Nr. 5.

Die Gleichheit.

13. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3189) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 25. Februar 1903.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.

Inhalts- Verzeichnis.

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Aufruf der Vertrauensperson.- Unrecht über Unrecht. Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien.  ( Anna Maria  Mozzoni. Anna Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeiterinnen.) Von Dr. Robert Michels  . Bericht der Berliner   Beschwerdekommission für Arbeiterinnen. Von K. W. Aus der Bewegung. Feuilleton: Der Garten. Von Albert Gnuzmann. Übersetzung von Wilhelm Thal.( Schluß.) Notizenteil: Soziale Gesetzgebung. Weibliche Fabrikinspektoren. Sozia listische Frauenbewegung im Ausland.

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Genoffinnen!

Die beiden Gesezentwürfe der Regierung, betreffend die Kauf mannsgerichte und die Krankenversicherungsnovelle, berücksichtigen nicht den Anspruch auf volle soziale Gleichberechtigung des weib­lichen Geschlechtes und geben damit sehr wichtige Interessen Hundert tausender von Frauen preis, von denen die meisten zu den Pflichten des Familienlebens die Bürden der Erwerbsarbeit zu tragen haben. Den im Handelsgewerbe tätigen Frauen, Selbständigen   wie An­gestellten, soll das Recht des Wählens und der Wählbarkeit zu den Kaufmannsgerichten versagt bleiben. Das bisher unbestrittene Recht der Frauen, an der Leitung und Verwaltung der Kranken­tassen teilzunehmen, will die Regierung beseitigen.

Dies doppelte Unrecht darf nicht den Schein des Rechtes an­nehmen, ohne daß ihr bis zum legten mit aller Energie für den Grundsaz der Gleichberechtigung der Frau, für das unbeschränkte Recht aller gekämpft habt, welche den betreffenden Gesetzen unter­stehen werden, und deren Interessen mithin auf dem Spiele stehen. Zwar sind die Gesezentwürfe bis jetzt dem Reichstag   noch nicht zugegangen, und derjenige zur Krankenversicherungsnovelle harrt sogar noch der Erledigung durch den Bundesrat. Bei der Geschäfts­lage des Reichstags scheint auch ihre Verabschiedung vor Schluß der Legislaturperiode so gut wie ausgeschlossen. Immerhin dürft ihr nicht zögern, die Protestaktion gegen das Unrecht, den Kampf für euer Recht und das eurer Schwestern vorzubereiten und ein­zuleiten. Beschäftigt euch mit den Gesezentwürfen und den Ver­hältnissen, welche sie regeln sollen. Wo es irgend möglich ist, da stellt in Versammlungen den reaktionären Absichten der Regierung eure Forderungen entgegen. Euer Wille muß in Resolutionen zum Ausdruck kommen, die ihr zum Zwecke der Zusammenstellung und Übermittlung an den Reichstag der Unterzeichneten einsenden wollt, die in Übereinstimmung mit den Vertrauenspersonen der Genossinnen im ganzen Reiche dem Parlament eine entsprechende Eingabe ein­reichen wird. Vor allem nüßt auch die bevorstehende Wahlagitation dazu aus, eure Rechtsforderungen zu stellen und für sie zu wirken. Vergeßt nicht, daß ihr nur eine einzige treue, zuverlässige Ver­fechterin eures Rechtes und eurer Interessen im Reichetag besißt: die Sozialdemokratie. Als die Sozialdemokratie im Frühjahr 1901 wie schon 1890 für die Frauen das Wahlrecht und die Wählbarkeit zu den Gewerbegerichten forderte, da hat auch nicht ein bürgerlicher Reichstagsabgeordneter für euer Recht den Mund aufgetan.

Rüstet euch deshalb, damit zur Zeit, wo der Reichstag   sich mit den beiden Gesezentwürfen beschäftigen muß, euer Wille klar und nachdrücklich in machtvollen Kundgebungen zum Ausdruck und zur Kenntnis der geseßgebenden Gewalten gelangt. Wie auch diese

Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( Bundel), Stuttgart  , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

entscheiden, ein Erfolg ist euch gewiß:" Taufende und Abertausende von Proletarierinnen aufgeklärt und dem Kampfe für die Bes freiung der Arbeit, für die Gleichberechtigung des weiblichen Ge­schlechtes zugeführt zu haben. Ans Werk!

Berlin  , den 15. Februar 1903.

Dttilie Baader, Vertrauensperson. Die Arbeiterpresse wird um Abdruck gebeten.

Unrecht über Unrecht.

Die Regierung, deren Hände mit dem gelungenen Frevel des Zollwuchers und dem zurückgeschlagenen Attentat der Zuchthaus­vorlage befleckt sind, hat kurz vor Schluß der Legislaturperiode ihr Herz für Sozialpolitik entdeckt. Mit einer Eile, die sie sonst nur zu betätigen pflegt, wenn es sich um Förderung der Interessen der Besitzenden und Herrschenden handelt, hat sie dem Gesezentwurf, betreffend das Verbot der Fabrikation von Weißphosphorzündwaren die Entwürfe über die Kaufmannsgerichte und die Kranken­versicherungsnovelle folgen lassen. Wie so oft, so liegt auch dies­mal der Knüppel beim Hunde. In den bösen Zeiten des allgemeinen Wahlrechtes muß mit dem Willen, der Entscheidung der Massen auch die Regierung rechnen, welche deren Wohl und Recht für ge­wöhnlich leichtherzig unter die Füße tritt. So hat die schlotternde Furcht vor der Abrechnung bei den nahenden Reichstagswahlen ein Vorwärts auf sozialpolitischem Gebiet erpreßt, zu dem bisher das Verständnis der Regierung für die Aufgaben nicht ausgereicht hatte, welche ihr durch die Lebensbedingungen und den erwachten Willen der ausgebeuteten Massen gestellt werden. Seit langen Jahren schon fordern die Handelsangestellten Gerichte für ihre ge­werblichen Streitigkeiten, und der Ausbau der Invaliditätsversiche­rung hat die Reform der Krankenversicherung   unabweisbar gemacht. Leider aber nicht verwunderlich holen die weisen Männer an den grünen Tischen im Reichsamt des Innern nicht durch Voll­kommenheit ihres Werkes ein, was sie an Zeit versäumt haben. Die beiden Gefeßentwürfe bringen zwar manchen Fortschritt, allein an den Bedürfnissen und Forderungen der ausgebeuteten Bevölke= rungsschichten gemessen, erweisen sie sich als recht unzulänglich. Was unter diesem Gesichtswinkel im einzelnen schärfste Kritik heraus­fordert, das werden wir später eingehend erörtern, wenn die Re­gierungsarbeit dem Reichstag vorliegt. Heute beschränken wir uns darauf, einen bedeutsamen Mangel herauszugreifen, welcher beiden Entwürfen gemeinsam ist und das Recht des gesamten weiblichen Geschlechtes, die Interessen großer, zumeist erwerbstätiger Schichten desselben schwer schädigt.

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Das schreiendste Unrecht den Frauen gegenüber soll wieder einmal gefeßlich festgelegt und als Recht geheiligt werden! Und das in einem Zeitalter, wo geradezu mit jedem Tage die Zahl der Frauen wächst, welche als Erwerbstätige von Dampf und Elektrizität hinausgestoßen werden zum Kampfe ins feindliche Leben; wo mit dem Umschwung der Dinge das Bewußtsein von dem Menschentum, dem Menschenrecht des Weibes immer größere Streise der Frauenwelt ergreift!

Der Gesezentwurf, betreffend die Kaufmannsgerichte, bestimmt in seinem§ 10, daß das Wahlrecht wie die Wählbarkeit zu diesen nur Personen zusteht, welchen nach dem Gerichtsverfassungsgesetz,