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Die bis jetzt gesammelten Erfahrungen sind völlig ausreichend für| für den Ausschuß der Invaliditätsversicherung und auch keinen Ein­den Nachweis, daß die Arbeiterversicherung ohne jegliche Gefahr für unser Wirthschaftsleben weiter ausgebaut und größeren Zielen entgegengeführt werden kann. Der Ausgangspunkt ihrer weiteren Entwicklung sollte zunächst ihre Vereinfachung sein. Man müßte eine einzige Organi­sation schaffen, der man die Durchführung des Kranken- und In­validitätsversicherungsgesetzes überließe. Die Unfallversicherung muß man vorläufig außer Betracht lassen, weil diese feine Deckung für ihre Verpflichtungen hat, und weil die Betriebsunfälle immer als Un­kosten des Betriebs zu behandeln sind. Wird es als Aufgabe der Versicherung betrachtet, soweit als möglich dahin zu wirken, daß Krankheit und Invalidität vorgebeugt wird, so können Erfolge erzielt werden, die es ermöglichen, den Kranken und Invaliden ausreichende Mittel zur Verpflegung zuzuweisen. Der einheitlichen Organisation für Arbeiterversicherung müßte man auch die Durchführung neuer Versicherungszweige überlassen.

Den Versicherten ist ein weitgehendes Recht der Selbstverwaltung zu sichern, denn sie sind es, welche die Beiträge aufzubringen haben. Sehr richtig bezeichnet Dr. Bödiker, der ehemalige Präsident des Reichsversicherungsamtes, den Unternehmerbeitrag als einen fest­stehenden Theil des Arbeitslohns. Müssen aber die Arbeiter die Kosten der Versicherung tragen, dann fehlt es an jedem plausiblen Grunde, ihnen die Verwaltung vorenthalten zu wollen. In der Kranken­versicherung haben sie bewiesen, daß sie gute Verwalter sind und recht Vieles zum Weiterausbau der Versicherung beitragen. Ist erst einmal die einheitliche Organisation vorhanden, dann wird sich bei weit­gehender Selbstverwaltung der Versicherten die Durchführung weiterer Versicherungen auf Grund der einfachen Beitragserhöhung leicht ermög­lichen lassen. Die Arbeitslosenversicherung, die Witwen- und Waisen­versorgung würde zwar erhebliche Summen erfordern, allein die Schwierigkeiten, die sich nach der Meinung von Bureaukraten der Durchführung weiterer Versicherungen entgegenstellen, würden die Versicherten spielend überwinden.

Daß die in den Gesetzen vorgeschriebenen Mindestleistungen den Bedürfnissen nicht entsprechen, hat man auch jetzt anerkannt. Man hat das Recht zu Mehrleistungen zugestanden. Im Krankenversiche rungsgesetz im§ 21, im Invaliditätsversicherungsgesetz in den§§ 18, 25 und 45. Bei der Krankenversicherung haben die Versicherten da­rüber zu entscheiden, und sie machten vielfach von dem Recht Ge­brauch, so daß die Ortskassen statt für 13 Wochen durchschnittlich schon für 20 Wochen Krankengeld zahlen. Wo die Arbeiter zum größten Theile in Ortstassen organisirt sind, haben sie auch einen Einfluß auf die fakultativen Leistungen der Invaliditätsversicherung. Dieser Einfluß fällt weg, wo die Gemeindekasse dominirt, weil hier der Ausschuß zur Invaliditätsversicherung auf komplizirtem Um­weg durch die Verwaltungsbehörde ernannt wird. Die Gemeinde­tasse, mit ihren Mindestleistungen und der Entrechtung der Ver­sicherten, ist in Bayern   die beliebteste Form der Versicherung. Die übergroße Mehrheit der bayerischen Arbeiter muß sich in der Folge mit den gesetzlichen Mindestleistungen begnügen, also mit Kranken­geld in Höhe der Hälfte des ortsüblichen Tagelohns, sie erhält kein Sterbegeld, den weiblichen Mitgliedern wird keine Wöchnerinnen­unterstützung zu theil u. s. w. Die Mitglieder haben kein Wahlrecht

Die Spulerin.

Wenn ich an der Maschine steh', Dann schlägt mein Herz so bang und weh, Und seh' ich den weißen Fäden nach, Werden seltsame Gedanken in mir wach.

fluß auf die Besetzung der Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung und der Beisitzer in dem Landes- und Reichsversicherungsamt. Die weitere Folge davon ist, daß von den fakultativen Bewilligungen des Invaliditätsversicherungsgesetzes wenig Gebrauch gemacht wird. Für Heilverfahren gaben die vier bayerischen Versicherungsanstalten 15915 Mark aus, während Württemberg 316 599 Mart, die Hanse­städte 417 883 Mark und Baden 484820 Mark für den gleichen Zweck aufwendeten, und doch waren in Bayern   beträchtlich mehr Beitragsmarken als in Württemberg und den Hansestädten, und nur etwas weniger als in Baden verkauft worden. Die Thatsachen zeigen, daß die Versicherten, wenn man ihnen Einfluß auf die Verwaltung giebt, immer geneigt sind, der Versicherung höhere Ziele zu sehen. Wenn man daher eine allgemeine Arbeiterversicherung schaffen und den Versicherten das Recht des weiteren Ausbaues geben wollte, so würde sich bald ein Organismus entwickeln, der den Bedürfnissen des Volkes entspräche.

Würden die Herrschenden aufhören, das Vorhandene als Welt­wunder anzustaunen, würden sie sich vielmehr an den Gedanken ge­wöhnen, daß es nur ein gelungener Versuch ist, welcher die Mög­lichkeit einer Arbeiterversicherung beweist, so würden die gesetz­gebenden Gewalten sich zu einschneidenden Reformen entschließen. Die Reform könnte sich vorläufig auf die Erweiterung der Rechte der Versicherten beschränken. Die Versicherten selbst werden am besten ihre Bedürfnisse zu beurtheilen wissen. Ist der aufgezeigte erste Schritt gethan, so brauchte die Gesetzgebung nur die aus den Kreisen der Versicherten kommenden Anregungen zu prüfen, resp. zu befolgen. Wir sind überzeugt, die Versicherten brauchen kein Jahrzehnt, um die Versicherung so auszubauen, daß sie von jedem vorurtheilsfreien Be­obachter als Kulturwerk ersten Ranges bewundert und in anderen Kulturstaaten nachgeahmt würde. Die Parole muß daher sein: Ar­beiterversicherung an Stelle der Versicherung der Gemeinden gegen Armenlasten und der Unternehmer gegen Haftpflichtschäden; Verein­heitlichung der Versicherung und Erweiterung der Rechte der Ver­sicherten. Als vornehmstes Ziel der Versicherung muß erstrebt werden: Verhütung des Eintritts des Versicherungsfalles und, wo dieser sich nicht verhüten läßt, ausreichende Unterstützung des Betroffenen. Die Erfahrung hat bewiesen, daß man nicht vor der Verausgabung einiger hundert Millionen Mark zurückschrecken darf, da diese Summen sich nur als Ausgabe von wenigen Pfennigen darstellen, wenn sie auf den Kopf des Versicherten und auf den Arbeitstag berechnet werden. Das erreichbare Ziel ist aber nicht nur von hohem kulturellen Werth, sondern auch von großem wirthschaftlichen Nuzen, indem eine wirk­lich gute Versicherung die Arbeitsfähigkeit der Arbeiterklasse der Nation erhält und ihre Leistungsfähigkeit steigert.

Textilarbeiterinnenelend in Freiburg   i. Br.

Von Touise Biek- Hamburg  .

Ueberaus traurige, verbesserungsbedürftige Verhältnisse herrschen in der Seidenbandweberei der Firma Metz& Söhne in Frei­ burg   i. Br., und das sowohl bezüglich der Arbeitszeit, als auch vor

D. Gedichte von Otto Krille.  *

Durch der Ruder schwermüthig- grollendes Lied Es leise wie Kinderklage zieht. Nach Sonnenschein und Blüthenduft Tief innen im Herzen die Sehnsucht ruft.

Und zwischen Sehnsucht und hartem Zwang Geht meines Lebens einförmiger Gang, Und es zieht dem Garn von der Spule nach Mein Lebensglück und mein Herzensschlag.

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* Die drei ersten der nachstehenden Gedichte von Otto Krille   der unseres Erachtens das stärkste dichterische Talent ist, das in den legten Jahren aus dem deutschen   Proletariat auftauchte find bisher noch nicht veröffentlicht worden. Wir verdanken das Manuskript der Güte eines Genoffen in Bremen  . Das vierte Gedicht von Krille ist der Sammlung entnommen Stimmen der Freiheit", herausgegeben von Konrad Beißwanger  , Nürnberg   1901. Die Red.

Arbeiterliebe.

I.

Mich hält der Tag und zehrt von meinem Leben, Das Noth auf seiner dunklen Woge trägt, Indeß mein Herz mit sehnsuchtsbangem Beben Traumloser Ruh' der Nacht entgegenschlägt.

Du bist die Nacht, bist Ruh und tiefste Stille, Im kalten Leben stärkendes Erwarmen Und im Entbehren früchtesatte Fülle Mit deinen Lippen und mit deinen Armen.

II.

Dich ruft mein Herz bei jedem Stundenschlag, Der träge schallt in meinen Arbeitstag. In allem Lebensringen, reich und hart Ruft stets mein Herz nach deiner Gegenwart.

Du aber stehst im weiten Arbeitsraum, Jns Räderwerk verfliegt dein Jugendtraum, Und während still mein Sehnen um dich wirbt, Dein Herz, dein Geist und deine Schönheit stirbt.

Kampffrohe Jugend.

Und das ist unser gutes Recht:

Wir stürzen das Alte, was morsch und schlecht, Und lachen ob eurer Gesetze.

Denn was eure Sattheit für Recht ermißt, Für uns noch lange nicht heilig ist, Daß der Hunger es nicht verletze.

Und weil die eure uns nicht gefällt, Drum bauen wir selber uns eine Welt, Und schaffen uns eigene Götter. Wie Frühlingssturm brausen wir in den Tag; Was fallen und stürzen, was fallen mag' In dem weltenerlösenden Wetter.

Und graut euch vor eurem Untergang,

Nun, so grollt nicht lang, so schmollt nicht lang, So stellt euch mit uns zum Gefechte! Heraus mit den Schwertern des Geistes, heraus! So streitet im tobenden Geisterstrauß Um eure vermoderten Rechte!