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näher gerückt sind. Die Frauen des Proletariats, soweit sie politisch denken gelernt haben, werden deshalb ihre ganze Straft einsetzen, die kommende Reichstagswahl zu einem glänzenden Siege für die Sozialdemokratie zu gestalten. Die Empörung über ihre Recht­losigkeit muß sich umseßen in eine um so intensivere Agitations­arbeit.

Heute muß das Proletariat sich begnügen mit einem so win­zigen Quentchen Reform, wie es die Sicherung des Wahlgeheim­nisses darstellt. Aber es wird wiederkommen, wenn seine Macht erstarkt ist, um ganzes Recht, um die Erfüllung seiner übrigen Forderungen als sittliche" Pflicht von der Regierung zu heischen, und zu diesen Forderungen gehört nicht zuletzt das Frauen­Louise Zieb. wahlrecht.

für unsere Industrieprodukte zu verlieren. Das aber bedeutet für| damit einen Schritt der Erfüllung der oben vertretenen Forderung die erwerbstätige Arbeiterin eine Verminderung der Arbeitsgelegen heit. Und Arbeitslosigkeit ist für sie leider Brotlosigkeit! Aber auch dem Militarismus, Marinismus, der Weltpolitik darf die Frau des Proletariats nicht gleichgültig gegenüberstehen. Ab­gesehen von allen anderen Gründen, die uns veranlassen müssen, dem Militarismus und seinem Geschwister als System den Krieg bis aufs Messer zu erklären, möchten wir des Raummangels wegen hier nur zwei Momente hervorheben: die Volksfeindlichkeit des Militarismus und seine Unersättlichkeit. Wie muß es nicht die Frau des Arbeiters empören, wie muß sich nicht ihr Herz zusammen krampfen, wenn sie erfährt, daß ihrem Sohne, den sie unter Schmerzen und Lebensgefahr das Leben gegeben, den sie unter Entbehrungen großgezogen hat, nach Ableistung des Fahneneids gesagt wurde: Der Soldat muß gegebenen Falles auf Vater und Mutter schießen!" Die Unersättlichkeit des Molochs" aber macht es unmöglich, mit dem so ungerechten System der indirekten Be­steuerung zu brechen und nennenswerte Summen für Kulturaufgaben zu verwenden. Erst wenn das stehende Heer abgeschafft wird, kann in diesen beiden Beziehungen Wandel eintreten. Die Steuern, direkte und indirekte, zieht der Vater Staat" von der Frau, aber einen Einfluß auf die Art ihrer Erhebung und ihrer Verwendung räumt er ihr nicht ein.

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Die Frau versteht nichts von Politit, sie weiß das Wahl­recht nicht zu gebrauchen." Das ist gewöhnlich ein anderer Ein­wand des Philisters gegen die volle politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes. Dabei stört es ihn durchaus nicht, daß alltäglich, in allen Gauen Deutschlands , viele Tausende Frauen an der Beratung der oben sfizzierten Fragen in der sachkundigsten Weise sich beteiligen. Ihn stört es nicht, daß man in Staaten der alten und der neuen Welt, wo die Frauen das Wahlrecht besitzen, die allerbesten Erfahrungen betreffs des Gebrauchs dieses Rechtes gemacht hat. Aber die Frau übt nicht die Wehrpflicht aus!" ruft ein Dritter, und das Wahlrecht ist als Äquivalent( Entgelt) der allgemeinen Wehrpflicht gedacht." Freilich hatten wir bisher nicht nötig, Paradeschritt zu storchen" und" Griffe zu kloppen", und wir sind dessen froh. Jedoch sollten die wohlweisen Herren, die uns deswegen das Wahlrecht absprechen wollen, bedenken, daß- der Staat doch keine Soldaten hätte, wenn keine Frauen da wären. Die Frau muß die Soldaten gebären, pflegen und erziehen. Mit den Aufgaben der Mutterschaft für die kommende Generation er­füllt sie aber eine hohe soziale Pflicht, die turmhoch steht über der Ausübung der Wehrpflicht. Dazu noch eins. Mit der Erfüllung dieser Pflicht ist sie größeren Gefahren ausgesetzt, als der die Wehrpflicht ausübende Mann. Sind doch allein in den Jahren 1816 bis 1876 im Königreich Preußen 321797 Frauen am Kindbettfieber gestorben. Aber die Weiblichkeit der Frau leidet Schaden, wenn sie sich um Politik fümmert", wehklagt ein vierter Spießer. Onein, Verehrtester! Im Gegenteil! Die Frau wird sich als Persönlichkeit in ihrer weiblichen Eigenart erst dann voll und frei entfalten können, wenn all die sie jetzt einengenden ge­setzlichen und sozialen Schranken beseitigt worden sind. Und da: um fordern wir: Gleichberechtigung der Geschlechter.

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Diese Forderung ist in jeder Beziehung vollauf gerechtfertigt, weil die Frau einen immer wichtigeren Faktor im Wirtschaftsleben bildet; weil sie dieselben Pflichten zu erfüllen hat wie der Mann; weil sie die Geseze respektieren muß, auf deren Gestaltung sie ohne das Wahl­recht keinen Einfluß besißt, und schließlich, weil sie als Mensch, als Persönlichkeit mit denselben Rechten geboren ist als der Mann. Wir fordern die volle politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes vor allem zu dem Zwecke, daß die Proletarierin gleich gerüstet, gleich wehrtüchtig wie der Mann ihrer Klasse auf allen Gebieten des sozialen Lebens am proletarischen Befreiungskampf teilnehmen kann, dessen Ziel die Eroberung der politischen Macht ist. Wir wissen sehr wohl, daß, mit Ausnahme weniger weißer Naben", die bürgerlichen Abgeordneten dieser Forderung feindlich gegenüberstehen, daß nur die Sozialdemokratie allezeit rückhaltlos für dieselbe eingetreten ist und eintritt. Wir wissen daher auch, daß, wenn bei der kommenden Reichstagswahl die Zahl der sozial­demokratischen Stimmen geradezu lawinenartig anschwillt und die Zahl der sozialdemokratischen Abgeordneten sich stark vermehrt, wir

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Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien .

Von Dr. Robert Michels .

Fortschritte, Rückschläge und Aussichten der Frauenbewegung im Jahre 1893.

Die Frauenlohnbewegungen des Jahres 1892 hatten ihren ersten Widerhall auf dem Parteitag der italienischen Sozialisten zu Genua ( August 1892). Das äußerte sich zunächst schon in dem Umstand, daß derselbe von über acht weiblichen Delegierten besucht war.* Jetzt, wo die Frau ansing sich wirtschaftlich und sozial zu betätigen, gebührte ihr auch in der Beratung über die Schicksale der Partei ein größerer Platz.

Es ist bekannt, daß sich in Genua nach harten Rämpfen die scharfe Scheidung zwischen marxistischen Sozialisten und cafieristischen Anarchisten bis zur völligen Trennung der Wege verschärfte, eine taktische Notwendigkeit, die zuerst mit vielen Härten verbunden war, deren gute Folgen später aber umsomehr offenbar wurden, als die sozialistische Partei in demselben Maße erstarkte, in welchem die ver­nünftigen Elemente unter den Anarchisten ihre Partei verließen und zu den Sozialisten übergingen. Eine der Hauptfiguren der taktisch transigenteren, aber dogmatisch intransigenteren Sozialisten war wiederum Anna Kulischoff. Sie stand unter denen, welche am ein­dringlichsten und rücksichtslosesten für eine reinliche Scheidung von den Anarchisten plaidierte und ihrem Worte war es nicht zum wenigsten zu verdanken, daß dieser Gedanke auch zur Verwirklichung

gelangte.

Die Stellung des Kongresses zur Frauenfrage bedeutete für die­selbe einen, wenn auch nur kleinen Fortschritt. Es wurde ein Be­schluß gefaßt, welcher besagte,** daß die Lohnarbeiter beiderlei Ge­schlechtes und jeden Berufes ob ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit das Proletariat bilden und deshalb zu einem Zustand von Armut, Unbildung und Bedrückung verurteilt sind und daß alle uomini- ein Wort, welches sowohl Menschen als auch nur Männer bezeichnen fann! N. d. V. vorausgesetzt, daß sie je nach ihren Kräften dazu beitragen, an einer Besserung der sozialen Zustände mitzuwirken und, falls eine solche erreicht ist, zu erhalten, dasselbe Recht besitzen sollen, die Wohltaten derselben, unter denen als erste die Existenzsicherheit zu rechnen ist, zu genießen."

Aus diesem neuen Beschluß über die Frauenrechte geht meines Erachtens zweierlei hervor. Zunächst erscheint es klar, daß derselbe gegenüber der Bestimmung im Programm der Lega( siehe Nr. 1 dieses Jahrgangs) einen Fortschritt bedeutet, indem er nicht mehr wie jene von nur teilweiser" Gleichstellung der Frau redet. Zweitens freilich leidet auch dieser Beschluß noch an großer Undeutlichkeit. Das Wort uomini ist, wie gesagt, zweideutig und läßt infolgedessen alle Aus­legungen zu. Hätte der Parteitag eine völlige Emanzipation der Frau programmatisch festlegen wollen, so hätte er sich zweifelsohne präziser ausgedrückt. Mit der etwas naiven Beteuerung, daß auch der weib­liche Lohnarbeiter mit zum Proletariat gehöre, war die Frage feines­wegs gelöst.

Aber die bedeutende Anteilnahme der Anna Kulischoff, welche im Jahre 1891 bereits als Vertreterin des italienischen Sozialismus auf den internationalen Kongreß zu Brüssel gesandt worden war und welche nunmehr wiederum auch auf den internationalen Partei­tag als italienische Delegierte nach Zürich ( 1893) wo sie übrigens als besonderer Achtungsbeweis ihrer ausländischen Genossen in einer

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Angiolini, loco cit., S. 170.

** Rapporto al Congresso Internazionale di Zurigo( 1893) etc. Mailand 1893. S. 12.