länger die Gesetzgebung zögert, hier einzugreifen, um so größer ist die Mitschuld, ja das Mitverbrechen, das sie trägt. Aber freilich: die Gesetzgebung des kapitalistischen Staates wird sich dieser Schuld und ihrer Verpflichtung nur in dem Maße bewußt werden, als das Prole­tariat, als die Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen selbst ihr das Gewissen schärfen und ihr Reformen abzwingen. Deshalb, ihr Ar­beiterinnen der verschiedenen Branchen der Konfektionsindustrie, wachet auf, wahret auch ihr eure heiligsten Güter": eure Gesundheit und Lebenskraft, eure Bildungsmöglichkeit, euer Familienleben! Schließt euch zu gemeinsamer Beratung und Arbeit im Dienste eures Wohles in eurer Gewerkschaft zusammen: dem Verband der deutschen Schneider und Schneiderinnen. Bedenket, daß ihr einzeln machtlos seid, so daß das Unternehmertum Raubbau mit eurer Arbeitskraft, Spott mit eurem Menschentum treiben kann; daß ihr dagegen aufgeklärt und organisiert zu einer Macht werdet, die dem kapitalistischen Vampyr gelüfte Einhalt zu gebieten vermag. Vorwärts, ans Wert! Marie Wack wit.

Frauenstimmrecht.

Die Einführung des Frauenstimmrechtes in England fordert ein Gesezentwurf, den der Radikale Sir Charles Dilke im Unterhause eingebracht hat. Der wichtigste Absatz des Entwurfs bestimmt: Jeder volljährige Staatsbürger, Mann oder Frau, verheiratet oder unverheiratet, hat das Wahlrecht zu allen lokalen und zu den Parlamentswahlen. Ausgenommen sind nur diejenigen, welche durch das Gesetz oder durch Parlamentsakte ausdrücklich davon ausgeschlossen sind." Der Antrag ist von dem Sozialisten Keir Hardie und den Arbeiterabgeordneten Burns und Bell mitunterzeichnet.

Das kommunale Stimmrecht in Steuerangelegenheiten für die steuerzahlenden Frauen des Staates Illinois will die Frauenstimmrechtsgesellschaft desselben von den gesetzgebenden Körperschaften fordern. Die Gutachten der Bürgermeister von fünf­undzwanzig Städten des Staates sprechen sich für die Neuerung aus. Die Frauenstimmrechtsgesellschaft macht sich mit ihrer Forderung eines doppelten Verrats schuldig. Sie gibt das grundsätzliche Recht der Frauen preis, in allen Fragen des kommunalen Lebens und nicht bloß in Steuerfragen mitzuentscheiden. Sie schließt die nicht­steuerzahlenden Frauen, einen großen Teil der Proletarierinnen, von dem geforderten Rechte aus und tritt nur für ein Vorrecht der Be­sitzenden ein. Das ist bezeichnend.

Sittlichkeitsfrage.

Der erste Kongreß der Deutschen Gesellschaft zur Be­kämpfung der Geschlechtskrankheiten tagte am 9. und 10. März in Frankfurt a. M. Gegen 300 Personen wohnten ihm bei, der Mehrzahl nach Ärzte, Vertreter von Arbeiterversicherungsanstalten, Vorsteher von gemeinnüßigen Vereinen und Beamte. Die Frauen waren unter den Teilnehmern zahlreich vertreten; Frau Scheven Dresden, Frl. Pappriz- Berlin und Frau Fürth- Frankfurt beteiligten sich an den Kongreßarbeiten und bewiesen den angeschnit­tenen Fragen gegenüber mehr Vertiefung und Einsicht als recht viele Redner. Zur Behandlung standen folgende Punkte: 1. Die straf­rechtliche und zivilrechtliche Bedeutung der Geschlechts­frankheiten." 2. Wie können Ärzte durch Belehrung der Gesunden und Kranken der Verbreitung der Geschlechts­frankheiten steuern?" 3. Das Wohnungselend der Groß­städte und seine Beziehungen zur Verbreitung der Ge­schlechtskrankheiten und zur Prostitution." 4. Nach welcher Richtung läßt sich die Reglementierung der Prostitution reformieren?" Der Mangel an Raum macht es uns leider un­möglich, in dieser Nummer einen noch so gedrängten Überblick über die Verhandlungen und Beschlüsse des Kongresses zu geben, die einer sehr bedeutsamen sozialen Aufgabe galten. Wir werden das in nächster Nummer nachholen.

Vereinsrecht der Frauen.

Das Vereins- und Versammlungsrecht der Frauen in Braunschweig , das gleich Null ist und die Frauen nicht bloß von politischen Vereinen, sondern auch von öffentlichen Versammlungen ausschließt, war neulich wieder einmal Gegenstand der Erörterung und Beschlußfassung des Landtags. Veranlassung dazu hatte eine Petition sechzig bürgerlicher Frauen gegeben, welche die Gleichberech tigung des weiblichen Geschlechtes auf dem Gebiet des Vereins­und Versammlungslebens forderten. Die Kommission, welche die Eingabe zu beraten hatte, stellte sich zopfwackelnd auf den Spieß­

Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin ( Bundel) in Stuttgart .

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bürgerstandpunkt, daß Bedenken gegen den Fortfall aller beschränken­den Bestimmungen, das Frauenrecht betreffend, nicht von der Hand zu weisen seien. Den Frauen müßte volles Vereins- und Versamm­lungsrecht vorenthalten bleiben, dagegen könne wohl eine Reform der einschlägigen Bestimmungen nach dem Muster des reformierten bayerischen Vereinsrechtes befürwortet werden, das heißt Zuerkennung der Vereins- und Versammlungsfreiheit an die Frauen für beruf­liche Interessen, Zwecke der Erziehung und Nächstenliebe. Die Kommission beschloß, die Petition in diesem Sinne eingeschränkt der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Die Behandlung der Eingabe, beziehungsweise des Kommissionsbeschlusses im Plenum des Landtags war ein typisches Beispiel mehr für jene auf die höchste Spitze getriebene Einsichtslosigkeit und Rückständigkeit, welche das charakteristische Merkmal jedes Geldsacksparlamentes ist. Auch die Landtagsabgeordneten, welche den schwächlichen Antrag der Kommission befürworteten, ließen in ihren Ausführungen das Verständnis für die Interessen und Rechtsforderungen der Frauen völlig vermissen, be­fundeten aber dafür ein Anderes: die Furcht vor der Sozialdemokratie. Ihr Hauptargument war, Landtag und Regierung müßten sich mit einem Tröpfchen Reformöl salben, denn der Stand der Dinge mache die Leute unzufrieden und fördere die Agitation der Sozialdemokratie. Im Vergleich zu diesen angstmeiernden Superflugen erwies sich Staats­minister Hartwieg als ein Riese an Einsicht. Er meinte ganz richtig, die Erfolge der Sozialdemokratie würden die gleichen bleiben, auch unter einem anderen Vereins- und Versammlungsgeseh. Zur strittigen Frage selbst erklärte er, daß die Regierung keine grundsätzliche Ab­neigung" gegen die beantragte Reform habe. Also die Theorie. Nun aber die Praxis: Die Landesregierung sei trotzdem nicht in der Lage, ein neues Vereinsgesetz in Aussicht stellen zu können, weil die Reichsregierung noch keine Stellung zu den Anträgen genommen habe, die eine reichsgesetzliche Regelung des Vereins- und Versammlungs­rechtes bezwecken. Gegen die geringste Reform des Vereinsrechtes wendete sich vor allem der Abgeordnete Nieß, der auch in der Frage der Anstellung einer Gewerbeinspektionsassistentin verstanden hatte, jegliche Verständnislosigkeit um eine gute Nasenlänge zu schlagen. Als Hauptgrund gegen das kleinste Fortschrittchen zu gunsten des Frauenrechtes trumpfte er die Furcht des Philisters vor der flugen Frau auf. Kniebebend prophezeite er: Die Frauen werden dadurch zu klug, mit einer solchen klugen Frau kann es kein Mann im Hause aushalten." Troß seiner Warnungen nahm der Landtag den Kommissionsantrag an. Bei der oben angezogenen Erklärung der Regierung besagte dies keineswegs, daß es in Braunschweig nun auch wenigstens zu der geforderten winzigen Reform kommt. Die Regierung wird sich auch weiterhin hinter ihren ungeheuren Respekt vor dem Reformrecht der Reichsregierung verschanzen, um alles beim alten zu belassen. Und die liebe Reichsregierung ihrerseits wird sich weiter hinter ihre unbändige Hochachtung vor dem Reformrecht der Einzelstaaten verkriechen. So werden sich die Regierenden von hier und da auch fürderhin an dem anmutigen Spiele ergößen, sich die Reform des Vereins- und Versammlungsrechtes als Fangball gegenseitig zu­werfen. Die Frauen, die werktätigen Massen mögen sehen, wo sie mit ihren Bedürfnissen und Forderungen bleiben. Das nennt sich mit dem Grafen Posadowsky im Reiche der vollendetsten Rechts­garantien leben!

Frauenbewegung.

Gleichstellung weiblicher und männlicher Ärzte in Moskau . Bei Aufstellung des Statuts für eine Heilanstalt für Krebskranke hat die medizinische Fakultät der Universität Moskau einstimmig einen Passus genehmigt, der besagt, daß weibliche Ärzte ausnahmslos alle Posten in der Heilanstalt bekleiden können.

Frauen in den Schulbehörden der Stadt Basel . Die oberste Behörde der Stadt Basel hat die Vorlage genehmigt, nach welcher Frauen in den Schulbehörden vertreten sein sollen. Die Vorlage muß noch die Zustimmung der Kantonsregierung erhalten, ehe sie Gesetzestraft erlangt.

Zur Inspektorin über die Kindergärten der Kapkolonie , die den Schulen derselben angegliedert sind, hat die Regierung Miß Mary Adamson ernannt.

Zur Beachtung.

Alle auf die Agitation unter den proletarischen Frauen bezüg lichen Briefe und Sendungen sind zu richten an:

Ottilie Baader , Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands , Berlin SW., Belle- Alliancestr. 95, Hof, 3 Tr.

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. H.) in Stuttgart .