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zu, welche Wissen und Macht verleihen. Durch das Beispiel deiner eigenen, nicht zu ermüdenden selbstlosen Hingabe an den proleta­rischen Befreiungsgedanken erziehe alle um dich zur höchsten Opfer­willigkeit. Deine eiserne Energie rufe die Lässigkeit und Trägheit tampfeslauer Männer zur Scham zurück. Erweise dich als gleich­wertige Gehilfin bei allen Arbeiten, welche den Sieg vorbereiten und organisieren. Treibe alle ans Wert, welche arbeiten können, alle an die Urnen, welche am Wahltage unmittelbar mit entscheiden dürfen. Proletarierin tue deine Pflicht!

Die soziale Gesetzgebung heischt dringend Reform und weiteren| Begeisterung, die zum Herzen spricht, führe sie den Organisationen Ausbau. Die Aufrichtung vermehrter und wirksamer gesetzlicher Schranken gegen die kapitalistische Ausbeutung der Arbeitskraft, insbesondere die Verkürzung der Arbeitszeit, ist seit langem unab­weisbar geworden. Das Krankenversicherungsgesez harrt Verbesse­rungen. Die Arbeitslosenversicherung muß endlich in Angriff ge­nommen werden. Das Bedürfniß nach einer gefeßlich anerkannten wirtschaftlichen Vertretung der Arbeiterklasse macht sich immer empfindlicher fühlbar. Die Mißstände auf dem Gebiet des Vereins­und Versammlungsrechtes, unter denen die Proletarierinnen am meisten zu leiden haben, schänden schon viel zu lange das Reich. Auf, zur Eroberung von Reformen!

Politischen Rechten des Proletariats droht schwere Gefahr. Schon hat der beutetolle Reaktionsflüngel im Reichstag strupellos einen Teil davon in Stücke geschlagen. Mit dem Rechte auf unbeschränkte Meinungsfreiheit der Minorität im Parlament ist das Recht der Massen auf Vertretung ihrer Interessen vergewaltigt worden. Die nämliche Mehrheit, welche sich zur Sicherung des Zollraubs auf der mittleren Linie" des parlamentarischen Umsturzes zusammen­fand, würde vor dem Staatsstreich, der völligen politischen Ent­rechtung der Massen nicht zurückschrecken, wenn es wertvollerem Gute gälte: der Ausbeutungs- und Herrschaftsgewalt der Kapitalisten­klasse. Daß es weder im Parlament noch in der Regierung an starten und dummen Männern zur Garrottierung des Reichstags­wahlrechtes fehlt, haben die Ereignisse bewiesen. Der Wahl­rechtsraub in Sachsen und Lübeck , der Widerstand gegen die Wahlrechtsreform in Bayern und gar erst in Preußen, die Ver­schlechterung des Kommunalwahlrechtes in vielen Gemeinden führen übrigens eine ebenso beredte Sprache, als das Eifern und Geifern des reaktionären Preßgesindels gegen die politische Pöbelherr­schaft". Gefährdet ist auch die Koalitionsfreiheit des Proletariats. Es mehren sich die Fälle, in denen sie von Büttelfaust nieder­gefnüttelt, von juristischen Spißfindigkeiten gemeuchelt wird. Auf, zum Schuße!

1903! Dies Jahr gehört der frondenden Menge! Ihr gilt der Kampf, zu dem sich die Ausbeuter aller Art, ihre politischen Lands­fnechte in jeglicher politischer Uniform zusammenscharen. Ihr muß der Sieg werden, wenn sie durch der proletarischen Klasse Gegenwarts­not und Zukunftshoffnungen zu einer lückenlosen Phalanx zu­sammengeschweißt zielflar in die Schlacht zieht. Sie darf darum feines ihrer Glieder in Reih und Glied missen. Auch die Proles tarierin muß also mit ihrer Stlasse, für ihre Stlasse streiten. Ihr eigenes Wohl ist es, das der Ihrigen, welches mit all den augen­blicklichen und dauernden Kampfeszielen der Wahlrechtsschlacht auf dem Spiele steht.

Zwar ist die Proletarierin als Frau eine Rechtlose, aber sie ist trog allebem feine Machtlose. Denn wie sie lügen, die sanften Sänger des Nur- Hausfrauentums, die da zirpen, daß der leiden­schaftdurchwühlte politische Kampf abseits von der Interessen sphäre des Weibes liege, so täuschen sich die matten Prediger ge­duldiger, tatenloser Ergebung, welche klagend flüstern, die Frau müsse dem Wahlkampf müßig zuschauen, weil ihr das Wahlrecht nicht eigne. Nein, und tausend Mal nein! Politische Rechtlosigkeit ist nicht gleichbedeutend mit politischer Ohnmacht, und der Mangel des Stimmrechts ist kein Freibrief für politische Gleichgültigkeit und Untätigkeit. Wenn der Frau auch zu wählen verwehrt ist, so kann sie doch kämpfen! Der Stimmzettel, den sie selbst nicht für den sozialdemokratischen Vor­tämpfer des Proletariats in die Urne legen darf, der kann dant ihres Wirkens von einem Manne, von vielen Männern in die Wagschale der Entscheidung geworfen werden.

1903! Dies Jahr gehört der frondenden Menge! Es gehört deshalb auch dir, Proletarierin. Nüze deine Macht! Hinein in die Versammlungen, um zu lernen und im Streise der Familie, der Freunde, der Arbeitsbrüder und Arbeitsschwestern Kampfesziele und Kampfespflichten lehren zu können. Hinein in die Versammlungen, um den Feinden ihre Schmach und das Recht des Proletariats, seine Forderungen in die Ohren zu schreien, daß ihnen das Herz, das feige Herz, das falsche Herz im Leibe bebt". Mahne stumpfsinnige und säumige Männer an ihr Recht, das heilige Pflichten auferlegt. Mit aufklärendem Wort, das den Geist überzeugt, und flammender

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Unter Waffengeklirr, das die nahende Schlacht fündet, zieht dieses Jahr ein. Für das Proletariat Feinde ringsum und keinen einzigen zuverlässigen, machtvollen Bundesgenossen. Sei's drum! Das Proletariat läßt sich nicht durch das schrecken, was hinter ihm liegt, es fürchtet nicht, was vor ihm dräut. Es weiß, das Kampfesjahr muß zum Siegesjahr werden. Die Menge tut es!" 1903!

Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien . Von Dr. Robert Michels .

Die ersten Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Italien bis 1893.

Die Gerechtigkeit und die historische Objektivität muß anerkennen, daß die Grundansätze proletarischer Frauenbewegung in Italien sich in dem Schaffen einer Frau finden, welche die soziale Frage auf bürgerlich philanthropischer Basis zu lösen bestrebt war, nämlich der bekannten Mailänderin Laura Solera Mantegazza. Freilich fallen die ersten Versuche derselben noch in eine Zeit, wo es nicht nur überhaupt noch keine Sozialisten im heutigen Sinne in Italien gab, sondern wo Italien noch nicht einmal ein geeintes und freies Land war. Die in ihrer praktischen Anwendung leider zumeist als Gegensätze zu bezeichnenden Begriffe von national" und" sozial" fielen damals zwar ebensowenig zusammen wie heute, aber sie ließen sich doch leichter bis zu einem gewissen Grade vereinigen als das heute leider in praxi der Fall ist.

Laura Solera Mantegazza entstammte der reichen und vornehmen lombardischen Bourgeoisie. Sie war die Mutter des noch heute lebenden weltbekannten Physiologen Paolo Mantegazza . Nachdem sie sich in den Aufstandsjahren 1848/49 bereits als revolutionäre Patriotin durch ihren persönlichen Mut und ihre überlegene Klugheit hervorgetan hatte,* gründete sie im Jahre 1850 das erste große Säuglingsasyl( Ricovero pei Bambini Lattanti) in Mailand , um den arbeitenden Frauen durch Uebernahme und sorgsame Pflege ihrer kleinen Kinder die harte Arbeit möglichst zu erleichtern. Diesem ersten Schritte ließ die 49 jährige zwölf Jahre später den zweiten folgen. 1862 legte sie den Grundstein zur Arbeiterinnenselbsthilfe durch Grün­dung des großen Vereins der Associazione di mutuo Soccorso ed Istruzione di Operaie( Arbeiterinnenbund zu gegenseitiger Unterstützung und Belehrung). Diese Vereinigung verfolgte den Zweck, den Frauen weitgehende Unterstüßung in Krankheitsfällen, Invalidität und Alter zu verschaffen und verband damit alle diejenigen Mittel und Wege, welche die Proletarierin überhaupt vor dem Drucke des Kapitalismus nach Kräften zu schützen vermögen. Jedes Mitglied socia hat das Recht auf Arbeit, das heißt der Verein verpflichtet sich, ihr bei eventueller Arbeitslosigkeit Arbeit zu verschaffen. Auch wird sie während der Wochenbettszeit von der Gesellschaftskasse aus unterstützt. Die Sozialistin Bice Cammeo, die Verfasserin einer fleinen Biographie der Mantegazza, hat deshalb so Unrecht nicht, wenn sie in derselben diese Frau als Bahnbrecherin für die späteren Genossenschaften und Casse di Maternità( Mutterschaftskassen) bezeichnet.**

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Laura Solera Mantegazza entwickelte über die Arbeiterinnen­frage Ansichten, die vollständig als sozialistische hätten bezeichnet werden können, wenn ihnen nicht der Glaube an die Notwendigkeit des bestehenden Klassengegensatzes und des daraus als naturgegeben entstandenen Klassenkampfes gefehlt hätte. Sie hält die Vereinigung zu gegenseitiger Hilfe für die einfachste Form des Zusammenschlusses der Arbeiterinnen. Darin steckt aber, meint sie, schon der Kern zu noch größeren und noch edleren Dingen. Wenn man erst einmal soweit wäre, daß alle Proletarierinnen den Berufsgenossenschaften beiträten, dann könnte man nicht nur leicht und in reichlichster Weise für die Gebärenden Sorge tragen, den Verwitweten eine Pension

* Paolo Mantegazza :" La mia mamma!"

** Bice Cammeo: Laura Solera Mantegazza", Mailand 1900, Biblio­teca dell'Unione Femminile, S. 8.