Nr. 11.
Die Gleichheit.
13. Jahrgang.
Beitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die„ Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3189) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch den 20. Mai 1903.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe geftattet.
Inhalts- Verzeichnis.
Frauenrechte und Sozialdemokratie.- Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien . Die Ausbreitung und Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1895 bis 1898. Von Dr. Robert Michels . Frauenrecht und bürgerlicher Freisinn. Von Anna Scholz- Görlitz. Aus der Bewegung. Feuilleton: Ein Streber. Von Philipp Langmann . Notizenteil: Vereinsrecht der Frauen. Sozialistische Frauenbewegung im Ausland. Weibliche Fabrikinspektoren.
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Frauenbewegung.
Frauenrechte und Sozialdemokratie.
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Der Verein für Frauenstimmrecht" hat den Versuch unternommen, die bürgerlichen Frauen zur Beteiligung am Reichstagswahlkampfe zu rufen und zu führen. So weit so gut. Bereits in der letzten Nummer dieser Zeitschrift haben wir kurz die wichtigsten Gründe aufgezeigt, weshalb dieses Beginnen troz aller Mängel, die ihm eignen einen begrüßenswerten Fortschritt der deutschen Frauenrechtelei bedeutet. Die Aktion des Vereins für Frauenstimmrecht", so hieß es da unter anderem," wirkt in der Richtung politischer Parteibildungen im frauenrechtlerischen Lager und arbeitet an der Zertrümmerung der albernen Phantasterei, daß die eine, ungeteilte Frauenbewegung in himmlischer Gerechtigkeit über den Wolken und Nebeln des Parteiwesens schwebe. Sie zeigt sonnenflar, daß den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen der Kampf für die fapitalistische Ordnung über den Kampf für Frauenrechte geht".
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Was wir in dieser doppelten Beziehung erwartet, das beginnt bereits sich dort zu erfüllen, wo die Führerinnen des Vereins für Frauenstimmrecht" dem Wischiwaschi ihres Aufrufs und Rundschreibens praktische politische Arbeit folgen lassen, wo sie von Worten zu Taten übergehen. In Hamburg haben Fräulein Hey mann und Fräulein Augspurg, die beide dem Vorstand dieser Or ganisation angehören, in Artikeln wie in öffentlichen Frauenversammlungen die bürgerlichen Frauen aufgefordert, der freisinnigen Volkspartei fräftige Wahlhilfe zu leisten.
Auch von dieser Stellungnahme gilt für uns: so weit so gut. Sie bestätigt durchaus die grundsäßliche Auffassung, welche die Gleichheit" von jeher mit aller Klarheit und Schärfe vertreten hat. Das Geseire von der großen allgemeinen„ Schwesternschaft" aller Frauen, innerhalb welcher angeblich die Rechtlosigkeit des Geschlechts die Unterschiede der Klassen auslöscht, mag noch so gefühlvoll gen Himmel steigen: die Tatsachen erweisen immer wieder aufs neue, daß auch in der Frauenwelt die unüberbrückbaren Klassengegensäße ihre entscheidende Rolle spielen. Es ist deshalb geschichtlich bedingt und gerechtfertigt, daß die radikalen Vorstandsdamen des radikalen„ Vereins für Frauenstimmrecht" dem lendenlahmen freisinnigen Parteichen Hand- und Spanndienste anbieten. Zwar hat dieses sich bis jetzt nie grundsäßlich für die volle Gleichberechtigung der Geschlechter erklärt, zwar haben nur ab und zu einzelne seiner Anhänger der Frauenbewegung das Almosen eines lauen und flauen Eintretens für die oder jene Forderung zugeworfen. Dafür aber hat das Häuflein derer um Richter jeder zeit mit inbrünstigem, fanatischem Hasse die Emanzipationsbestre bungen der Arbeiterklasse bekämpft. 3war gibt es andererseits in Deutschland eine starke Partei, eine einzige Partei die Sozialwelche stets grundsäßlich und praktisch die volle
demokratie
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Buschriften an die Rebaktion ber Gleichheit" find zu richten an Frau Klara Bettin( 8undel), Stuttgart , BlumenStraße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furthbach- Straße 12.
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rechtliche Gleichstellung von Frau und Mann vertritt. Aber diese Partei erstrebt gleichzeitig den Umsturz" dieser kapitalistischen Gesellschaft, das Ende der Klassenherrschaft der Besitzenden über die Habenichtse. Als Bourgeoisdamen ziehen die radikalen Frauenrechtlerinnen die politische Schußtruppe des Kapitalismus den Vorkämpfern für die Emanzipation des weiblichen Geschlechts vor.
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Leider haben jedoch die Damen diese ihre konsequente Stellungnahme durch eine unkonsequente und unwahre Begründung befleckt. Sowohl Fräulein Heymann wie Fräulein Augspurg erklärten nach Zeitungsberichten, die bis heute unwidersprochen geblieben sind, daß die bürgerlichen Frauen im Wahlkampfe nicht für die Sozialdemokratie eintreten könnten, weil diese wohl die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts in ihrem Programm habe, aber nicht halte, was das Programm verspricht, wie die Erfahrungen in Frankreich und Belgien zeigten. Diese Begründung ist offenbar von dem Bedürfnis ausgebrütet worden, die frauenrechtlerische Seele ob ihrer Unterjochung durch die kapitalistische Seele zu trösten. Aber sie wird in der Folge weder richtiger noch achtungswerter. Es würde zu weit führen, wollten wir heute an dieser Stelle dartun, daß die ganz allgemein gehaltenen Anwürfe nicht begründet sind, welche Fräulein Heymann und Fräulein Augspurg gegen unsere französischen und belgischen Genossen geschleudert haben. Allein sogar angenommen nicht zugegeben fie wären zutreffend, heißt es der Logik wie der geschichtlichen Wahrheit dumm und dreist ins Gesicht schlagen, wenn man aus der Haltung ausländischer Sozialisten ohne weiteres den Rückschluß zieht, die deutsche Sozialdemokratie erkläre sich zwar in der Theorie für volles Frauenrecht, verfechte es aber nicht in der Praxis. Wie niedrig würden die anklagenden Damen nicht mit Recht eine Logik einschäßen, welche aus den Narreteien und Tollheiten einzelner Frauenrechtlerinnen in Amerika und anderwärts auf den Charakter und die Ziele der bürgerlichen Frauenbewegung schlußfolgern wollte! Jedoch tieferstehend noch als die Logik ist die Gewissenhaftigkeit der angezogenen Unterstellung. In der Geschichte des Kampfes um Frauenrechte in Deutschland steht Blatt für Blatt verzeichnet, daß die Sozialdemokratie stets und lange allein im dichtesten Schlachtgetümmel für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts gestritten hat. Schlimmeres als die Unkenntnis frisch zur Erde gefallener Mondkälber, böswillige Verlogenheit nur kann es wagen, den Ernst und die Energie des sozialdemokratischen Eintretens für Frauenrechte zu gunsten irgend einer bürgerlichen Partei zu verdächtigen. Denn die grundsäßliche, feste Haltung der Sozialdemokratie kann um so weniger übersehen und vergessen werden, als sie sich in leuchtendem Gegensatz von dem Unverständnis, der Gleichgültigkeit, ja der Feindschaft abhebt, welche die bürgerlichen Parteien die sogenannte bürgerliche Demokratie nicht ausgegegenüber der vollen Rechtsgleichheit der Geschlechter
nommen
bekundet haben.
Wo ist in Deutschland die politische Partei, welche der Sozialdemokratie gleich sich mit der Frauenfrage ernstlich beschäftigt, ihre Forderungen prinzipiell als berechtigt anerkannt und zu dem ihrigen gemacht hat? Wo die Partei, welche wie die Sozial. demokratie die Frauen in ihren Reihen als völlig gleichberechtigte Mitglieder zur Arbeit, zur Entscheidung, zu verantwortungsreichen Posten, zu Ehrenämtern zuläßt, ihre Parteitagsorte mit Rücksicht auf die vereinsgeseßlich unbehinderte Beteiligung der Frauen wählt, wieder und wieder die Mittel und Wege erörtert, diesen im Partei