vielen schwierigen Verhandlungen, Versammlungen und Auseinandersetzungen hin und her eine Reihe von Kopfarbeitern und Handarbeitern bereit finden lassen, die alte Streitart zu begraben und zu einer neuen Partei, dem„ Partito Operaio Italiano", zusammenzutreten. Natürlich wurde jetzt auch die alte sozialistische Forderung von der Emanzipation der Frau wieder aufgenommen, sonderbarerweise aber nur in sehr bedingter und zahmer Form. Nicht mehr von der Forderung radikaler Gleichstellung war die Rede, sondern nur noch von einem Verlangen nach bürgerlichen Reformen. In dem von der Mailänder Sektion des Partito Operaio 1886 aufgestellten Programm finden wir statt der Forderung vollständiger politischer Gleichberechtigung zwischen Mann und Weib" nur noch folgende Zugeständnisse auf dem Gebiet der Frauenfrage:
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§ 8. Für gleiche Arbeitsleistung gleicher Lohn ohne Rücksicht auf Geschlechtsverschiedenheit der Arbeitenden; sowie
§ 13. Einführung der Ehescheidung und Nachforschung nach der Vaterschaft.*
Und so blieb es. Freilich wurde später das volle Recht der Frau auf wirtschaftliche Gleichberechtigung mit dem Manne ausdrücklicher betont und motiviert.
Ein Beschluß des Parteitags in Bologna vom Jahre 1888 lautete folgendermaßen:„ Die Frage der Frauenarbeit kann nur durch die Organisation unserer Leidensgefährtinnen selbst gelöst werden, welche wir durch die Aufstellung des Sates gleicher Gewinn für gleiche Arbeit" fördern und entwickeln müssen, weil wir in den arbeitenden Frauen vollwertige Persönlichkeiten anerkennen, welche dieselbe Verantwortung, dieselben Rechte und dieselben Pflichten mit den Männern haben müssen, und wir weisen jeden Lösungsversuch zurück, den man durch eine Beschränkung der weiblichen Arbeit unternehmen wollte."**
So war die alte Teilung zwischen der Forderung der wirtschaftlichen Emanzipation der Frau und der ihrer öffentlich- politischen Emanzipation eine Teilung, welche heute im Lager der internationalen Sozialdemokratie bereits längst überwunden ist, welche aber in den Köpfen sehr vieler bürgerlicher Ideologen noch weitersputt! also auch in der Partei zum öffentlichen Ausdruck gelangt. Die Frau sollte wirtschaftlich gleichgestellt und eherechtlich gehoben werden, die Forderung ihrer öffentlich- rechtlichen Emanzipation wurde jedoch zwar nicht verneint, aber einfach totgefchwiegen. Die Frage nach der politischen Gleichberechtigung, nach dem aktiven und passiven Wahlrecht der Frau, war verstummt.
Wir stehen nun vor der Frage, wie diese plötzliche Umwandlung
* Angiolini, loco cit., S. 134.
** Per una Legge sul Lavoro delle Donne e dei Fanciulli." Mailand 1902. S. 21.
Lebenserinnerung einer Arbeiterin.
Stize von W. K.
Feiertagsstimmung. Das Klappern der Maschine hat aufgehört, und die Fabriktore sind geschlossen. Reges Leben herrscht in den verschneiten Straßen, durch welche Arbeiter und Arbeiterinnen hastig heimeilen.
In einem kleinen, notdürftig möblierten Stübchen einer Mietsfaserne steht einsam ein Weib, die arbeitsharten Hände auf einen Kasten gestützt. Mit allerlei Tand ist er gefüllt: welken Blumen, vergilbten Briefen, bunten Bändern und phantastischen Bleigebilden, wie sie in der ersten Stunde der Neujahrsnacht in manchen Gegenden noch immer von Männlein und Weiblein gegossen werden, teils des Scherzes halber, teils aus Aberglauben.
Sinnend ruht der Blick der Frau auf all dem Tand. Ein herbes Lächeln spielt um ihre scharf gezeichneten Mundwinkel; ihr bisheriges Leben zieht an ihr vorüber.
Ihr welken Blumen, ihr habt mir einst von Liebe und Jugendlust gesprochen; ihr, bunte Bänder, schmeicheltet meiner Eitelkeit, und euch, ihr Bleigebilde, betrachtete ich als Drakel. Das Herz voller Hoffnungen, die Brust geschwellt von Wünschen, begann ich jedes neue Jahr und an seinem Schlusse übertrug ich all die unerfüllten Hoffnungen und Wünsche dem folgenden Jahre.
Freudlos, entbehrungsreich war meine Jugend. Früh schon mußte ich der Mutter, die als Mäntelnäherin Heimarbeit für eine große Firma hatte, helfend zur Seite stehen. Ich war die dritte von sieben Geschwistern, und ach, der Verdienst des Vaters reichte bei weitem nicht aus, die vielen Mäuler zu stopfen. Kaum aus der Schule entlassen, in die Tretmühle der Fabrifarbeit gespannt, für wenige Pfennige schwere Arbeiten verrichten: das war mein Los. Tagaus, tagein harte Fron für eine ärmliche Existenz und dabei die Seele voller Sehnen und Hoffen. Endlich mußte doch das Glück fommen, und es kam!
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sich im Geiste so moderner und idealgesinnter Männer, wie die italienischen Sozialisten es größtenteils waren und auch heute noch größtenteils sind, so unvermittelt vollziehen konnte. Es ist schier ein Rätsel, daß A, der sich 1880 für die völlige Emanzipation der Frau aussprach, und B, welcher noch 1883 eine gänzliche Gleichheit der Frau mit dem Manne erstrebte, bei ihrer Vereinigung zu A und B die vorher aufgestellten Ideale einfach beiseite schoben und sich mit der Forderung gewiß wichtiger, aber doch nicht entscheidender Reformen begnügten. Sollte es der alte Kampf zwischen Idealismus und Realismus, zwischen bedingungslosem Hinsteuern auf das eine große Ziel und kleinlicher Anpassung an die Erfordernisse des Heute, zwischen Intransigenz und Utilitarismus gewesen sein, welcher auch hier seinen Schabernack getrieben hatte?
Die von mir benutzten, sehr zerstreuten und meist in äußerst lakonischem Tone gehaltenen Quellen wissen über den Grund dieser stillschweigenden Kampflosen Niederlage des Frauenbefreiungsgedankens größeren Stiles nichts zu berichten. Sie verzeichnen nicht einmal ausdrücklich die Tatsache, sie geben nur die Dokumente. Wer aber mit der Geschichte des italienischen Sozialismus nur einigermaßen vertraut ist, dem kann, sollte ich meinen, der innere Grund dieser äußerlichen Wandlung der Partei in der Frauenfrage nicht entgehen. Jedes Blatt der damaligen Parteigeschichte zeigt uns deutlich, daß in demselben Maße, in welchem die Parteigruppen sich auf moderne Basis stellten, die Forderungen von Frauenrechten zusammenschmolzen. Das alte historische Gesetz, des zu viel und zu wenig und dann wieder zu viel und wieder zu wenig, das beständige Spiel der Ebbe und Flut, der Gegensätze, wie man es nennen möchte, trat auch hier wieder in Erscheinung. Die Zeit vor 1886 war vor allen Dingen dem Kampfe für die letzten Ziele gewidmet worden, die Zeit um 1886 brachte darauf den Rückschlag. Hatten die Sozialisten vorher ihre Zeit vielfach mit nußlosem Kampfe für fernliegende, erst nach einer langen Entwicklung der Wirtschaft und der Moral zu erreichende Ziele verbracht und so manche Kraft ergebnislos verschwendet, so machte sich nun eine Gegenströmung in der Partei geltend, welche„ praktisch" und nicht viel anderes als praktisch sein wollte und im Aussprechen „ letzter Ziele" überaus vorsichtig war. Wenn die Sozialisten in ihren Programmen vor 1886 vielfach zu„ unpraktisch" gewesen, so sollten sie nun in den entgegengesetzten Fehler verfallen und zu„ praktisch" werden. Die politische Gleichheit der Frau mit dem Manne, dachten sie wohl, wird voraussichtlich vorderhand für die nächsten 20 bis 30 Jahre eine Utopie bleiben. Warum also sollen wir da so vorzeitig davon sprechen und den Leuten damit Angst machen?
Unter diesen Umständen war das Auftreten der stets die letzten Ziele der Frauenbewegung klar vor Augen habenden Anna Maria Mozzoni von höchstem Nußen. Schon in den sechziger und siebziger
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Ein höherer Angestellter im Geschäft fand an meiner Jugend, an meinem Frohsinn Gefallen. Unerfahren, wie ich war, traute ich seinen zarten Huldigungen, nahm Blumen und Geschenke aus seiner Hand und gab mich ganz dem beseligenden Gefühl dieser Liebe hin. Zu den Glücklichsten aller Sterblichen zählte ich mich. Es verflossen etliche Monate. Theater, Spiel, Tanz, schöne Kleider, alles konnte ich haben, was das junge, lebensfrohe Herz begehrte. Doch ach! das Glück war nur von kurzer Dauer. Bald war mir die Gewißheit, daß Mutterglück mich erwartete. Ich zögerte nicht, diese Entdeckung meinem Herzensschatz mitzuteilen, wähnte ich doch, sie müsse auch ihn mit der höchsten Freude erfüllen. Aber, Kind, so habe ich es nicht gemeint, heiraten ja heiraten kann ich dich nicht." Wie ein Todesurteil klang mir seine Antwort. Ich kam dem Wahnsinn nahe. Von Eltern und Geschwistern zurückgestoßen, der Verzweiflung überantwortet, erfaßte mich Efel gegen alles. Verbittert und mit aller Welt grollend zog ich in einen anderen Ort.
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Das Kind kam zur Welt, starb aber nach wenigen Minuten. Nun ging's in die alte Fron zurück.
Ich sah, wie meine Mitarbeiter gleich mir litten. Zweifel an den Worten des Pfarrers erfaßten mich, der so schön von der göttlichen Liebe und den himmlischen Freuden predigte. Muß es denn sein, so fragte ich mich wieder und wieder, daß Wenige in Überfluß leben und alle Genüsse bis zur Neige kosten, während viele Millionen Arbeiter und Arbeiterinnen am Hungertuch nagen, von der Wiege bis zum Sarge die schwarze Not und das graue Gespenst der Sorge als getreue Begleiter haben? Ich betete inbrünstig zu Gott, mich auf den rechten Weg zu führen und mir zu helfen. Doch vom Beten wurde ich nicht satt und nicht frei, nicht ruhig und glücklich. Ich spürte, wie die Ausbeutung an meinen Kräften zehrte. Ich sah, wie sie rings um mich Arbeiterinnen und Arbeiter aufbrauchte. So vergingen die Jahre, das Sehnen und Drängen nach Glück blieb. Schlägt denn nie die Erfüllungsstunde?
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