Parteiführer diese Schmutzkonkurrenz, wenn auch sicherlich unbeabsichtigt, so doch sehr wirksam durch ihre ständige Mitarbeiter- schaft an den„Sozialistischen Monatsheften" und ihren„Boykott" der„Neuen Zeit" förderten. Allein wie die Dinge gelegen sind. konnte die angeschnittene Frage nicht erörtert werden, ohne daß auch die Redaktionsführung und die Tendenz der beiden Zeitschriften in den Kreis der Polemik gezogen wurden. Und so schwingen in ihr Saiten der Auseinandersetzung mit, welche vor Allem auf den Parteitagen zu Hannover und Lübeck voll angeschlagen worden sind, und die auch in Zukunft unstreitig wieder erklingen werden. Gewiß, daß den einschlägigen Debatten mancher unerquickliche Zug anhaftet. Trotzdem glauben wir, daß sie im Ganzen klärend und die Parteientwicklung fördernd gewirkt haben. Im Mittelpunkt der übrigen Parteitagsarbeiten standen die nächsten„Reichstags Wahlen ". Bebels markiges, von echter Kampfesleidenschaft durchglühtes Referat dazu gab ein scharf- umrissenes Bild der Situation und der Aufgaben, welche sie für die Sozialdemokratie schafft. Es leitete in würdigster Weise die Wahlkampagne ein und bot zugleich eine wahre Musterleistung einer politisch erziehenden, agitatorisch wirksamen Wahlrede, die manchem Kämpen ein leuchtendes Vorbild sein wird. Als beachtliches Moment der Debatten sei die vorzügliche Präzisirung unserer Stellung zur Religion hervorgehoben, durch welche Genosse v. Wollmar die freidenkerische Pauke eines Delegirten beantwortete. Die Sozialdemokratie tritt gerüstet und gewappnet in den großen Kampf ein, in welchem sie zufolge des Bankerotts des bürgerlichen Liberalismus nicht blos die proletarischen Klaffeuinteressen zu verfechten hat, sondern gleichzeitig die Interessen der erdrückenden Mehrheit der Nation, sowie wichtigste Bedingungen für die normale Fortentwicklung des wirthschaftlichen und politischen nationalen Lebens. Molkenbuhrs meisterliches Referat über„Arbeiterversicherung" und Lindemanns sachkundiger, tiefgreifender Vortrag über „Kommunalpolitik " haben große Richtungslinien für die positive Arbeit der Partei auf ungemein wichtigen sozialen Gebieten gezeichnet und eine Fülle werlhvollcr Anregungen zum Studium der einschlägigen Materien und zu ihrer Klärung gebracht. Daß die Erörterungen den Inhalt der vielseitigen und schwierigen Fragen vollständig ausschöpften, war von vornherein ausgeschlossen. Mit und ohne Parteitagsbeschluß werden die aufgerollten Probleme deshalb das klassenbewußte Proletariat weiter beschästigen. Für besonders bedeutsam und erfreulich erachten wir die eingehende Diskussion, welche um den weiteren Ausbau des gesetz- lichen Arbeiterschutzes, insbesondere aber um den Achtstundentag kreiste. Was der Parteitag in dieser Frage beschloffen, ist unseres Erachtens nur von formeller und nebensächlicher Bedeutung. Sachlich weit wichtiger und ausschlaggebender ist das bekundete entschiedene Drängen aus der Partei heraus nach einem kräftigen Vorstoß für die gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit, für eine gründliche Sozialreform, deren A und O der Achtstundentag ist. In diesem Drängen nach einem machtvollen, planmäßigen Vorstoß tritt uns ein Anzeichen mehr jener zielklaren Kampfesenergie des Proletariats entgegen, welche sich in grundsätzlicher, unversöhnlicher Gegnerschaft zu der bürgerlichen Gesellschaft weiß, eine zielklare Kampfesenergie, die dem Müncheuer Parteitag sein Gepräge gab. Die Entwicklung der Verhältnisse hat mehr als alles andere dazu gethan, jene. Zweifel und Bedenken ihres Reizes zu entkleiden, welche spintisirende Philosophie im luftleeren Räume von Schreibtischabstraktionen über Theorie und Praxis der sozialdemokratischen Bewegung ausgeklügelt hatte. Die Einheit und Geschlossenheit der Partei, welche in München zu Tage trat, ist nicht das Resultat eines Abschwenkens nach rechts, eines schwächlichen Friedens mit der bürgerlichen Ordnung. Sie ist der Ausdruck der Thatsache, daß die Sozialdemokratie ihrem alten Ziele auf den bisherigen, geschichtlich gewiesenen Bahnen zuschreitet. Zur Lage der Arbeiterinnen der Pinselindustrie in Nürnberg . Daß Nürnberg der Sitz einer blühenden Pinselindustrie ist, dürfte weltbekannt sein. Viele wissen sicherlich auch, daß in der Nürnberger Pinselindustrie zahlreiche Arbeiterinnen ihr Brot suchen. Und wem die Lebensbedingungen der lohnarbeitenden Frauen und Mädchen im Allgemeinen nicht fremd sind, der wird im Klaren darüber sein, daß auch die vielen Hunderte Nürnberger Pinselarbeiterinnen ihr Brot unter hartem Mühen und Plagen erarbeiten, unter schweren Sorgen und schmerzlichen Entbehrungen essen müssen. Aber nur die Wenigsten können auf Grund von Zahlen ganz genau sagen, wie niedrig der Verdienst der Arbeiterinnen in der Nürnberger Pinselindustrie ist; in welch schreiendem Mißverhältniß die geforderte Arbeitsleistung zu dem gezahlten Arbeitslohn steht; wie erdrückend deshalb das Nothgepäck ist, das die betreffenden Frauen und Mädchen schleppen müssen, wenn ihnen nicht noch die Familie etwas Beistand zu gewähren vermag. Und wie selten, wie sehr selten ist das Letztere der Fall! Ist es doch meist die Armuth oder gar das bitterste Elend in der Familie, das die Frau, das junge Mädchen zur Erwerbsarbeit treibt, in Nürnberg und der Pinselindustrie so gut wie in anderen Orten und Gewerben. Es ist bedauerlich, daß in Nürnberg , dem Hauptsitz der Pinselindustrie der ganzen Welt, nicht einmal die in Betracht kommenden Arbeiter und Arbeiterinnen über die Einkommensverhältnisse und die Lebenslage ihrer Arbeitsschwestern vollständig im Klaren sind. Und auch der Organisation, welche treu und eifrig ihre Interessen vertritt und ihnen bessere Arbeitsbedingungen zu erringen strebt, dem Holzarbeiterverband, ist es bis jetzt nicht gelungen, genaue und vollständige Feststellungen darüber zu erhallen. Der Umstand ist nicht allzu verwunderlich. Eine Statistik über die Lohnverhältnisse der Pinselarbeiterinnen, die einigermaßen Anspruch auf Richtigkeit machen könnte, ist ohne Mitwirkung der Unternehmer nicht gut durchführbar. Diese Herren hüten sich aber wohlweislich, hierzu die Hand zu bieten. Alle Versuche zu statistischen Erhebungen über die Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Pinselindustrie sind denn auch fehlgeschlagen. Recht viele Pinselarbeiter scheuen sich, schriftlich oder mündlich durch genaue Angaben das Elend ihrer Lage zu enthüllen. Und von den Pinselarbeilerinnen gilt das erst recht. Was ein unverschuldetes Ver- hängniß ist— die Niedrigkeit ihrer Entlohnung— das halten sie für einen Makel, für eine Schmach, die es verbergen heißt. Vielfach schämen sie sich, daß sie mit wahren Hungerlöhnen abgespeist werden und lügen auf Befragen in ihre Taschen, indem sie einen Verdienst angeben, der in Wahrheil nicht erzielt wird. Das kann um so leichter geschehen, als ihre Angaben von einzelnen Personen nicht kontrollirt werden können. Die Arbeiterinnen werden nämlich ausschließlich im Akkord beschäftigt, und die Löhne unterliegen je nach der zu vergebenden Arbeit häusigen Schwankungen, bald steigen sie, bald fallen sie. Trotz allem steht außer Zweifel, daß die weitaus meisten Nürn berger Pinselarbeiterinnen einen erbärmlichen Verdienst und recht erbärmliche Lebensbedingungen haben. Nur in einzelnen Sparten der Haarpinselbranche werden halbwegs anständige Löhne gezahlt, doch ist dafür hier die Staubentwicklung eine hochgradige, die Gesundheil bedrohende. Zieht man diesen Umstand in Betracht und die daraus folgernde Nolhwendigkeit, daß entsprechend mehr für bessere Ernährung und Pflege verausgabt werden müßte, so sind auch die verhällnißmäßig günstiger gestellten Pinselarbeiterinne» in Wirklichkeit kaum besser daran, als ihre schlechter entlohnten Kolleginnen. Was diese Letzteren anbetrifft, das heißt die große Mehrzahl der Pinselarbeiterinnen, so steht ihr Verdienst in keinem Verhältniß zu ihrer sehr intensiven, anstrengenden und aufreibenden Arbeitsleistung. Ganz besonders niedrig entlohnt werden junge Mädchen, die ihre Lehrzeit beendet haben und auf die Fabrik angewiesen sind, sie werden mit wahren Bettelpfennigen abgefunden. Welche tristigen Gründe die Pinselarbeiterinnen haben, mit ihrer Entlohnung unzufrieden zu sein und nach auskömmlicherem Verdienst zu streben, wird recht klar, wenn man zweierlei bedenkt. Zunächst, daß ihre Arbeit sehr viel Geschicklichkeit, ja zum Theil die äußerste Fingerfertigkeit oder aber auch beträchtlichen körperlichen Kraftaufwand erfordert, und daß sie obendrein mit gesundheitlichen Gefahren verbunden ist. Es sei in letzterer Hinsicht an die große Staubentwicklung erinnert, welche in manchen Sparten der Pinselindustrie die Athmungsorgane schwer schädigt, vor Allem aber an die noch immer nicht ganz beseitigte furchtbare Gefahr der Milzbranderkrankung, wenngleich anerkannt werden kann, daß durch die bundesräthlichen Vorschriften zu ihrer Bekämpfung der unheimlichen Seuche wesentlich vorgebeugt worden ist. Dann aber vergesse man nicht, daß die Arbeit die Grundlage der Existenz der Lohnsklavin ist. Niedriger Verdienst bedeutet schlechte und ungenügende Ernährung, armselige Wohnung bedeutet Verzicht auf Bildungsmittel und edlen Lebensgenuß, bedeutet Darben und Sorgen. Die Nürnberger Pinselarbeiterinneil wissen das aus bitterer Erfahrung. So dürftig ist vielfach der Verdienst der Frauen und Mädchen, daß er sogar als Zuschuß zu dem Einkommen des Mannes oder der Eltern noch nicht hinreichend ist, um bei mäßigen Ansprüchen die
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12 (8.10.1902) 21
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