichen Anlage kann es fertig bringen, daß die Frau diese in sie gelegten Fähigkeiten verliert und zu dem sogenannten schwachen Weibe" herabsintt. In Italien   ist die Frau nun verhältnißmäßig sehr" start" geblieben. In feinem Lande der Welt weiß sie sich besser gegen plötzliche und rohe Angriffe zu ver­theidigen als dort. Die italienischen Zeitungen sind reich an Nach­richten, wo Frauen, an denen ein Mord versucht worden war, den Attentäter zurückschlugen oder gar ihm die Waffe entwandten und ihn selber niederstreckten. Nirgends liest man gleichfalls mehr von Racheaften betrogener Mädchen gegen verrätherische Verführer.

Auch die Offenheit ist eine weitere Folge der Natürlichkeit. In Italien   nennen selbst die Frauen die Dinge meist mit ihrem richtigen Namen. Zumal im Aussprechen geschlechtlicher Dinge herrscht nur wenig Prüderie. Der Storchglauben existirt dort selbst im Kopfe kleinster Kinder nicht. Freilich ist es allerdings in einzelnen Gegenden, wie z B. im Biellese, durch den guten Ton" verboten, davon zu reden, daß diese oder jene Frau ein Kind bekommt, das heißt gebiert. Die Sitte befiehlt dort vielmehr nur von Kinderkaufen( comprar un bambino) zu reden. Also: Frau N. N. hat gestern ein Kind gekauft. Aber das sind Ausnahmen. In Süditalien   läßt man sogar die Kinder aufwachsen, ohne ihnen je die geschlechtlichen Dinge durch Märchen zu verhüllen.

All diese besonderen Eigenschaften, welche die italienische Frau vor den Frauen anderer Länder voraushat Offenheit, Natürlich­

-

-

feit, persönlicher Muth sind am unverfälschtesten entschieden bei den Proletarierinnen anzutreffen. Sie verleihen den ganzen sozialen und politischen Rämpfen der arbeitenden Frauen in Italien  ein ganz besonderes Gepräge. Es ist deshalb nöthig gewesen, ihrer Erwähnung zu thun, bevor ich auf die Frauenbewegung in Italien  selber näher eingehe.

2. Die bürgerliche Frauenbewegung in Italien  . Die vornehme Gesellschaft.

In keinem Lande lassen sich die bürgerliche und die proletarische Frauenbewegung schwerer von einander durch eine feste, martirte Grenzlinie scheiden wie in Italien  . Während bei uns in Deutschland  bekanntlich beide Bewegungen gleichsam durch einen ebenso tiefen als breiten Spalt getrennt sind, über den nur sehr wenige und sehr schmale Brücken als Berührungspunkte führen, so wogt in Italien   förmlich alles in einander über. Das ist nicht etwa so zu verstehen, als ob in Italien   die proletarische Frauenbewegung mit bürgerlichen Ele­menten durchmischt sei. Das wäre ein Unding. Denn eine sozialistische Bewegung kann zwar bürgerliche Elemente in sich aufnehmen und das hat sie stets gethan und zwar nicht nur ohne jeglichen Schaden, sondern sogar zu ihrem besonderen Nußen, aber sie muß sie sofort assimiliren und mit ihrem Geiste durchdringen, sonst bleibt sie eben nicht mehr das, was sie ist und sein soll. Wohl aber ist die bürger­liche Frauenbewegung in Italien   sehr stark mit proletarischen Ele­menten durchsetzt. Ich werde erklären, woher das kommt.

-

-

In Italien   spielt in den oberen Ständen sowohl eine wenn auch zumeist blos sehr äußerliche Kirchlichkeit als auch die ton­angebende Konvention in Frauenkreisen eine sehr große Rolle. Da außerdem, wie wir noch sehen werden, der Staat den Frauen sehr bald und fast ohne Kampf alle die Gebiete zum Tummeln überließ, um welche unsere bürgerlichen Frauen in Deutschland   noch immer mit so mäßigen Erfolgen ringen, so hat in Italien   eine starke, ziel­bewußte bürgerliche Frauenbewegung in unserem Sinne nicht recht aufkommen können. Auf den Gebieten aber, auf denen von Seiten der bürgerlichen Frauen noch thätig gewirkt werden kann- Schule, Hygiene, Wahlrecht, Verbesserung des Eherechtes, Kampf gegen Mili­tarismus 2c. treffen sie überall auf Männer und Frauen aus dem Proletariat, und so kommt es, daß der größte Theil derselben selbst proletarisirt und somit allmälig Anhänger des internationalen Sozialis mus wird.

-

Die Gegensätze liegen also ganz anders wie bei uns, nämlich zwischen der frauenfeindlichen großen Welt" einerseits und den beiden einander nicht feindlichen Frauenbewegungen andererseits.

Die Frau des Adels und der vornehmen Bourgeoisie lebt das Leben einer Orientalin. Ihre Hauptfreude besteht darin, sich mit möglichst fostbaren Stoffen und Edelsteinen zu behängen. In einem großen Prozentsaß dieser Damen hat sich eine Eigenschaft herausge­bildet, die der Italienerin anderer Stände ganz fern liegt und der Nationaltugend der Natürlichkeit direkt widerspricht,* nämlich die Koketterie im Verkehr mit Männern. So spricht der bekannte neapoli­tanische Dichter Roberto Bracco   mit Recht von der launischen Ge­sellschaft, die selbst in der Tugend noch lasterhaft ist, einer Gesellschaft, in welcher eine elegante junge Frau, auch wenn sie sittlich makellos ist, nur selten auf den Luxus verzichtet, sich wenigstens äußer­lich wie eine Dirne zu benehmen!"**

-

Aber es hieße den Frauen der ersten Stände" Italiens   doch die sie Unrecht thun, wenn man nur diese Seite ihres Thuns übrigens mit den vornehmen Frauen Deutschlands   durchaus theilen! beleuchten wollte. Viele von ihnen betheiligen sich doch an Be­strebungen, die zwar mit einer gesunden und bewußten Frauenbe­wegung wenig gemeinsam haben mögen, die aber doch immerhin von gutem Willen zeugen. So entstand zum Beispiel schon im Jahre 1873 in Rom   das Istituto Morale e Letterario Femminile( Moralisches und Literarisches Fraueninstitut), im Volksmund zumeist nach der Straße, in der es liegt, La Palombella genannt, welches zwar von einem Manne, nämlich dem als Philosophen und Staatsmann be­kannten Domenico Berti   begründet wurde, sich aber der thätigen Mitarbeit vieler Frauen der Aristokratie, unter Anderen der Königin Margherita und der Donna Laura Minghetti, der Schwiegermutter des Reichskanzlers Grafen Bülow, erfreut. Als Vizepräsidentin( Präsidentin ist die Königin- Mutter selbst) ist seit langen Jahren die berühmte greise Schauspielerin Adelaide Ristori   in unermüdlichster Weise thätig.

Sobald sich diese Damen aber auf soziales Gebiet wagen, richten sie gar nichts aus, am wenigsten, wenn sie unter sich bleiben. Am

* Vergleiche das Urtheil der Madame de Staël   in Corinne ou l'Italie. ( Paris  , Garnier Frères, S. 111.) ** Roberto Bracco   im Vorwort zu seinem Diritto dell'Amore( Das Recht auf Liebe). Neapel   1900.