I». Jahrgang. M GltiM Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen. Die �Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post(eingetragen unter Nr. II8S) vierteljährlich ohne Bestellgeld üb Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres-Abonnement Mk. 2.60. Stuttgart  Mittwoch den 14. Januar 100». Zuschriften an die Redaktion derGleichheit" sind zu richten an Frau Klara Zetkin  (Zundel), Stuttgart  , Blumen- Straße S4, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach-Straße 12. Nachdrulk ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet. Jnhalts-Vcrzeichniß. Zeichen des Verfalls. Arbciterinnenverhältnisse in Hanau  . Von a. br. Riickblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien  . Von Or. Robert Michels  . Die Entwicklung der Frauenstiminrechtsfrage in den einzelnen sozialistischen   Gruppen Italiens   bis 1891. Die Haus­frau als Finanzminister. Plauderei von Brutus. I. Die Urabstimmung im Fabrikarbeilerverband über die Einführung der Arbeitslosenunterstützung. Von Louise Zietz.   Aus der Bewegung. Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen für den Wahlkreis Düsseldorf.   Tätigkeitsbericht der Beschwerdckommission für Arbeiterinnen in Leipzig.   Feuilleton: Lebens- erinnerung einer Arbeiterin. Von �V. X.  Notizenteil: Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Weibliche Fabrik- inspektorcn. Frauenbewegung. Zeichen des Verfalls. Ehe das alte Jahr zur Rüste gegangen, hat ein Ereignis mit der Schärfe des Scheinwerfers den inneren Verwesungsprozeß be­leuchtet, dem in der kapitalistischen   Ordnung Einrichtung um Ein­richtung verfällt. Der Liebesroman und die Flucht der Kron­prinzessin von Sachsen   lüfteten auch für die naivsten Bekenner sozialer und politischer Kinderstubengläubigkeit ein Zipfelchen des Schleiers, der die Fäulnis der heutigen Ehe und Familie, der die Auflösung der Monarchie deckt. Heilig ist die Stellung der Frau!" Die Verbohrtheit von Abergläubigen, die Unverfrorenheit von Heuchlern erklärt dies wieder und wieder, wenn die Sozialdemokratie die Sonde der Kritik an die bürgerliche Ehe legt, wenn sie, von der geschichtlichen Erkennt­nis des Flusses aller gesellschaftlichen Einrichtungen geleitet, das Werden und Vergehen der heutigen Form der Familie nachweist, seine Ursachen enthüllt und für die Frau freie Entfaltung und Be­tätigung der Persönlichkeit, gleiche soziale Wertung mit dem Manne fordert. Die Vorgänge am Hofe zu Dresden   wo finstere Bigotterie und steifes Zeremoniell unbeugsame Sittenwächter sind reden eine deutliche Sprache. Sie offenbaren sinnenfällig, wie es um die innere Reinheit und Einheit der Ehe gerade in den gesell­schaftlichen Schichten bestellt ist, welche die berufensten Hüter der überkommenen'Familienform zu sein scheinen und sich selbst prahl­hänsig als solche brüsten. Kein Wunder das! In den Kreisen der Majestäten, Hoheiten, Erlaucht und Durchlaucht verschiedener Grade tragen Gold und Machtstellung jene wesensfremden, unreinen Zwecke in die Ehe hinein, denen der sittliche Verfall auf dem Fuße nachfolgt. Was sich bei der bürgerlichen Kanaille und dem nichtregierenden Adel wirtschaftliche oder praktische Rücksicht benamset, das stolziert in der kleinen Kaste der Regierenden pompös alsStaatsraison" ver­mummt einher. Just hier wird die Konvenienzehe, eine Spielart der ordinären Schacherehe, oft auch die nackte Schacherehe selbst, gleichsam in Reinkultur gepflegt. Als ihre unvermeidliche Ergänzung, ihr Schatten, tritt denn auch Maitressenwirtschaft und Hahnreitum auf, und das nicht selten in einer Üppigkeit und Bösartigkeit, welche den gang und gäben Ehebruch derbeschränkten" Untertanen um soviel hinter sich läßt, als das Gottesgnadentum über diese, ihre Sittlichkeit und Sitte erhaben ist. Die Geschichte der meisten Fürstenhöfe ist eine große Skandalchronik. Blatt für Blatt ver­nichtet sie mit schneidendem Hohne das Märchen von dem muster­gültigen, idyllischen Familienleben der großen und kleinen gekrönten Häupter, an dem sich der lebenslängliche Abcschüler bewundernd erbauen soll. Und auf daß kein Zug des anmutenden Bildes derheiligen Stellung der Frau" fehle, so steht auch die Korruption fürstlichen Geschlechtslebens im Zeichen der niederträchtigen zweierlei Moral für Mann und Weib, in welcher die unterbürtige Stellung der letzteren zum Ausdruck gelangt. Die Maitressenwirtschaft regierender Herren verheirateter wie unverheirateter ist noch jederzeit mehr oder weniger stillschweigend oder laut ein anerkanntes Stück der Staatseinrichtungen gewesen, so lehrt die Geschichte. Die öffent­liche Meinung hat sich mit ihr abgefunden, die Kirche hat sie ge­duldet und in Gestalt der Ehe zur linken Hand und der Doppelehe offiziell gesegnet. Die zarten Neigungen und galanten Abenteuer fürstlicher Damen haben im allgemeinen nicht die gleiche wohl­wollende Toleranz gefunden. Sie wurden als sittliche Fehltritte verfemt und mit Zwangsheirat, nicht selten mit Verbannung vom Hofe, mit Einsperrung in Kloster oder Irrenhaus geahndet. Das dynastische Interesse an Erbfolge und Verwandtschaft machte die anatomische Reinheit der Fürstinnen zu einem sorgsam gehüteten Gute. Ueber ihre Praxis derfreien Liebe" fiel derMantel christlicher Liebe" nur, wenn mit Hilfe unfürstlichen, womöglich plebejischen Blutes gezeugt werden mußte, wasvon Gottes Gnaden" geboren werden sollte. Schamlos aber durfte sich der illegitime Geschlechtsverkehr von Fürstinnen nur spreizen, wenn diese als Herrscherinnen auf Thronen saßen. Trotz ihrer zahlreichen, recht unplatonischen Liebeshändel rührt Elisabeth von England   noch immer alsjungfräuliche Königin" jedes höhertöchterliche Herz. So entspricht es nur der Regel, wenn die bürgerliche Welt, von den Hofkreisen bis zum Stammtischphilister, mit verlogenem Augen- verdrehen die Schale ihrer sittlichen Entrüstung über die sächsische Kronprinzessin ausschüttet, welche den Mut hatte, öffentlich zu er­klären:Wohl brach ich die Ehe, aber erst brach die Ehe mich." Wobei es eine heitere Ironie der Geschichte ist, daß die volle Wucht moralischer Verdammnis sich gegen eine Fürstin des Hauses Wettin kehrt, wo gar mancher würdige Nachfahr des freiliebenden, kaninchen- fruchtbaren August des Starken die Kosestündchen mit schönen Sünde­rinnen kurzweiliger gefunden hat, als ein Lebenin aller Gott­seligkeit und Ehrbarkeit" an der Seite der angetrauten hohen Gemahlin. Hätten sie recht, die Pharisäer der Keuschheit, die unter Hinweis auf den verletztenkategorischen Imperativ" der Herrscher­pflichten jammern oder donnern, Luise von Toskana   habe sich der Krone unwürdig gemacht: wie verflucht wenig Fürsten   müßte dann die Geschichte kennen, wie viele würden wir heute unter ihnenvon denen sehen, die nicht da sind"! Aber freilich: im letzten Grunde richtet sich der moralische Zorn weit weniger gegen die illegitime Leidenschaft der Kronprinzessin, als gegen das öffentliche Bekenntnis derselben. Schwerer als der Bruch der Ehe noch wird ihr die Zertrümmerung des lügenhaften Scheines angerechnet. Daß die Fürstin auf dem Sumpfboden einer unbefriedigenden, qualvollen Konvenienzehe gestrauchelt und gefallen ist, würde manohne peinlichen Skandal und Aufsehen" aus­geglichen haben, sei es auch mittels eines Klosters oder Irren­hauses. Daß sie sich von ihrem Falle erhebt, indem sie als freie Persönlichkeit die volle Verantwortlichkeit für ihr Tun zu tragen begehrt, daß sie sich ein neues Leben, eine wirkliche Ehe aufbauen will auf fester sittlicher Grundlage, des Schmutzes der Lüge und brutalen Konvention bar: das vor allem soll ihr zum unauslöschlichen