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demokratischen Vereins handelte und eine Versammlung dieser Organi­sation einberief. Die Gründe für diese Annahme sind folgende: " Huber ist Mitglied des Vereins, ebenso war der Referent Eizinger früher Mitglied; in der Fränk. Tagespost ' wurde zur Versammlung eingeladen, und dieses Blatt ist das Vereinsorgan des Sozialdemo­fratischen Vereins. Für die Annonce wurde nichts berechnet, was nicht geschehen wäre, wenn Huber als Privatperson gehandelt hätte. Huber hat in der Versammlung Formulare zur Beitrittsanmeldung zum Sozialdemokratischen Verein vertheilt und Mitglieder zu werben gesucht, ebenso hat er Parteibrochüren vertheilt. Ferner hat er in anderen Versammlungen, wo er als Einberufer fungirte, zum Ausbau der politischen Organisation aufgefordert; er hat also, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch stillschweigend die Geschäfte des Vereins besorgt, und der Verein war auch mit seinem Vorgehen einverstanden. So wurde die Vereinsversammlung mit Umgehung des Gesetzes zu einer Volksversammlung gemacht."

Es leuchtet ein, daß mit einer Urtheilsbegründung wie der vor­stehenden, jede beliebige Volksversammlung zu der Vereinsversamm­lung eines sozialdemokratischen Vereins in Buxtehude oder Kuh­schnappel oder sonstwo erklärt werden kann, dafern die Behörden es nur wollen. Die angewandte Beweisführung macht das Recht der bayerischen Frauen, öffentlichen politischen Versammlungen beizu­wohnen, völlig vogelfrei. Das steht um so mehr zu befürchten, als sie die Billigung des Ministers, der Regierung gefunden hat.

Dem bayerischen Landtag lag eine Petition verschiedener Frauen­vereine vor, welche darum ersuchten, die Bestimmung in Artikel 15 des bayerischen Vereinsgesetzes aufzuheben, wonach Frauen weder Mitglieder politischer Vereine sein, noch deren Versammlungen bei­wohnen dürfen. Gelegentlich der Verhandlung über diese Petition in der Sigung vom 30. Juli wendete sich der sozialdemokratische Abgeordnete Segiß scharf gegen die wundersame Entscheidung des Nürnberger Landgerichtes. Er betonte, daß mittels der beliebten Be­gründung jede von einem Sozialdemokraten einberufene öffentliche Versammlung zu einer Vereinsversammlung gestempelt werden könne, und daß damit das Versammlungsrecht der proletarischen Frauen thatsächlich aufgehoben werde. Seine Kritik flang in der Forderung des vollen politischen Vereinsrechtes der Frauen aus, Artifel 15 des Vereinsgesetzes müsse fallen.

Der Minister des Innern erwiderte darauf, seit der letzten Revision des Gesetzes sei eine viel zu kurze Zeit verflossen, als daß es jetzt schon wieder geändert werden könne. Eine dringendes Be­dürfniß zu einer solchen Aenderung liege auch zur Zeit nicht vor. Die Herren Sozialdemokraten seien selbst Schuld, wenn Urtheile ge­fällt würden, wie in Nürnberg . Das sozialdemokratische Parteistatut enthalte die Bestimmung, daß in jedem Orte nur ein Verein bestehen dürfe. Damit sei ausgesprochen, daß die Sozialdemokratie sich als einen großen Verein betrachte, und die von Sozialdemokraten einbe­rufenen öffentlichen Parteiversammlungen seien wohl als Vereins­versammlungen anzusehen. Er könne wohl andere Direktiven hinaus geben, doch würden die Gerichte sich nicht daran halten, sondern von Fall zu Fall nach den Thatumständen urtheilen. Segit stellte daraufhin fest, daß diese Ausführungen des Ministers nur den Richtern einen Fingerzeig geben, wie sie in Zukunft die Frauen aus öffent­lichen Versammlungen ausschließen können, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu gerathen. Er müsse deshalb die Forderung auf erneute Revision des Vereinsgesetzes aufrecht erhalten.

Die sozialdemokratische Landtagsfraktion hatte beantragt, die Petition der Regierung zur Würdigung zu überweisen. Bei der Ab­stimmung schlossen die Liberalen sich ihr an, die Zentrümler und Bauernbündler brachten aber den Antrag zu Fall.

Die Erklärung des Ministers wird sicherlich nicht zu einer ver­besserten, sondern zu einer verböserten Praxis des Versammlungs­rechtes in Bayern führen. Denn sie verallgemeinert, was das Land­gericht Nürnberg in dem einen Falle angenommen hatte. Nämlich: daß jede öffentliche Versammlung als Vereinsversammlung gelten tann, wenn sie von einem Sozialdemokraten einberufen oder geleitet wird. Daß Thatumstände" von Fall zu Fall das erweisen werden, dafür ist gesorgt. Wozu gäbe es auch Polizeischneidigkeit und Juristen­witz! Logische Seiltänzerei und Haarspalterei wird stets darthun können, daß von Rechtswegen befunden, erkannt und geahndet worden ist. Wäre es jedoch, wie die Dinge liegen, nicht einfacher, den Text des bayerischen Vereinsgesetzes wie folgt abzuändern?:§ 1. Groß­jährige Frauen dürfen öffentliche politische Versammlungen besuchen. § 2. Frauen, die den§ 1 in Praris umsehen, werden bestraft, ebenso die Leiter der Versammlungen, in denen sich Frauen dieses Vergehens schuldig machen. Das wäre unzweideutig und würde manchen Ju­risten der sauren Nothwendigkeit entheben, als Interpretationsbär an der Leiter kunstreicher Beweisführungen mühevoll auf- und abzuturnen.

Notizentheil.

Frauenarbeit auf dem Gebiet der Jndustrie, des Handels und Verkehrswesens.

Weibliche Stationsvorsteher. Der erste weibliche Bahn­stationschef in Desterreich ist nicht, wie irrthümlich in vielen Blättern mitgetheilt wurde, kürzlich an der Station Vilpian ange­stellt worden. Er thut vielmehr schon seit dem 8. Mai d. J. an der Station Achensee der Achenseebahn in Tirol Dienst. Die Dame, die das Amt bekleidet, ist eine Tirolerin, die mit Genehmigung des österreichischen Eisenbahnministeriums angestellt wurde. Eine rothe Armbinde macht ihre Würde kenntlich. Fräulein Mizzi Horat, eine Wienerin, der kürzlich die Leitung der Station Vilpian , auf der Strecke Bozen - Meran , übertragen wurde, ist der zweite weib­liche Stationsvorsteher in Desterreich. Auf nicht weniger als sieben Stationen der Aarhuser Lokalbahn( Schweiz ) amtiren seit einiger Zeit gleichfalls Frauen als Vorsteher. Die französisch - belgische Nordbahn hat bereits vor etwa zehn Jahren auf der Station Tailfer, der Strecke Namur- Dinant, ein junges Mädchen als Stations­vorsteher angestellt. Die Betreffende war die älteste Tochter einer Familie, die durch einen Eisenbahnunfall den Ernährer verlor. Sie hat inzwischen geheirathet, versieht jedoch ihren Posten weiter. In England werden nach der St. James' Gazette" eine ganze Anzahl von kleinen Bahnhöfen von weiblichen Vorstehern geleitet. Im Be­trieb der australischen Staatsbahn sollen sehr zahlreiche Bahn­hofsvorsteherinnen thätig sein, in der Kolonie Vittoria allein nicht weniger als 200. Auch im deutschen Eisenbahnbetrieb hat kürzlich der weibliche Stationschef seinen Einzug gehalten. Die neue Eulengebirgsbahn hat zur Leitung mehrerer Stationen Frauen berufen. An der Station Nieder- Petersdorf waltete bei der Einweihung der Strecke Silberberg Mittelsteine bereits eine Stationsvorsteherin ihres Amtes. Die Bahn gehört einer Aktien­gesellschaft. Wir bedauern, daß bis jetzt der Deffentlichkeit gar keine Angaben über die Gehaltsverhältnisse der weiblichen Stationsvor­steher vorliegen. Es wäre wichtig festzustellen, ob auch die Ueber­tragung eines so verantwortungsreichen Postens, wie es der eines Stationschefs unzweifelhaft ist, die leidige Sparpolitit" der staat­lichen und privaten Eisenbahnverwaltungen eine Rolle spielt.

Gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation.

Das Protokoll des vierten Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands ist im Verlag der Generalkommission erschienen. Es enthält außer dem ausführlichen Bericht über die Kongreßverhand­lungen auch den Rechenschaftsbericht der Generalfommission. Der Preis der 288 Seiten starken Broschüre beträgt im Buchhandel 1 Mt., die Gewerkschaftsmitglieder erhalten sie jedoch für 20 Pf., wenn sie dieselbe durch ihre Organisation oder das örtliche Gewerkschaftskartell beziehen. Da auf dem letzten Gewerkschaftskongreß die Frage der gewerkschaftlichen Agitation unter den Arbeiterinnen behandelt worden ist, so empfehlen wir die Anschaffung und das Studium des Proto­folls insbesondere Allen, die sich für die Organisirung der Arbeite­rinnen intereffiren.

Zahl der gewerkschaftlich organisirten Arbeiterinnen im Staate New York . Im Staate New York waren am 31. März 1902 in 1930 gewerkschaftlichen Organisationen, die Zweigvereine sind da­bei mitgezählt, 279 950 Arbeiter und Arbeiterinnen zusammengeschlossen. Zu der angegebenen Zahl der Organisirten stellten die Arbeiterinnen 12 705.

Zahl der gewerkschaftlich organisirten Arbeiterinnen in Oesterreich . Nach der Statistik der Gewerkschaftskommission Desterreichs" hatten 1901 die Berufsgewerkschaften", welche die eigentlichen Träger der Gewerkschaftsbewegung in Desterreich sind, 113 672 männliche und 5378 weibliche Mitglieder.

Frauenstimmrecht.

Das Frauenstimmrecht zu dem australischen Bundes­parlament ist kürzlich mit überwältigender Mehrheit beschlossen worden. In den sechs Staaten, welche sich föderirt haben, wird in der Folge zum gemeinsamen Bundesparlament jede großjährige Frau, ob verheirathet oder ledig, das Wahlrecht besitzen, die britische Staats­angehörige ist und mindestens sechs Monate ununterbrochen Austra­ lien bewohnt hat. Natürlich fehlte es nicht an Gegnern des Frauen­wahlrechts, die mit den alten bekannten Ladenhütern hausiren gingen. So meinte Sir Josiah Symon, die Frauen wollten das Stimm­recht gar nicht. Ihm antwortete Mr. Gregor, Abgeordneter für