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Allem bezüglich des Lohnes. Erklärlich genug. Die Inhaber dieses Betriebs huldigen, wie die meisten Schlotbarone, dem Grundsatz: Non olet, Geld stinkt nicht! Der Firma sind alle Mittel recht, wenn sie nur etwas einbringen. Sie beschäftigt deshalb nicht nur vorwiegend weibliche Arbeiter und darunter sehr viel jugendliche, sondern holt sich diese Arbeiterinnen noch in waschecht patriotischer Gesinnung aus dem Auslande, aus Italien . Die jungen italienischen Mädchen, die oft kein Sterbenswörtchen Deutsch verstehen, sind widerstandslos den tapitalistischen Ausbeutungspraktiken ausgeliefert. Das aber um so mehr, als sie in den Fabrikskasernen untergebracht sind, zu denen Fremde keinen Zutritt haben und welche die Mädchen nach 9 Uhr Abends nicht mehr verlassen dürfen bei Gefahr der Aussperrung und Entlassung. Von einer Organisation der Ausgebeuteten ist natürlich feine Spur.
Wie schwer es ist, von außen her den Organisationsgedanken unter sie zu tragen, erhellt erklärlich aus dem Obengesagten. Wie bitter noth aber ein fester Zusammenschluß diesen armen Lohnstlaven thut, mag das Folgende zeigen.
Die Arbeitszeit ist eine elfftündige, von 6 bis 6% Uhr mit einstündiger Mittagspause. Um den gesetzlichen Bestimmungen für Minderjährige zu genügen, ist für diese je eine halbe Stunde für Frühstück und Vesper eingeschaltet; die über 16 Jahre alten Arbeiterinnen müssen ihr Brot bei der Arbeit verzehren. Für die Arbeit unter solchen Umständen giebt es einen Tagelohn von sage und schreibe 70 Pf., der allmälig auf 1,30 Mt. steigt. Diese allmälige Steigerung erfolgt durch jeweilige Erhöhungen um 2, 3, mitunter auch um 5 Pf. Eine alte Arbeiterin, die 30 Jahre bei der Firma beschäftigt ist, hat einen Monatsverdienst von 30 Mt. Dabei sind Mieth- und Lebensmittelpreise am Orte nicht etwa besonders niedrige. Die genannte Arbeiterin muß beispielsweise für ein recht bescheidenes " Heim" 13 Mt. pro Monat zahlen. Ihr verbleiben also für Kost, Bekleidung, Beheizung, Beleuchtung 2c. ganze 17 Mt. pro Monat, das macht 57 Pf. pro Tag. Das ist einfach haarsträubend! Die Firma ist allerdings anderer Meinung. Wie könnte sie sonst die Arbeiterinnen bei diesem mehr denn jammervollen Einkommen, das eine chronische Unterernährung bedingt oder die ausgewucherten Aermsten in der Prostitution einen Nebenerwerb suchen läßt, zum ,, Sparen" anhalten.
Wenn es nicht so tieftraurig wäre, so wäre es wahrhaft zum Lachen!
Thatsächlich sollen Arbeiterinnen bei den vierzehntägigen Lohnzahlungen 1 Mt., mitunter sogar 3 Mt. als„ Sparpfennig" stehen lassen. Um auch bei den Italienerinnen die edle Tugend des„ Sparens" auszubilden, wird denselben Kost und Logis für 40 Pf. pro Tag geliefert. Da die Firma keine Zuschüsse zur Deckung der einschlägigen Kosten macht, kann man sich denken, wie Kost und Logisselbstverständlich Massenquartiere- beschaffen sind.
Uns erscheint es geradezu strafwürdig, Arbeiterinnen, Menschen, denkende, fühlende Menschen, die doch auch mit Lebenslust, Schönheitssinn, mit heißer Sehnsucht nach Lebensfreude und höheren Genüssen ausgestattet sind, bezüglich ihrer Lebenshaltung so systematisch auf die Stufe der Thiere herabzudrücken, ja eigentlich noch unter diese. Denn ein Thier wird wenigstens noch gesättigt, diesen Aermsten ist es aber nicht einmal möglich, die Mittel zur ausreichenden Fristung der nackten physischen Existenz zu erschwingen. Und dabei werden sie noch zur Sparsamkeit ermahnt! Jeder„ ersparte" Nickel ist geradezu ein Raub an Gesundheit, Leben und Menschenwürde der Arbeiterinnen. Freilich: der Firma ist nichts angenehmer, als recht viele„ Sparagnesen" zu züchten. Profitirt sie dabei doch dreifach. Erstens erhält sie dadurch billiges Betriebskapital. Wir konnten zwar nicht ermitteln, ob und wie hoch den Arbeiterinnen ihr Erspartes verzinst wird, jedenfalls ist es aber bei der großen Zahl der Beschäftigten für die Firma schon ein annehmbarer Vortheil, wenn am Lohntag jeder einzelnen Arbeiterin auch nur 50 Pf. weniger ausbezahlt zu werden braucht, als es der Fall sein müßte. Dann aber ist diese gemachte Einlage in die Fabrikspartasse eine starke Kette, welche die Einlegerinnen an den Betrieb fesselt, ein wirksamer Knebel, ihnen den Mund zu stopfen. Drittens aber kann die Firma trotz der maßlosen Ausbeutung ihrer Lohnsklavinnen nach außen mit diesen„ Spareinlagen" ihrer Arbeiterinnen als humaner Arbeitgeber paradiren. Welch blutiger Hohn!
Das Geschilderte beweist, wie schwer hier die Organisationsarbeit ist. Aber sie ist trotz Allem nicht unmöglich. Es wird immer von Neuem versucht werden müssen, auch diesen Sklavinnen des Kapitals den Segen des festen Zusammenschlusses zugänglich zu machen.
Von Dr. Robert Michels.
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3. Die bürgerliche Frauenbewegung in Italien . Die eigentliche Bewegung.
Die eigentliche Frauenbewegung in Italien geht nicht so sehr von den obersten Ständen als vielmehr in der Hauptsache von den Schichten der gebildeten und der kleinbürgerlichen Frauen aus. Sie ist aber, wie ich an dieser Stelle nochmals wiederholen möchte, weil dieser Umstand zum Verständniß des Ganzen durchaus im Auge behalten werden muß, auf das Stärkste mit sozialistischen Elementen durchsetzt.
Hier muß nun zu allererst, und zwar mit Betonung, gesagt werden, daß diejenige Frage, die in anderen Ländern eigentlich den Kernpunkt der ganzen Bewegung ausmacht, nämlich die Universitätsfrage, hier in Italien schon seit Jahrzehnten auf das Glücklichste gelöst ist.
Schon am 8. Oftober 1876 wurden auf königliche Verfügung hin sämmtliche Universitäten des Landes den Frauen zum Studium eröffnet und zwar bedingungslos. Alle Fakultäten stehen ihnen also frei, alle Examina tönnen von ihnen gemacht, alle Berufe ausgeübt werden.
Vom Jahre 1877, also dem Folgejahr der Freigabe sämmtlicher italienischen Universitäten an die Frauen, bis 1900 haben im Ganzen 257 Studentinnen ihre„ Laurea" davongetragen, das heißt also ihr Dottoreramen bestanden, und zwar( einem offiziellen Bericht zufolge): 140 in Sprachen und Geschichte,
37 in Philosophie,
20 in Mathematit,
30 in Physit, Chemie, Naturwissenschaften,
24 in Medizin,
6 in Jurisprudenz.
Wie stark das Frauenstudium mit den Jahren zugenommen hat, erhellt zur Genüge aus der Thatsache, daß, während in den ersten Jahren nach der offiziellen Zulassung der Frauen nur wenige von der Erlaubniß Gebrauch machten, die Zahl der Studentinnen, welche 1893 bereits 98 betrug, im Jahre 1900 schon 250 überstieg.
Die hier durch den neuesten offiziellen Bericht des italienischen Kultusministers veröffentlichten Zahlen bieten ein um so erfreulicheres Bild, als man bei Werthung dieser Zahlen bedenken muß, daß die Bevölkerungsziffern von Deutschland und Italien wie 2: 1 stehen, sowie daß die italienischen Studentinnen so gut wie alle Landesfinder sind, während doch in Deutschland bekanntlich die Hälfte der weiblichen Studentinnen aus dem Ausland stammt.
Die klassischen und technischen Schulen Italiens waren 1900 von 5513 Schülerinnen besucht, von deren allein 3900 auf die technischen und Gewerbeschulen entfallen.
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,, Es ist also", sagt die Relation mit Recht, eine starke und zahlreiche Phalany von Frauen vorhanden, welche vorwärts schreitet und sich darauf vorbereitet, sich sowohl auf ökonomischem als auf sozialem Gebiet im Kampfe zu bewerthen."
Gleichzeitig mit der Freigebung der Universität wurde ihnen auch die Erlaubniß ertheilt, in die Gymnasien der Knaben einzutreten. Im Jahre 1891 that man ein Weiteres. Auf Verordnung des Kultusministers wurde nämlich in Rom obendrein ein staatliches Mädchengymnasium errichtet( Liceo Governativo Femminile), dessen erste Direttrice eine Frau, Teresa Manucci, die gelehrte Tochter des be= fannten Literarhistorikers Conte Angelo De- Gubernatis, wurde.
Für einen Deutschen , der leider daran nicht gewöhnt ist, recht auffallend ist auch die logische Konsequenz, mit welcher der italienische Staat auf der einmal beschrittenen frauenfreundlichen Bahn weiterging. Er zögerte nicht, auch die Lehrstühle den Frauen zugänglich zu machen. So wirken seit Jahresfrist in Italien zwei Privatdozentinnen, in Rom die Rechtsphilosophin Teresa Labriola , die Tochter des berühmten sozialistischen Nationalökonomen Antonio Labriola , der an derselben Universität lehrt, und Signorina Rina Monti in Padua für Anatomie und vergleichende Physiologie.
Es ist natürlich, daß die„ Gesellschaft" sich zuerst hartnäckig gegen all diese Neuerungen sperrte. Zumal im schwarzen, heiligen Rom galt es einem sittlichen Fall gleich, wenn ein junges Mädchen studiren wollte. Aber die bürgerliche Welt hat sich schnell daran gewöhnt. Jetzt zeigen die Mütter ihren Töchtern vielfach die ,, Studentessa "-förmlich als ein Vorbild weiblicher Tugend. Auf fast allen Hochschulen des Landes ist der Zulauf junger Damen ein sehr beträchtlicher, viel beträchtlicher, als er es bei uns in Deutschland , bei den allerdings noch immer sehr verzwickten Verhältnissen ist. Der Verkehr mit den jungen Studenten ist überall ein sehr herzlicher. Bisweilen soll er, wie mir ein italienischer Universitätsprofessor einmal sagte, aller
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Siehe Nr. 17 der„ Gleichheit".