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lungen sogar in recht stattlicher Zahl, und der Arbeiterpresse neue Abonnenten geworben. Nach einem Bericht unseres Hamburger Parteiorgans über die erste Frauenversammlung führte Genossin Zieß in der Hauptsache folgendes aus: Von so hoher Bedeutung auch immer die Reichstagswahlen gewesen, diesmal seien sie von ganz be sonderer Wichtigkeit. Gelte es doch, Protest zu erheben gegen die Ausraubung, Vergewaltigung und Entrechtung des Volfes, während andererseits mit größtem Nachdruck dringend nötige Reformen auf dem Gebiet der Sozial, der Versicherungsgesetzgebung, des Vereins­und des Koalitionsrechtes, des Wahlrechtes, des Steuerwesens, ein Brechen mit dem System des Militarismus und des Marinismus gefordert werden müsse. Die Rednerin zeigte eingehend, welch gewaltiger Schaden den deutschen   Arbeitern, insbesondere den deut schen Arbeiterfrauen, drohe in ihrer Eigenschaft als Konsumenten und Produzenten, wenn der mit Hilfe von Rechtsbrüchen Gesetz ge­wordene Zolltarif in seinem ganzen Umfang in Kraft träte. Der tommende Reichstag müsse versuchen, durch den Kampf um Ab­schließung möglichst günstiger Handelsverträge zu retten, was noch zu retten sei. Darum sei es notwendig, Leute in den Reichstag zu wählen, die einen flaren Blick und ein steifes Rückgrat hätten, und als solche hätten sich bei dem Kampfe um den Zolltarif wiederum die Sozialdemokraten gezeigt. Genossin Zieß wies nach, warum die Regierung bei der Frage des Zolltarifs umgefallen, warum aus dem ,, Unannehmbar", dem Undurchführbar" des Grafen von Bülow be­züglich der verschiedenen Zollsätze zum Schlusse die Behauptung geworden, der Tarif sei ein Segen fürs Vaterland". Die Regie­rung sei mit ihren Finanzen im Dalles, das herrliche" Kriegsheer, die gräßliche" Flotte, die Weltpolitik, die Verzinsung unserer Schulden u. s. w. verschlingen immer größere Summen, während, namentlich in letzter Zeit, so lange die Krise andauert, die Einnahmen infolge des verminderten Konsums bedeutend zurückgegangen seien. Da schaue man sich in Regierungskreisen nach neuen Einnahmequellen um, und Michel müsse wiederum zahlen. Rednerin bewies das des näheren an der Hand eines reichen Zahlenmaterials. Sie übte scharfe Kritik an dem ganzen System des Militarismus und begrün­dete unsere Programmforderung: Abschaffung des stehenden Heeres und Einführung der Volkswehr. Sie erläuterte unsere Forderungen, betreffend den Ausbau der Sozial- und Versicherungsgesetzgebung und besprach die Drohungen, der Bestie" den Baum anzulegen, das Wahl­recht zu ändern. Den diesbezüglichen Strömungen stellte sie unsere Forderungen gegenüber, das Wahlrecht zu reformieren und zu er­weitern und es auch den Frauen zu gewähren, dabei die albernen Einwendungen zerpflückend, unter denen uns dies Recht vorenthalten wird. Mit einem begeisterten und begeisternden Appell an die an­wesenden Männer und Frauen, ihre ganze Kraft in den Dienst der sozialdemokratischen Bewegung zu stellen, um den Sieg der Sozial­demokratie am Wahltag zu einem glänzenden zu machen, schloß die Referentin unter stürmischem Beifall ihren Vortrag. In der Dis fussion sprach in ausgezeichneter Weise unsere alte Genossin Dittmer. Wolle man der Bestie" den Zaum anlegen, nun wohlan, möge man es versuchen. Die" Bestie" habe ein Gebiß, ein scharfes, das möchten die Herren dann in unangenehmer Weise zu fühlen bekommen. Die Toren sollten doch nicht meinen, mit der Arbeiterschaft umspringen zu können, wie sie es unter der zwölfjährigen Dauer des Sozialisten gesetzes getan. Dazu sei der Jüngling Sozialismus zu sehr aus gewachsen, zu kräftig geworden. Reicher Beifall lohnte ihre Aus­führungen, die in der warm empfundenen Aufforderung an die An­wesenden austlangen, sich der Arbeiterbewegung anzuschließen. Genosse Auferforte veranschaulichte die proletarischen Kämpfe in Schweden  , Norwegen   und Dänemark  , von wo er eben gekommen. Einer Auffor­derung der Genoffin Rost, der Partei beizutreten, folgten an dreißig Per­sonen. Das Echo" und die Gleichheit" fanden neue Abonnenten. Mit einem Hoch auf die Sozialdemokratie schloß die imposante Versammlung.

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In zwei Versammlungen erhoben die Hamburger Genossinnen Protest gegen die Mundtotmachung der sozialdemokratischen Vertreter im Reichstag. Ist die Sozialdemokratie rechtlos?" so lautete das Thema, über das Genossin Zieh in beiden Versammlungen referierte. Die erste Versammlung verlief ordnungsgemäß, nur daß der überwachende Beamte die Zwischenrufe verbot, ein Vorgehen, gegen welches Genossin Ziez Protest erhob, womit der Zwischenfall erledigt war. In der zweiten, sehr stark besuchten Versammlung ver­bot der überwachende Beamte ebenfalls die Zwischenrufe. Als Ge­noffin Zietz dagegen mit der Motivierung protestierte, daß durch das Verbot jede Lebensäußerung der Versammlung unterbunden würde, löste der Beamte auf. So ward den Versammelten ad oculus demonstriert, wie berechtigt die Frage ist, die laut Tagesordnung behandelt werden sollte. Selbstverständlich ist sofort Beschwerde er­hoben und für den 2. Februar eine neue Versammlung anberaumt worden, über die wir später berichten werden.

L. Z.

In Bremen   nahmen Mitte Januar die Genossinnen Stellung zur bevorstehenden Reichstagswahl. Das Lokal war vor der Zeit überfüllt und viele mußter umfehren. Der überwachende Beamte hatte jedenfalls seinen Ballestrem vorausgeahnt, er wollte die Kritisierung der Kaiserreden nicht gestatten. Genossin Zietz als Referentin protestierte dagegen und der Herr beschied sich denn auch. Genossin Ziet sprach ferner in gutbesuchten Frauenversammlungen zu Altona   und zu Diedrichsdorf bei Kiel  . In dem erstgenannten Orte referierte sie über die nächsten Reichstagswahlen, in dem letzteren über Die Frau in der Arbeiterbewegung". In sämt lichen Versammlungen wurden den Arbeiterorganisationen zahlreiche Mitglieder, der Arbeiterpresse, darunter der Gleichheit", neue Abon­nenten gewonnen. L. Z.

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Notizenteil.

Soziale Gesetzgebung.

Kaufmannsgerichte sollen nach einem Entwurf der Regierung geschaffen werden, welcher dem Reichstag   kurz vor Torschluß zu­gegangen ist und demnächst zur Beratung gelangen wird. Die Kauf­mannsgerichte sollen bei gewerblichen Streitigkeiten zwischen An­gestellten und Prinzipalen die gleichen Aufgaben erfüllen, welche auf industriellem Gebiete den Gewerbegerichten zugewiesen sind. Damit hat sich die Regierung endlich bequemt, eine langjährige und wohl­begründete Forderung der Gehilfenschaft zu erfüllen. Allerdings tut sie das in unvollkommenster Weise. Treffend charakterisiert das " Handlungsgehilfenblatt" den Gesezentwurf als ein Kompro­miß zwischen dem Klasseninteresse der Prinzipalität, die ihre Gehilfen­schaft möglichst von jeder Berührung mit der Arbeiterbewegung fern halten will, dem Berufsdünkel eines Teiles der Gehilfenschaft selbst und den sozialen Notwendigkeiten des modernen Lebens". Als die jüngste Reform der Gewerbegerichte im Reichstag zur Beratung stand, hatte die Sozialdemokratie unter anderem auch die Ausdehnung der Zuständigkeit derselben auf die Streitigkeiten gefordert, welche aus dem Arbeitsvertrag der Handlungsgehilfen hervorgehen. Ihre Forderung ward abgewiesen. Dem Wesen nach triumphiert sie nun doch. Die Kaufmannsgerichte sind nämlich völlig auf den bestehenden Gewerbegerichten aufgebaut. Wo ein Gewerbegericht besteht, da teilt das Kaufmannsgericht mit ihm die Einrichtungen, die Gerichts­schreiberei, den Bureaudienst, die Bureau- und Sigungsräumlichkeiten, sogar den Vorsitzenden und den Stellvertreter desselben. Völlig un­abhängig vom Gewerbegericht sind dagegen die Wahlen für die Zu­sammensetzung des Kaufmannsgerichtes, wie seine Verhandlungen. Da die Handelshussarbeiter nach wie vor dem Gewerbegericht unterstehen, so sichern die einschlägigen Bestimmungen des Entwurfes den Prin zipalen ein doppeltes Wahlrecht: sie wählen die Arbeitgeberbeisiger bei dem Gewerbegericht und die Prinzipalsbeisiger bei dem Kauf­mannsgericht. Dagegen ist das Wahlrecht der Gehilfenschaft so knapp als nur möglich bemessen. Eine schreiende Ungerechtigkeit ist es vor allem, daß der Entwurf das Riesenheer der weiblichen Handels­angestellten von dem Wahlrecht und der Wählbarkeit aus= schließt. Wir werden uns in der nächsten Nummer eingehend mit diesem schweren Mangel befassen. Was die männlichen Gehilfen an­belangt, so ist für sie die Wahlberechtigung an ein Mindestalter von fünfundzwanzig Jahren, die Wählbarkeit an ein solches von dreißig Jahren, sowie an die zweijährige Wohnhaftigkeit im Bezirk geknüpft. Noch andere Bestimmungen des Entwurfs erleichtern es den Prinzipalen, möglichst ihre Vertrauensleute zu Gehilfenbeisitzern delegieren zu können. So sollen zum Beispiel die Beisigerwahlen auf mindestens ein und höchstens sechs Jahre erfolgen 2c. Die Wirksamkeit des Kaufmanns­gerichtes ist in betreff der zugewiesenen Aufgaben wie der äußeren Ausdehnung eng begrenzt. Als Ginigungsamt soll es nicht fungieren, in Streitigkeiten, die sich aus der Konkurrenzklausel ergeben, ist es nicht zuständig und für Städte mit unter 20 000 Einwohnern ist seine Errichtung nicht obligatorisch. Welche Mängel des Entwurfes die organisierte Gehilfenschaft für besonders verbesserungsbedürftig er­achtet, zeigt die nachstehende Resolution, welche vom Zentral­verband der Handelsgehilfen und Gehilfinnen Deutsch­ lands  " ausgearbeitet wurde und öffentlichen Versammlungen der Angestellten vorgelegt wird. Die in ihr niedergelegten Forderungen sind bei dem Gegenentwurf berücksichtigt worden, welchen der rührige " Zentralverband" mit einer Begründung den gesetzgebenden Körper­schaften zugehen ließ. Nachdem die Resolution sich mit der Errich­tung von Kaufmannsgerichten grundsätzlich einverstanden erklärt hat, fordert sie: 1. Ausdehnung des Errichtungszwanges auf das ganze Reich, zwecks Schaffung einer lückenlosen Kaufmannsgerichtsbarkeit, 2. Ausdehnung der Zuständigkeit auf Streitigkeiten über eine Ver­