den Übergang zur Tagesordnung über die zwei erstgenannten Forde rungen der Petition zu beantragen. Und das Plenum der Gesetzgeber brachte nicht einmal die kleine Dosis Einsicht auf, welche jene Kom­mission dadurch bekundet hatte, daß sie empfahl, die Anstellung einer Hilfsbeamtin der Gewerbeaufsicht dem Ministerium zur wohlwollenden Erwägung zu überweisen. Mit geringer Mehrheit wurde dieser Antrag verworfen. Klarer noch als dieser Beschluß kennzeichnen aber die vorausgegangenen Debatten das niedrige sozialpolitische Niveau des braunschweigischen Landtags. Wenn man die Reden liest, mit welchen die Abgeordneten Nieß und Lambrecht die Anstellung einer Assistentin der Gewerbeinspektion bekämpften, so fühlt man sich nicht bloß in jene Jahre zurückversetzt, wo die ent­sprechende Forderung auch das letzte Philisterhaar zu einem Sträuben des Entsetzens brachte, sondern bis zu den Zeiten des Sozialisten­gesetzes, wo des feligen Buttkamer Geist oder richtiger Ungeist über den Gewässern der Sozialpolitik von oben schwebte. Von sachlichen Gründen gegen die dringend nötige Reform auch nicht die leiseste Spur. Herr Nieß, in dessen Person sich offenbar das industrielle Scharfmachertum gar lieblich mit zopfiger Innungsmeierei paart, warnte zähneflappernd: Man muß sich bei solchen Sachen aufs aller­notwendigste beschränken nach dem Sprichwort: Reich dem Teufel ein Haar, so hat er dich bald ganz und gar." Des weiteren verstieg er sich zu der ebenso unwahren als unverfrorenen Behauptung, die Petition rührt nicht von Braunschweig  , sondern von der General­tommission in Hamburg   her, deren Mitglieder sich ihren Gehalt ver­dienen müssen, sonst werden sie falt gestellt." Natürlich fehlte schließ­lich nicht die Aufforderung zu frisch fröhlicher Haß gegen die sozial­demokratische Agitation der Gewerkschaften". Herr Lambrecht be­gründete seine grundsägliche Gegnerschaft gegen die Heranziehung von Frauen zur Fabrikinspektion mit dem Bierbankwitzchen: In Familien könnten Frauen wohl das Kommando führen, aber zu Auf­sichtsbeamten seien sie ungeeignet. Ihr Beruf sei die Familie." Als Nebenargumente machte er geltend, die Arbeiterinnen wollten gar teine weiblichen Beamten, und es sei sehr schwierig, eine geeignete Persönlichkeit als Assistentin zu finden. Was die erstere Behauptung anbelangt, so hat sie sich Herr Lambrecht in völliger Unkenntnis der Tatsachen aus den Fingern gesogen. Was die letztere anbetrifft, so beweist sie keineswegs die Unmöglichkeit der begehrten Neuerung, sondern mahnt nur die Regierung, bei Wahl beziehungsweise An­stellung einer Beamtin sich von vorurteilsloser, sozialpolitischer Ein­sicht in die Aufgaben der Inspektion und nicht von Nebenrücksichten leiten zu lassen. Geschieht das, so sind die Schwierigkeiten wohl zu überwinden, wie die Erfahrung in anderen Ländern dargetan hat. Die Abgeordneten Jüdel   und Schmidt, sowie der Minister Hart­wig traten den verständnislosen Ausführungen entgegen. Abgeordneter Schmidt erklärte die Anstellung einer Assistentin für berechtigt. Herr Jüdel   führte aus, daß die Kommission auf Grund eingehender Er­wägungen zu ihrem Beschluß gekommen sei. In Betrieben, wo Ar­beiterinnen beschäftigt werden, fönnten sich ohne Zweifel Mißstände entwickeln, zu deren Beseitigung ein weiblicher Aufsichtsbeamter not­wendig sei. Der Antrag entspreche nur einem berechtigten Wunsche der Arbeiterinnen. Staatsminister Hartwig anerkannte unumwunden, daß die Gewerbeaufsicht auf die Dauer nicht mit zwei Beamten aus­kommen könne. Die Regierung überlasse die Entscheidung über die Anstellung einer Beamtin dem Landtag. Man müsse sich die Er­fahrungen zu nutze machen, die man betreffs der Tätigkeit von Assi­stentinnen anderwärts gesammelt habe. Wo man eine tüchtige Per­sönlichkeit für das Amt gefunden, da habe man mit der weiblichen Gewerbeaufsicht gute Erfahrungen gemacht, wo dies nicht der Fall war, sei es schlecht gegangen. Die Mehrzahl der Landtagsabgeord­neten erwies sich als unbelehrbar. Sie hatte kein Verständnis für die Tatsache, daß 1900 im Herzogtum von 1224 inspektionspflichtigen Betrieben nur 387 revidiert wurden, das ist 31,62 Prozent. Sie ver­schloß sich gegen die Erkenntnis, daß die 8040 Arbeiterinnen, die 1900 in revisionspflichtigen Betrieben beschäftigt waren und 22,10 Prozent der gesamten Arbeiter ausmachten, Anspruch auf eine Berücksichtigung ihrer Interessen haben. Daß von einer solchen Berücksichtigung nicht die Rede sein kann, solange von der angeführten Zahl der Arbeite­rinnen nur 1829 eine Revision ihrer Betriebe erfahren wie dies im genannten Jahre der Fall war- liegt auf der Hand. Der braun­schweigische Landtag hat mit seinen Debatten und seinem Beschluß, die weibliche Fabrikinspektion betreffend, dem Reformverständnis und dem Reformwillen der besitzenden Klassen ein Armutszeugnis ohne gleichen ausgestellt.

Zwei weitere Vertrauenspersonen der Arbeiterinnen zur Übermittlung von Beschwerden an die Fabrikinspektion sind türzlich in Württemberg   vom Fabritarbeiterverband bestellt worden. Für die Arbeiterinnen von Zuffenhausen   wurde Frau Emma Pleiner, Böhringerstr. 28, als Vertrauensperson gewählt,

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für die Arbeiterinnen von Cannstatt Frl. Luise Beck, Graben= straße 6, I. Beiden Beauftragten steht ein großes Tätigkeitsfeld offen, da in Zuffenhausen   und Cannstatt   zahlreiche Arbeiterinnen be­schäftigt sind, beziehungsweise wohnen. Hoffentlich gelingt es den Vertrauenspersonen, in geschickter Vertretung der Arbeiterinneninter­essen das ihrige zur Durchführung des Arbeiterschutzes und zur Be­seitigung drückender Mißstände im Arbeitsverhältnis beizutragen.

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.

Die erste ungarische Arbeiterinnenkonferenz hat am 1. und 2. dieses Monats in Budapest   stattgefunden. Bisher scheiterten alle feit Jahren unternommenen Versuche, die ungarischen Industrie­arbeiterinnen zu organisieren, an unüberwindlichen Schwierigkeiten. Die Geistlichen hetzen von der Kanzel gegen die Sozialisten, was bei der religiös veranlagten ungarischen Arbeiterin die Wirkung nicht verfehlte. Die Fabrikanten haben natürlich nicht das Bestreben, den Arbeiterinnen den Beitritt zur Organisation leichter zu machen; in der Hinsicht sind ihnen die Einmischungen der Pfaffen ganz an­genehm, wenn sie sonst auch noch so liberal und freisinnig tun. Ar­beiterinnen der königlichen Tabakfabrik ist es direkt verboten, sich zu organisieren, selbst der Besuch von Belustigungen, die von Sozialisten veranstaltet werden, ist ihnen bei Strafe der Entlassung verboten. Und dennoch kam die Arbeiterinnenkonferenz zu stande. Sie war von Delegierten der Buchdruckerinnen, Weiß­wäscherinnen, Puzerinnen, Schuharbeiterinnen, Woll- und Jutespin­nerinnen und elektrotechnischen Arbeiterinnen, sowie von weiblichen Handelsangestellten besucht. Auch Beamtinnen und Studentinnen waren anwesend. Bis jetzt sind im ganzen 700 Arbeiterinnen organi­fiert: 200 im Fachverein der Buchdrucker, 137 Buchbinderinnen und 300 Schuharbeiterinnen. Die übrigen verteilen sich auf mehrere Vereine.

Der erste Konferenztag wurde mit Berichten über die Lage der Arbeiterinnen ausgefüllt. Man hörte das alte Lied: Elende Löhne, unwürdige Behandlung und dreizehnstündige Arbeitszeit. Sehr bitter beklagten sich die Arbeiterinnen über die Behandlung, die sie von den männlichen Arbeitern zu erdulden haben. Sie hoben her­vor, daß sie von diesen nicht wie gleichwertige Kolleginnen be= handelt werden. Parteigenossen, die sich um das Zustande­kommen der Konferenz sehr bemüht hatten, gaben dies zu; sie ver­sprachen, dahin zu wirken, daß wenigstens von den organisierten Arbeitern ein besseres Verhältnis angebahnt werde. Am zweiten Tage wurde ein guter Agitationsvortrag über Die Frau und die Arbeiter­bewegung" gehalten. Zur Annahme gelangte eine Resolution, welche ausspricht, daß die Lage der Arbeiterinnen nur dann verbessert werden fann, wenn sie sich organisieren und der sozialdemokratischen Partei anschließen, welche Partei die einzige ist, die für die Befreiung jedes Proletariers fämpft". Der dritte Punkt: Wie sollen wir uns organisieren? wurde dahin erledigt, daß es wegen der Zurück­gebliebenheit der Frauen und wegen der Scheu vor den Gasthäusern, in welchen sich die Vereine der Männer befinden, nicht möglich ist, die Frauen schon jetzt einzig auf die Gewerkschaften zu verweisen. Es soll als Übergangsstadium ein Arbeiterinnenverein gegründet werden, der die politischen und moralischen Interessen der Arbeiterinnen zu schützen hat", dessen Hauptaufgabe aber sein soll, die Frauen für die wirtschaftliche und gewerkschaftliche Organisation zu gewinnen". Eine neungliedrige Kommission wurde gewählt, die mit der Ausarbeitung der Statuten und der provisorischen Leitung beauftragt ist.

Abrechnung der Vertrauensperson der Genofsinnen Deutschlands  

für die Zeit vom 22. Juli 1902 bis 31. Januar 1903. Einnahmen:

Bestand am 22. Juli Beiträge von Berlin  .

=

anderen Orten.

'

704,74 Mt. 73,70 389,75=

Summa: 1168,19 Mt.

Ausgaben:

Für Agitation. Broschüren, Zirkulare 2c. Schreibmaterial und Porti

Einnahmen Ausgaben

·

.

.

.

600,40 mt. 114,85

79,45=

V

Summa: 794,70 Mt.

1168,19 Mt.

=

794,70 Bestand: 373,49 Mt.

Revidiert und richtig befunden:

Berlin  , den 3. Februar 1903.

Marie Klotzsch. Auguste Schneider. Katharine Seering.

Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  ( Bundel) in Stuttgart  . Druckt und Verlag von J. H. W. Die Nachf.( G. m. b. H.) in Stuttgart  .