Nr. 8.

Die Gleichheit.

13. Jahrgang.

Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3189) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.

Stuttgart  

Mittwoch den 8. April 1903.

Nachdruck ganzer Artikel nur mit Cuellenangabe geftattet.

Juhalts- Verzeichnis.

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Ein Quentchen Reform und ganzes Recht. Von Louise Zietz  . Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien  . Fortschritte, Rückschläge und Aussichten der Frauenbewegung im Jahre 1893. Von Dr. Robert Michels  . Der Erste Kongreß der Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.. Aus der Bewegung. Feuilleton: Warum? Stizze von Otto Krille  .

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Buschriften an die Redaktion der Gleichheit" find zu richten an Frau Klara gettin( 8undel), Stuttgart  , Blumen­Straße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furthbach- Straße 12.

Die Frau gehört ins Haus! Das ist ihre Welt!" so deklamiert im Brustton der Überzeugung der Philister. Dabei stört ihn nicht die Tatsache, daß es nach der Gewerbezählung von 1895 in Deutschland   6578 362 weibliche Personen gab, die er= werbstätig waren, die also ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter gleichsam nur im Nebenamt erfüllen. Seit dem genannten Jahre aber ist die Zahl der erwerbstätigen Frauen noch bedeutend gestiegen. Leider liegt kein neueres statistisches Material vor, dies zahlenmäßig nach­

Notizenteil: Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.- Soziale Gesetzgebung. zuweisen. Alle erwerbstätigen Frauen, soweit sie Lohnarbeiterinnen Weibliche Fabrifinspektoren. Frauenstimmrecht.

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Ein Quentchen Reform und ganzes Recht. Endlich ist am 23. März dem Reichstag   die Bekanntmachung zugegangen, betreffs Abänderung des Wahlreglements, wodurch die Sicherung des Wahlgeheimnisses verwirklicht wird. Wir wollen heute nicht den Gründen nachforschen, von denen die Regierung geleitet ward, als sie schließlich dieser Forderung willfahrte, die von der Reichstagsmehrheit so oft erhoben und mit immer größerem Nachdruck vertreten worden ist. Ob es geschah in einer Anwand­lung freiheitlicher und gerechterer Anschauungen, oder ob die Neue­rung der Zucker sein sollte, den man über die letzten Vorkommnisse im Parlament streute, um all das ihnen anhaftende Unrecht, die brutale Vergewaltigung und die dadurch ermöglichte Auspowerung des Volkes in Vergessenheit zu bringen: das wollen wir nicht erörtern. Als ,, eine sittliche, eine ethische Pflicht" hat Graf Posadowsky am 23. Januar die Sicherung des Wahlgeheimnisses bezeichnet. Wir stimmen dem vollkommen zu und bedauern nur, daß der Regierung nicht früher die Erkenntnis und Anerkennung dieser sittlichen Pflicht gekommen ist. Nicht minder bemängeln wir, daß die Regierung es bei diesem Quentchen Reform bewenden lassen will. Die gefeßliche Festlegung aller übrigen Forderungen bezüglich der freiheitlichen Ausgestaltung des Wahlrechtes, wie sie im Pro­gramm der deutschen   Sozialdemokratie ausgesprochen sind, halten wir für mindestens eine ebenso wichtige sittliche Pflicht", deren Erfüllung seitens der Regierung leider noch aussteht.

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Zu den dringend nötigen Reformen gehört zum Beispiel die Neueinteilung der Wahlkreise, die einer ungeheuren Benachteilung der industriellen Bevölkerung gegenüber der ländlichen ein Ende macht; die Einführung der Proportionalwahl; die Aufhebung der Bestimmung, welche den Empfängern von sogenannter Armenunter­stüßung das Wahlrecht entzieht; die Verlegung des Wahltags auf einen Sonntag, damit niemand an der Ausübung seines ersten Staatsbürgerrechtes gehindert wird. Dazu gehört ferner die Ver­fürzung der Legislaturperiode von fünf auf zwei Jahre, und vor allem gehört dazu die Gewährung des allgemeinen gleichen und direkten Wahlrechtes an alle Staatsbürger vom 21. Lebensjahr an. Wir Frauen sind aber so unbescheiden", uns ebenfalls zu den Staatsbürgern zu rechnen. Wir verlangen also auch für die Frauen und Mädchen vom 21. Lebensjahr ab das aktive und passive Wahlrecht zu allen gefeßgebenden Körper­schaften. Darob ist allerdings Heulen und Zähneklappern bei allen Philistern, alten und jungen, männlichen und weiblichen. Die ganze Schale ihrer sittlichen Entrüstung gießen die Wackeren über diejenigen aus, die es wagen, zu rütteln, zu reformieren oder gar zu revolutionieren an guten" Einrichtungen, die von Urgroß­vaters Zeiten her liebgewonnen" und durch das Alter heilig" geworden sind.

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sind und das ist der überwiegende Teil von ihnen sind auf das lebhafteste interessiert an der Gestaltung des Vereins- und Ver­sammlungsrechtes, des Koalitionsrechtes. Wird doch just dem weiblichen Arbeiter durch die reaktionäre Fassung, Auslegung und Handhabung der Vereinsgesetze der verschiedenen Vaterländer" die Möglichkeit erschwert, oft sogar genommen, durch Anschluß an die Gewerkschaft ein besseres Stick Brot, ein besseres Kleid, eine bessere Wohnung, mehr Zeit zur Ruhe, Erholung und zum Lebens­genuß zu erringen. In Greiz  , wo bis vor kurzem den Frauen jede Teilnahme an einer Versammlung untersagt war, findet man die erbärmlichsten Löhne, die den Tertilarbeiterinnen gezahlt werden. Die Folge davon ist, daß die Mädchen in großer Zahl zur Pro­stitution als zu einem Nebenerwerb" greifen müssen. Kein Wunder! Nur durch den Zusammenschluß der Arbeiter und Arbeiterinnen fann der lohndrückenden Tendenz bei der Verwendung weiblicher Arbeitskraft entgegengewirkt werden.

All die erwerbstätigen Frauen haben aber auch ein Interesse, das größte Interesse, an der ganzen Sozialgesezgebung, sowohl an den Arbeiterschutzbestimmungen, als an den Versicherungsgesehen. Wenn die Gesetzgebung der Ausbeuterfreiheit eine Grenze zieht durch Verkürzung der Arbeitszeit und Festlegung eines Normalarbeitstags, durch Verbot der Nachtarbeit, der Sonntagsarbeit 2c., so bedeutet dies für die Arbeiterin mehr Zeit zur Ruhe, Erholung, zum Familien­leben, so bedeutet dies Erhaltung der Gesundheit, der Genußfähig­keit, der Lebensfreude. Die hygienischen Einrichtungen an der Arbeitsstätte, die Unfallverhütungsvorschriften 2c. sind von Einfluß auf die Gesundheit, das Leben der Arbeiterin. Dieser kann es ferner nicht gleichgültig sein, ob und wie in Krankheitsfällen, bei Unfällen, bei eingetretener Invalidität durch die Gesetzgebung für sie gesorgt wird. Ebenso ist es von großer Wichtigkeit für die Frau des Ar­beiters, wie die Gesetzgebung in den oben erwähnten Fällen für ihren Gatten eintritt. Ohne Wahlrecht aber haben all die Millionen von Frauen keinen Einfluß auf die Gestaltung der Gesetze, die ihr Leben oder das der Ihrigen so einschneidend berühren.

Wer wäre ferner wohl kompetenter gewesen, mit zu entscheiden über das Schicksal des Zolltarifs, als unsere Frauen? Die Haus­frauen sowohl wie die Arbeiterinnen. Beide werden durch die An­nahme des Tarifs auf das schwerste getroffen in ihrer Eigenschaft als Konsumentin, da durch den Zollwucher fast sämtliche Konsum­artikel sehr verteuert werden. Und die Frauen der Arbeiterklasse müssen sich schon heute sehr oft das Hirn zermartern, wie bei den stetig steigenden Miets- und Lebensmittelpreisen mit dem meist gar so fargen Verdienst auszukommen ist. Die Lohnarbeiterin aber ist an der Gestaltung des Zolltarifs außerdem noch interessiert als Produzentin. Gelingt es nicht, auf Grund der geltenden Bestim­mungen zum Abschluß günstiger und langfristiger Handelsverträge zu kommen und das scheint bei den kürzlich angenommenen Tariffäßen ausgeschlossen- so besteht die Gefahr, Absatzgebiete