189Trost! Zu einer Plenarberathung dieser Anträge kam es indeß imReichstag nicht, weil durch den Sessionsschluß im Jahre 1900 auchdie Petitionen der Hebammen mit vielen anderen unter den Tischfielen.Auch im preußischen Abgeordnetenhaus wurde die Hebammemfrage kürzlich im Vorübergehen gestreift und die Reformbedürftigkeitder betreffenden Verhältnisse allseitig unumwunden zugestanden. DerMinister der Medizinalangelegenheiten. Dr. Studt. vertröstete die Beschwerdeführer mit der Hoffnung,„daß es im Laufe der Zeit gelingen werde, auch in diesen Verhältnissen eine Besserung herbeizuführen". Nach dieser tröstlichen Versicherung wird es zu einerwirklich durchgreifenden Reform auf absehbare Zeit wohl kaumkommen. Es handelt sich hier ja auch nicht um nothleidende Junkeroder um zwangsweise Germanisirung polnischer Staatsangehöriger.In solchen Fällen zeigt die Gesetzgebungsmaschinerie, daß sie nichtnur im Schneckentempo arbeiten kann, da läßt man es sich auch etwaskosten. Für die Chimäre der Polenbekämpfung opfern unsere Staatserhaltenden gern eine Viertel Milliarde. Für allgemeine kulturelleZwecke kann da natürlich nicht viel übrig bleiben.Doch die Frage der Besserstellung der Hebammen ist einmal inFluß gekommen, die Hebammen werden von nun an immer dringender ihre Forderungen erheben, fast alle Aerzte werden sie darinunterstützen, und hoffentlich werden auch immer weitere Kreise derBevölkerung zu der Erkenntniß der ernsten Gefahr gelangen, welchedas heutige Hebammenwesen birgt. So wird sich auch allmälig dieErkenntniß Bahn brechen, daß eine wirklich befriedigende!Lösung der Frage nicht durch die Verwirklichung der oben angedeuteten Hebammenforderungen allein herbeigeführt werden kann,sondern durch die Verstaatlichung der Geburtshilfe, wie sie dassozialdemokratische Programm fordert. Künftige Frauengenerationenwerden in ihrer schweren Stunde technisch und allgemein gebildeteFrauen als Helferinnen um sich sehen, die in sich gesammelt und miteiner Berufsfreudigkeit, die durch keine materielle Sorge getrübt wird.ihres Amtes so walten, wie es den Anforderungen einer wahrhaftenKultur entspricht.Aus der Bewegung.Bon der Agitation. In einer Reihe von Versammlungen im.Fürstenthum Lübeck sprach Genossin Zieh- Hamburg vom 22. bis28. Oktober. Versammlungen fanden statt in Heiligenhafen,Eutin, Schwartau, Fackenburg, Schlutup und Lübeck.„Die Krise und die Aufgaben der Gewerkschaften" war dasThema, das die Referentin in den ersten Versammlungen erörterte.während sie in den anderen Orten über„Arbeiter- und Arbeite-rinnenschutz durch Gesetzgebung und Selbsthilfe" referirte.Sämmtliche Versammlungen waren gut. einige sogar glänzend besucht.und in allen waren die Frauen stark vertreten. In Schlutup betheiligte sich eine Frau in lebhafter Weise an der Diskussion. InLübeck wurden zehn Abonnenten der„Gleichheit" gewonnen, unddie Genossinnen haben versprochen, weiter für dieselbe zu agitiren.I..In Mecklenburg sprach Genossin Zieh in der Zeit vom23. Oktober bis 4. November. Versammlungen fanden statt in Greves-mühlen, Wismar. Rostock, Fürstenberg. Wokuhl. Strelitzund Warnemünde. In Grevesmühlen waren zum ersten MaleFrauen in der Versammlung, von denen mehrere der Organisationder Fabrikarbeiter beitraten. Prächtig besucht, auch von Frauen.war die Versammlung in Wismar. Genossin Thon hat versprochen. mit Hilfe des dortigen Vertrauensmanns Leseabende einzurichten, um die Frauen mehr für unsere Bewegung zu interessirenund sie zu Kämpferinnen für dieselbe zu schulen. Die Versammlungin Rostock, die besonders stark von Frauen besucht war. und inder Genossin Zietz über„Die Frau im Erwerbsleben" referirte,fand durch Auflösung ein vorzeitiges Ende, worüber wir noch ananderer Stelle berichten. Prächtig besucht, auch seitens der Frauen,war die Versammlung in Warnemünde, die„MecklenburgischeVolkszeitung" erhielt hier ein Dutzend Abonnenten. In Fürstenbergwaren die Frauen die aufmerksamsten Zuhörer; mehrere von ihnensprachen nach Schluß der Versammlung im Privatgespräch ihr Ein-verständniß mit dem Gehörten aus. Auch hier wurden der Arbeiterpresse Abonnenten gewonnen. In Wokuhl. einem kleinen Dorfemitten zwischen einer Reihe großer Güter, waren die Landarbeitermir ihren Frauen stundenweit herbeigeeilt, so daß eine herrliche Versammlung stattfand. Mit geradezu rührender Aufmerksamkeit folgtendie Erschienenen den Ausführungen. Der Gedanke der Solidaritätist für sie das neue Evangelium, das in ihnen wieder Lebensmuthund Schaffensfreudigkeit erweckt. Arm. unwissend, der schlimmstenAusbeutung preisgegeben, fühlen sie sich meist nur als Lastthiere,die von aller Welt verlassen sind, ergeben sie sich fast fatalistisch inihr Schicksal. Um so begeisterter nehmen sie aber die Worte auf.die ihnen einen, den einzigst möglichen Ausweg, aus ihrem Elendzeigen. Es wirkte erhebend, wie ein alter Mann die jüngeren anspornte, sich zu organisiren. wie er ihnen voll Begeisterung zurief,zusammenzuhalten, denn, so meinte er,„mit unserer Macht sei nichtsgethan, so lange wir als versprengte Schafe einzeln umherirrten".Eine hübsche Anzahl der Anwesenden folgte seiner Mahnung. Glänzendbesucht war die Versammlung in Strelitz. zu der auch viele Arbeiter und Arbeiterinnen aus Neustrelitz herübergekommen waren.Den Arbeiterorganisationen wurden Mitglieder, der„Gleichheit"Abonnenten gewonnen. Es geht eben auch in Mecklenburg vorwärts. trotz Mecklenburger Versammlungsrecht oder vielmehr Unrecht, trotz aller Bekämpfung der klassenbewußten Arbeiterbewegungmit gesetzlichen und ungesetzlichen Mitteln. I-.Denn Mutter Jones ist vor Allem und über alles ein Weibdes Proletariats. Sie ist Fleisch von seinem Fleisch und Beinvon seinem Bein. Sie kommt aus den Reihen der Proletarier,sie lebt das Leben der Proletarier, und wenn es nöthig wäre, sowürde sie sterben, um das Leben der Proletarier besser und glücklicher zu gestalten. Sie ist den Proletariern mit einer leidenschaftlichen Liebe zugethan, die stärker ist, als die Liebe zumLeben selbst. Ihr Leben und Wirken kennzeichnet die Stufe desFortschrittes der werkthätigen Massen ihrer Befreiung entgegen.Es ist das vielleicht unbewußte Gefühl dieser inneren, innigstenZusammengehörigkeit, welches die wahre Quelle der Macht ist, dieMutter Jones über die Proletarier ausübt. Instinktiv fühlendiese, daß Mutter Jones eine der ihrigen ist. Wenn sie spricht,so lauschen sie ihr als einer von ihrer eigenen Art. So wird sieein wahrer Magnet, der die Arbeiter oft gegen ihren Willen anziehtund sammelt.Mutter Jones ist keine Rednerin im landläufigen Sinne desWortes. Ihr Satzbau könnte abgerundeter, ihre Phrasen könntengeglätteter und geleckter, ihre Stimme könnte wohlklingender sein,als Jahre rastloser Agitationsreden in Lokalen und im Freien siegemacht haben. Allein wenn das Alles der Fall wäre, so würdeMutter Jones' Wirken wahrscheinlich weniger erfolgreich sein.Ihre anscheinenden Schwächen sind in Wirklichkeit mehr Bundesgenossen, als Hindernisse ihres Erfolges. Ihre Sprache ist einfach, ihre Bilder sind derb, aber lebendig, und sie verfügt übereinen schlagfertigen Witz. Ihre Stimme aber erweist sich um sowirksamer, weil sie nicht süß und silbern klingt, sondern manchmal eher schrill und hart. Ich bin Zeuge gewesen, wie dieseStimme Arbeiter zu rasender Wuth aufpeitschte und sie dann zuThränen rührte. Es ist die Seele, die spricht.Und daher kommt es, daß die proletarischen Massen sie verstehen und ihr vertrauen. Nur die Demagogen und Angsthasenunter ihnen fürchten Mutter Jones' durchdringenden Blick und ihregewandte Zunge. Ihr eignet die Gabe, solche Leutchen gleichsamzu„wittern", und das fühlen sie früher oder später. In ihrem Ur-theil über Männer und Frauen täuscht sie sich nur selten. Selbstabsolut aufrichtig, entdeckt sie sehr bald die Unaufrichtigkcit Anderer.Heuchelei ist ihr so unerträglich, als sie selbst völlig frei von ihrist. Die Züge ihres Antlitzes reden ihre eigene Sprache.Jemand hat gesagt, daß Mutter Jones nicht weiblich genugsei. Ob man diese Behauptung gelten läßt oder nicht, das hängtdavon ab, was man unter dem Ausdruck„weiblich" versteht. Wennweiblich sein so viel bedeutet, als selbstsüchtig und von Anderenabhängig sein, lieber zu schwätzen, als zu handeln, sich mehr mitSpielereien als mit seinen Nebenmenschen zu beschäftigen: dannist Mutter Jones entschieden unweiblich. Allein wenn Mitgefühlfür Andere und das Streben, ihre Leiden zu mildern; wenn dasSuchen nach Wahrheit undLder Muth, für sie zu kämpfen, auchauf die Gefahr hin, die Verachtung und den Spott des eigenenGeschlechtes zu ernten, wenn das der Maßstab für wahre Weiblichkeit ist: dann ist Mutter Jones ein echtes Weib.Nur wenn sie die„Räuber" und Feinde der Arbeiterklassebrandmarkt, klingt in ihrer Stimme kein Ton der Sympathie.Sie besitzt einen unerschöpflichen Schatz von Liebe und Mitgefühl,und freigebig spendet sie daraus der großen, unbegrenzten Familie„ihrer Leute". Wenn sie den Säugling aus der müden Mutter