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Frauen in öffentlichen Ämtern.

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Die erste deutsche   Genossin als Mitglied einer Armen­kommission. Durch Aufrücken der Stadt Offenburg   in die einer Städteordnung unterstehenden Kommunen wurde ein neues Organi­sationsstatut festgesetzt. Die sozialdemokratischen Vertreter im Bürger­ausschuß und Gemeinderat traten dafür ein, daß in die einzelnen städtischen Kommissionen die nicht ausschließlich aus Gemeinde­vertretern bestehen müssen auch Frauen als gleichberechtigte Mit­glieder beigezogen würden. Das Ministerium gab die Genehmigung, daß in die Schulfommission eine Hauptlehrerin und in die Armenkommission, Frauen in beschränkter Anzahl" berufen werden können. Der Stadtrat schritt nunmehr zur Bildung der Kommissionen und schlug für die Armenkommission unter anderem sechs Frauen vor, die sich auf Anfrage bereit erklärten, das Amt zu übernehmen. Unter den Erwählten befindet sich auch unsere Parteigenossin Frau Marie Geck  . Es wird erste Pflicht der ernannten Frauen und besonders unserer Parteigenossin sein, durch ihre Mitarbeit den Beweis zu erbringen, daß es nur furzsichtiges Vorurteil war, wenn bisher Frauen von kommunalen Ämtern ausgeschlossen waren. Es ist dieser Erfolg, errungen in der alten Revolutionsstadt, ja nur ein erster fleiner Schritt zur praktischen Verwirklichung unserer Forderungen der Gleichberechtigung der Frauen. Immerhin ist an­zuerkennen, daß unsere Stadtverwaltung in ihrer Mehrheit sich dem Vorschlag unserer Genossen Monsch und Adolf Geck   befürwortend zur Seite stellte. Das Gemeindeoberhaupt der badischen Residenz, Ober­bürgermeister Schneßler, dürfte sich ein Beispiel an seinem Offen­ burger   Kollegen nehmen. Mögen weitere Stadtverwaltungen Offen­-?? burg   nachfolgen!

Frauenbewegung.

Die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen und die Reichstags­wahl. Der Verein für Frauenstimmrecht" ruft in einem " Wahlaufruf" alle Frauen, die ihr Vaterland lieben," zur Mitarbeit bei den bevorstehenden Reichstagswahlen. Es heißt in dem Schrift­stück: Jm politischen Leben der deutschen   Nation gilt es, vieles wieder gut zu machen. Damit das deutsche   Volk endlich den Beweis erbringt, daß es politisch reif ist, hat es Reichstagsabgeordnete zu wählen, die für Gerechtigkeit, Freiheit und Fortschritt eintreten, die das Interesse der Gesamtheit über das eigene und das Parteiinteresse stellen. Für solche Männer gilt es einzutreten durch Wort und Tat, im öffentlichen Leben und von Haus zu Haus." Wie Figura zeigt, läßt der Aufruf an Unklarheit und Verschwommenheit nichts zu wünschen übrig. Von den Anhängern der Rotte Kardorff bis zu den feigsinnigen Troßbuben des Zollwuchers um Richter, die zentrümlichen Zollräuber und Rechtszertrümmerer nicht zu vergessen: fann eine jede politische Partei den Kautschuf dieser allgemeinen, nichtssagenden Phrase auf sich anwenden und von den Frauenrechtlerinnen unterstützt werden. In erster Linie dürften wohl die bürgerlich Freisinnigen auf frauen­rechtlerische Mithilfe im Wahlkampf rechnen können. Dafür sprechen etliche Vorgänge. Frl. Augspurg hat im Auftrag der süddeutschen Volkspartei neulich in Mannheim  , Frankfurt   a. M. und München   über das Thema gesprochen: Die Frau und die Politik". Anfang April stellten im Namen des Vereins für Frauenstimmrecht Frl. Augspurg und Frl. Heymann im freisinnigen Verein Hamburg   den Antrag, die Statuten so zu ändern, daß fünftig auch Frauen aufgenommen werden könnten. Über den Antrag konnte zwar nicht abgestimmt werden, da er nicht mit auf die Tagesordnung ge­setzt gewesen, jedoch wurde er sympathisch begrüßt. Frl. Augspurg erklärte in der Versammlung, bei den Reichstagswahlen würden die bürgerlichen Frauen beweisen, daß sie nicht bloß mit Worten sondern auch mit Taten für die freisinnige Sache wirken wollten. Daß der Verein für Frauenstimmrecht trotzdem nicht gewagt hat, die Frauen zur Unterstützung der Freisinnigen oder auch nur der Liberalen auf­zufordern, ist kennzeichnend für seine innere Schwäche und das Sammelsurium von politischen Gesinnungen und Gesinnungslosigkeiten, das die bürgerliche Frauenrechtelei umschließt. Der Verein muß da­vor zurückscheuen, eine einheitliche scharf umgrenzte Wahlparole aus­zugeben, weil dieselbe nicht befolgt werden könnte, ohne eine reinliche politische Scheidung innerhalb der zusammengefabelten einen frauen­rechtlerischen Schwesternschaft herbeizuführen. Trotz aller Gebresten, welche der Wahlaktion der Frauenrechtlerinnen anhaften, begrüßen wir dieselbe als einen Fortschritt. Sie trägt dazu bei, den bürger­lichen Frauenrechtlerinnen politischen Einfluß zu sichern, welcher dem Kampfe für Frauenrechte zu gute kommen muß. Sie wirkt in der Richtung politischer Parteibildungen im frauenrechtlerischen Lager und arbeitet an der Zertrümmerung der albernen Phantasterei, daß die eine, ungeteilte Frauenbewegung in himmlischer Gerechtigkeit über

Verantwortlich für die Redaktion: Fr. Klara Zetkin  ( Bundel) in Stuttgart  .

den Wolken und Nebeln des Parteiwesens schwebe. Sie zeigt sonnen­flar, daß den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen der Kampf für die kapitalistische Ordnung über den Kampf für Frauenrechte geht.

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Literatur zur Frauenfrage.

Die Frauen und die Politik. Von Lily Braun  ( Berlin   1903, Verlag des Vorwärts", Preis 20 Pfennig). Mit glänzender Waffe ist ein guter Hieb gegen einen der zähesten und tückischsten Feinde geführt worden, welcher den Kampf für Recht und Befreiung des Proletariats hemmt: gegen den Unverstand, die Gleichgültigkeit der Frauen, die ,, faul und feig" tatenlos dem politischen Ringen ihrer Klassengenossen zuschauen. Große Scharen von Proletarierinnen stehen leider noch im Banne der vorurteilsvollen Überzeugung: Politik ist Männersache, Politik fümmert die Frauen nichts. Als ihre eigensten bittersten Feindinnen, als die unbewußten, ungewollten Feindinnen des Mannes, Sohnes und Bruders, der erziehungs- und glücksbedürftigen Kinder schließen sie sich mit ihrem Denken und Tun in die enge Welt der häuslichen, der nächstliegenden persönlichen Interessen ein. Schmollend und grollend, nicht selten jammernd und keifend suchen sie den Mann seiner Kampfespflicht zu entfremden. Das heranwachsende Geschlecht erziehen sie in spießbürgerlicher, selbstsüchtiger Beschränktheit, statt in freier, weltbürgerlichen Gesinnung, in stolzem, proletarischem Klassenbewußtsein. So versündigen sie sich dreifach gegen die heilige Sache, der sie dienen sollten.

Die Frauen über die wichtigen Interessen aufzuklären, welche sie mit dem politischen Leben verknüpfen, welche sie durch den politischen Kampf wahren müßten: das ist die äußerst verdienstliche Aufgabe, welche sich Genossin Lily Braun   in ihrer kürzlich erschienenen Broschüre gestellt hat. Die Tatsachen, die Beweisführungen, mittels welcher Genossinnen und Genossen seit langen Jahren in den Ver­sammlungen die Frauenmassen zum Kampfe zu rufen streben, mittels welcher die sozialistische Presse und nicht zum mindesten die Gleich­heit" dieselben aufzuklären und zu schulen sucht, sind in der Broschüre zu einem eindrucksvollen Appell an Verstand und Herz zu­sammengefaßt. Damit ist eine Aufgabe gelöst worden, welche immer dringender Erledigung heischte. Genossin Braun zeichnet in knappen Strichen, wie die Maschine das Tätigkeitsgebiet der Frau revolutioniert hat, und mit welch zwingender Gewalt die revolutionierten sozialen Bedingungen die Arbeiterin zur Staatsbürgerin erheben. An Fragen des öffentlichen Lebens, die entscheidenden Einfluß auf das Wohl und Wehe der proletarischen Frau und ihrer Familien ausüben- Arbeiterschutz- und Versicherungsgesetzgebung, Zollpolitik, Militaris­mus, Vereins- und Versammlungsrecht 2c. legt sie dar, daß die Frauen zu Verräterinnen ihrer eigenen Interessen und der Interessen der Ihrigen werden, wenn sie sich fern vom politischen Kampfesfeld halten. Aus einem Überblick über die Taten aller Parteien zieht sie den Schluß, daß nur die Sozialdemokratie das Recht des gesamten weiblichen Geschlechtes, insbesondere aber der Proletarierinnen, vertritt. Und in begeisterten Worten ruft sie die Frauen, vor allem die Mütter, zur Erfüllung ihrer Kampfespflichten auf. Die klar herausgearbeitete Auffassung von den geschichtlich treibenden Kräften, welche die Frau zur Staatsbürgerin, zur politischen Kämpferin wandeln, der streng logisch aufgebaute tatsachenreiche Inhalt, die schöne Einfachheit der Darstellung und Sprache: stempeln das Schriftchen zu einer muster­gültigen Agitationsbroschüre. Es weist alle Vorzüge auf, welche er forderlich sind, um Licht in den Köpfen und Wärme in den Herzen zu entzünden. Ihm müßte die höchste Anerkennung zu teil werden: in Hunderttausenden von Exemplaren von Frauen und Männern ge­lesen und verbreitet zu werden.

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Nachtrag zum Verzeichnis der Adressen weiblicher Vertrauenspersonen.

Elmshorn  : Frau Knopp, Gärtnerstr. 24. Johannisthal  : Frau Mann, Bismardstr. 7. Lauenburg  : Frau Schuhmacher, Albinusstr. 3I. Lichtenberg- Friedrichsberg: Frau Liebermann, Gürtelstr. 2. Magdeburg  - A. N.: Frl. Pannicke, Speicherstr. 23. Naumburg a. S.: Frau Schüler, Blumenstr. 5. Neumünster   i. Holst.: Frau Dora Gütschow, Christianstr. 6. Ohrdruff i. Th.  : Frau Schauder.

Oberhöchstadt   i. Taunus: Frau Elis. Weiß, Margaretenstr. 3. Oberreichenbach   i. V.: Frau Luise Teumer, Wettinstr. 135. Pinneberg  : Fr. Chr. Kuhr, Schulstr. 2. Quedlinburg  : Frau Lütge, Stieg 11.

Steglig: Frau Martha Haberland, Schüßenstr. 19. Stralsund  : statt Fr. Wulff Fr. Niemann, Pagenstr. 37. Zipsendorf b. Meuselwitz  ( S.-A.): Frau Jda Pinker.

Ottilie Baader  , Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands  . Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf.( G. m. b. H.) in Stuttgart  .