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unter die besondere Oberaufsicht des Predigers seines Heimatsortes gestellt und durfte während der Ferien nicht nach Hause kommen. Diese Geschichte, so einfach sie war, gab mir doch viel zu denken. Also seiner Wahrheitsliebe hatte es der Junge zu danken, daß er schon in so jungen Jahren als ein Gezeichneter betrachtet wurde?! Denn wenn er auch das Glück gehabt hatte, zu verständigen Leuten zu kommen, die ihm Güte entgegenbrachten, so hatten sie doch nicht verhindern können, daß die Ursache seines Hierseins unter den Kame­raden bekannt geworden, und daß er dadurch in ihren Augen zu einem Mißachteten und Untergeordneten herabsant. Wie tief das in der Seele des Knaben brannte, zeigte sich bei dem Besuche seines Groß­vaters, der gekommen war, weil er es vor Sehnsucht nach dem Enkel ,, nich mehr uthollen künnte". Mit wahrhaft herzzerreißendem Schluchzen warf sich der Kleine in die Arme des alten Mannes und bat ein über das andere Mal, ihn doch mit nach Hause zu nehmen er wolle ja auch nie wieder etwas Böses tun. Es ging leider nicht an, ihm diese Bitte zu erfüllen, und noch in sich gekehrter und vergrämter als vor­her blieb der Kleine nach der Abreise des Großvaters bei uns zurück. - Und doch hatte dieser Verbrecher" es immerhin noch gut getroffen, denn wie hätte sich wohl sein Los gestaltet, wenn er armer Leute Kind gewesen? Zwangserziehung ein Aufwachsen unter der Aufsicht voreingenommener, fremder Leute, welche für das verdorbene" Kind feine Liebe, sondern nur unnachsichtige Strenge in Bereitschaft haben. Da ist es dann nur allzu erklärlich, wenn sich zu der ersten Er­fahrung, daß die Wahrheitsliebe nicht immer nüßlich ist, die weitere praktische Erkenntnis gesellt, daß man in einer solchen Umgebung mit Duckmäuserigkeit und Scheinheiligkeit am weitesten kommt. Pflegt doch dem gezeichneten" Kinde jede selbständige Regung als Troß, jeder findliche Übermut als sträfliche Sünde" ausgelegt zu werden. So werden bald alle guten Anlagen in dem jungen Gemüt verkümmern müssen und man wird sich nicht zu wundern brauchen, wenn nach einiger Zeit die Kunde von einer neuen Freveltat des ,, verderbten Subjektes" zu den betrübten Eltern gelangt. Dann heißt es wohl:" Ja, bei dem war eben nichts mehr zu bessern", während man in Wirklichkeit ein bildungsfähiges Wesen erst dem Verderben überliefert hat.

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Doch, was soll die Gesellschaft tun? Soll sie Vergehen, wie das hier erzählte, ungestraft lassen? Nun, ich meine, es wäre besser, wenn bei Gelegenheit auch einmal eine verdiente Strafe unterbliebe, als daß durch falsche Strenge ein unverdientes Unheil über ein armes Menschenleben gebracht wird. Kinderstreichen gegenüber sollte wenigstens dieselbe Milde gelten, die man bei den Torheiten der goldenen Studentenjugend so gern walten läßt, obgleich diese viel eher für ihr Tun verantwortlich zu machen ist, als acht- oder neun­jährige Kinder. Ist das Kindergemüt noch nicht völlig verhärtet, so wird ein Hinweis auf die schlimmen Folgen, welche die verübte Tat gehabt, ein Erwecken aufrichtiger Reue sicherlich die beste und nach­haltigste Wirkung ausüben. Nur wenn man die Gewißheit hat, daß

Sturm am Morgen.

Von Hermann Lingg  .

Alles drängt und rückt zusammen, Zell  ' an Zelle, Stein an Stein, Doch der Sturmwind und die Flammen Reißen alles wieder ein; Alles zu gewiff'rer Dauer Schließt sich aneinander fest, Doch das Feuer sprengt die Mauer, Und der Sturm zerstört das Nest.

Was Gewohnheit eng verbündet, Hundertjähriges Bestehn, Satzung noch so fest gegründet, Stürzt zuletzt des Geistes Weh'n; Unaufhörlich durch die Lande Braust gewaltig seine Macht, Löst und lockert alte Bande,

Wen'ge nur sind, die ihn hören, Aber sie begrüßen laut und bejubeln sein Zerstören, Wenn der blinden Menge graut. Für die Menschheit, ihr zum Heile, Richtet trüg'risches Bestehn Und entwurzelt Vorurteile Und bricht morschen Bau sein Weh'n.

Harre mit Geduld des Tages, Wo das Recht die Höh'n ersteigt, Wo sich nicht mehr als ein Zages, Als ein Feind die Wahrheit zeigt. Aus dem Traum die Trägen rüttle, Hoffahrt brich und Eigensucht, Sturm am Morgen, brause, schüttle Tagt durch Wolken, scheucht die Nacht. Welkes Laub und reife Frucht!

Sonnenstrahlen.

Ich size an meinem Schreibtisch und arbeite. Die Herbst­morgensonne fällt durch die Scheiben ins Zimmer. Ich öffne die Vorhänge weit; die Strahlen dringen voll herein, ergießen sich über Stuhl und Schrank und auf meinen Arbeitstisch. Hei! wie schreibt sich's schön, wenn das Papier unter der Feder im milden Sonnengold glänzt.

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die Umgebung, in der ein Kind aufwächst, einen verwildernden Ein­fluß ausübt, sollte man es demselben entziehen dürfen, jedoch nicht durch Überweisung in eine Zwangserziehung, denn das heißt den Teufel durch Beelzebub austreiben, sondern indem man es zu liebe­vollen und lebenserfahrenen Leuten gibt, die wirklich die Absicht haben, erzieherisch auf das ihnen anvertraute Kind einzuwirken. Wenn es dann auch, wie in dem von mir erzählten Falle, nicht voll­ständig gelingt, dem Zögling seine Harmlosigkeit wiederzugeben, wenn auch der Reif, der auf die junge Menschenseele gefallen, manchen fruchtbaren Keim zerstört haben mag, so wird es doch mit der Zeit gelingen, das junge Gemüt wieder aufzurichten und mit neuer Hoff­nung und Fröhlichkeit zu erfüllen. Der Zwangszögling" aber wird unerbittlich an der lieblosen Strenge, die man ihm gegenüber als richtige Erziehungsregel betrachtet, zu grunde gehen, denn die Liebe bedeutet für die Kindheit das, was der jungen Pflanze der belebende Anna Adam. Sonnenschein ist.

Aus der Bewegung.

Von der Agitation. Zur Gewinnung von Mitgliedern für den Verband der Fabrik-, Land-, Hilfsarbeiter und Arbeite­rinnen fanden im XVII. Gau   Versammlungen in folgenden Orten statt: Hamburg  , Wedel  , Pinneberg  , Horst, Ütersen  , Lauen­ burg  , Geesthacht   und Stellingen  . Ebenfalls fand je eine Ver­ſammlung in Brinkum und Woltmershausen   statt. Genossin Kähler- Dresden behandelte in allen Versammlungen das Thema: Die moderne Arbeiterbewegung im zwanzigsten Jahr­hundert." Die Versammlungen erfreuten sich zahlreichen Besuchs, besonders interessant war diejenige in Wedel  . In der dortigen Zuckerfabrik herrschen die denkbar traurigsten Zustände, unter denen die Arbeiter ächzen und stöhnen. Einer der Herren Meister, ein Herr Helms, war in der Versammlung erschienen. Die Debatte gestaltete sich dadurch sehr lebhaft, daß etliche der Arbeiter es wagten, diesem sein Sündenregister vorzuhalten. Seine Reinigungsversuche, sowie seine Anzweiflung der Statistik über die Zunahme der Frauenarbeit, welche die Referentin angeführt hatte, fanden keinen Anklang. Nach­dem dem Herrn von allen Seiten gehörig heimgeleuchtet worden, ergriff derselbe das Hasenpanier, was wohl als Zeichen besonderen Mutes gelten sollte. Der Erfolg der Tour war zufriedenstellend, eine An­zahl neuer Mitglieder ist gewonnen worden, die bereits organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen wurden mit neuem Mute belebt und an­gefeuert zu pflichttreuer Arbeit für ihren Verband, für die moderne Arbeiterbewegung. W. K.

Im Auftrag des Agitationskomitees für das östliche West­falen sprach daselbst Genossin Zieh in einer Reihe von Volks­versammlungen, die in der ersten Hälfte des Februar stattfanden. Die drei Versammlungen in Bielefeld   waren glänzend besucht, eine davon sogar überfüllt, und in stattlicher Anzahl wohnten ihnen

Ich schreibe; die Sonnenstrahlen passen gut zu meiner Arbeit, denn ich schreibe nieder, was ich Kindern abgelauscht.

Die Tür hinter mir ist geöffnet, und ich kann, wenn ich mich wende, mein ganzes Königreich überblicken: durch die Schlafftube in die Küche, wo mein liebes Weib am Kochherd schaltet und unser Brüderchen im Wagen liegt und leise lallend mit dem Gummi­wauwau spielt.

Meine kleinen blonden Mädchen aber beginnen ein seltsames Spiel. Eine läuft hinter der anderen aus meinem Zimmer in die Küche und zurück; sie singen dabei, eine eigene Weise und eigene Worte, wie ich sie zuvor nie gehört und niemals wieder hören werde.

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Vor meinen Fenstern bleiben sie stehen, baden ihr Gesichtchen im Sonnenlicht und greifen mit den Händen in die Strahlen. Bei der Mutter und beim Brüderchen werfen sie mit leerer Hand ein Etwas, das nur ihre Künstleraugen sehen können, zu Boden. Dann eilen sie zurück und haschen aufs neue das Sonnenlicht.

"

Was macht ihr da?" frage ich.

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Die fleine hört nicht, sondern läuft singend weiter. Die größere aber bleibt stehen, rückt sich die Blondhaare aus den Augen und sagt: " Wir bringen Sonne zu Mama und zu Brüderchen Sonne   ist doch was Schönes, nicht wahr Papa?" Sie fommt nahe zu mir heran und blidt mit frommen Augen in mein Gesicht.

"

,, Gewiß, mein Lieb; Sonne ist alles, ist Leben, ist Glück--" Sie lächelt; dann springt sie wieder mit dem Schwesterchen hin und her, und sie verbreiten Sonne durch das ganze Haus.