leben die freieste Betätigungsmöglichkeit zu schaffen, immer größere Frauenmassen zu selbständigem geistigen Leben, zum Kampfe für Freiheit und Bildung zu rufen und zu schulen?

Gewiß, die Nationalsozialen wenden der Frauenfrage große und steigende Aufmerksamkeit zu; sie legen wachsendes Verständnis für ihre Forderungen an den Tag; der Zutritt zu ihrem politischen Boetenstüblein, pardon, die Parteimitgliedschaft ist den Frauen unverwehrt. Aber in ihrer Gesamtheit und grundsäglich hat sich bis jetzt auch die Zukunftsfraktion von Naumann nicht für die volle Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts erklärt. Von ihrem allgemeinen Wohlwollen frauenrechtlichen Forderungen gegen­über gilt, daß der Knüppel beim Hunde liegt. Die führergeseg neten, mannschaftsai men Nationalsozialen werben um so eifriger um den Anschluß der bürgerlichen Frauen, je verstockter sich die Arbeitermassen gegen die angepriesenen realpolitischen" Segnungen der Ehe zwischen Kaisertum und Demokratie erweisen. Von all dem abgesehen bildet übrigens ihre frauenrechtsfreundliche Haltung im bürgerlichen Lager nur die Ausnahme, welche die Regel be­stätigt. Der fortgeschrittenste Flügel der bürgerlichen Demokratie, die süddeutsche Volkspartei, hat es bis jetzt noch nicht einmal zu einer grundsäglichen und einheitlichen Stellungnahme auch nur in der Frage des Frauenstudiums und der höheren weiblichen Be­rufstätigkeit gebracht! Bei den legten württembergischen Landtags­wahlen bestritt einer der hervorragendsten Führer der süddeutschen Demokratie die geistigen" Kosten seines Kampfes wider den sozial demokratischen Gegenkandidaten zum erheblichen Teil mit Wippchen spießbürgerlich- vulgärster Art gegen das- Frauenstimmrecht. Und wie steht es um die freisinnige Volkspartei, deren frauenrechtlerische Tugenden die Damen Heymann und Augspurg über das Bohnenlied gelobt haben, für deren Kandidaten sie im Interesse der Frauen rechte die bürgerlichen Damen zum Kampfe gegen die Sozial­demokratie führen wollen, die ihnen nicht frauenrechtlerisch waschecht genug dünkt? Ihre Hamburger Organisationen haben bis zu dieser Stunde troß wiederholter Anträge und Aufforderungen ihre Statuten nicht dahin abgeändert, daß Frauen ordentliche Mitglieder werden könnten! Zusammen mit dem Kantus auf die unbefleckte frauenrechtlerische Gesinnungstüchtigkeit des Freisinns ertönte denn auch das frauenrechtlerische Flehen, die Parteiorganisationen möchten dem weiblichen Geschlecht ihre Reihen öffnen. Man ermesse an diesen Tatsachen, wie zwingend die Verhältnisse den biederen radi­falen Frauenrechtlerinnen die Aufgabe aufdrängen, behufs Recht­fertigung ihrer ordnungsretterischen Stellungnahme mit der Lupe nach Widersprüchen zwischen der sozialdemokratischen Theorie und Praris in Sachen der Frauenrechte zu fahnden. Sie, die vergnügt das Kamel der vorenthaltenen parteipolitischen Gleichberechtigung von seiten des Freisinns schlucken, haben es allerdings nötig, leidvoll­freudvoll die kleinsten Mücken philisterhaft beschränkter Äußerungen 2c. einzelner Sozialdemokraten zu seihen.

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Doch weiter! Wo ist im Deutschen Reiche die politische Partei, die in den gesetzgebenden und verwaltenden Körperschaften, im öffentlichen Leben gleich geschlossen, grundsäßlich unbeugsam und energisch wie die Sozialdemokratie dafür kämpft, daß alle sozialen und rechtlichen Schranken fallen, welche zu gunsten männlichen Vorrechts der Frau die freie Entwicklung und Betätigung ver­wehren? Was das Frauenrecht auf höhere Bildung und Berufs­tätigkeit anbelangt, so hat sich die Sozialdemokratie als die zu verlässigste und konsequenteste Verteidigerin der frauenrechtlerischen Forderungen seit den Zeiten bewährt, wo dieselben als die Aus­geburten hirnverbrannter Schachteln" oder dirnenhafter Geschöpfe" verlästert wurden. Deß sind vor allem die Reden unseres Ge­nossen Bebel im Reichstag, unseres Genossen Vollmar im bayrischen Landtag ein glänzendes Zeugnis. Bei Schaffung des neuen bürger­lichen Gesetzbuchs hat die sozialdemokratische Reichstagsfraktion mit Zähigkeit und Schärfe für die volle Gleichberechtigung des weib­lichen Geschlechts gestritten. Um welche Einzelmaterie des Privat­rechtes es sich auch handeln mochte: um Eheschließung und Ehe­scheidung, um die vermögensrechtliche Stellung der Ehegatten zu einander, das eheherrliche Mundium des Mannes über die Frau; die elterliche Gewalt; das Vormundschaftsrecht; die Rechtsfähigkeit; die gesetzliche Stellung der ledigen Mütter und ihrer Kinder 2c.: sie hat sich gegen jede Bestimmung gewendet, welche geeignet ist, das Ver­

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fügungsrecht der Frau über ihre Person, ihren Besik, ihr Einkommen zu schmälern und ihr minderes Recht als dem Manne zu gewähren. Mit der gleichen Pflichttreue steht die Sozialdemokratie für das öffentliche Recht der Frau auf der Schanze. Wieder und wieder hat sie im Reichstag für das weibliche Geschlecht den Stimmzettel und die Wählbarkeit zu den Gewerbegerichten gefordert, seine Gleichberechtigung bei Verwaltung und Leitung aller Arbeiter­versicherungsanstalten. Für das Recht der Frau, in die Gemeinde­vertretungen zu wählen und gewählt zu werden, Zutritt zu allen fommunalen Ämtern, Betätigungsmöglichkeit auf allen Gebieten kommunalen Lebens zu erlangen, ist sie ihrem Programm ent­sprechend eingetreten, wann und wo immer die Gelegenheit dazu sich bot. Sie ist die kraftvollste Vorfämpferin für die volle poli­tische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts. Im Reichstag wie in den Landtagen der Bundesstaaten sucht die Sozialdemokratie von je und je den herrschenden Gewalten ein freiheitliches und gesichertes Vereins- und Versammlungsrecht für Frauen wie Männer zu entreißen. Wenn die Gesetzgebung sich hier und da bequemen mußte, das Vereinsrecht der Frau über die berühmte Gleichstellung mit Kindern, Lehrlingen und Schülern ein weniges hinauszuheben; wenn die Behörden allmählich immer mehr zu der Praris des Grundsages erzogen werden, daß auf dem Gebiet des Versammlungs­wesens auch der Frau erlaubt sein muß, was das Gesez nicht aus­drücklich verbietet: so ist das in erster Linie dem Kampfe der Sozialdemokratie zu verdanken, dabei des zähen und tapferen Klein­kriegs nicht zu vergessen, durch welchen unsere Genossinnen dem gesamten weiblichen Geschlecht größere Bewegungsfreiheit errungen haben. Vom Spott und Hohn der Gegner umbraust und nicht einmal von den Frauenrechtlerinnen unterstüßt, hat die Sozial­demokratie in den Parlamenten ihre Stimme für das höchste, das wichtigste aller Frauenrechte erhoben: für das aktive und passive politische Frauenwahlrecht. 1895 forderte sie im Reichstag ein Gesetz, betreffend die Zusammensetzung der Landtage auf Grund des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechtes für alle großjährigen Staatsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts. Im sächsischen Landtag stellte die sozialdemokratische Fraktion das gleiche Begehren. In tausend und abertausend Versammlungen, in den abgelegensten Winkeln des Deutschen Reiches hat die Sozial­demokratie ihre Auffassung entwickelt und begründet, daß der Frau als Staatsbürgerin volles Recht gebühre. Aus Millionen Köpfen fegte sie das Vorurteil gegen die Beteiligung des weiblichen Ge­schlechts am öffentlichen Leben. Der Forderung des Frauen­stimmrechtes hat sie zweifelsohne mehr Anhänger und Anhängerinnen gewonnen, als die gesamte deutsche Frauenbewegung. Auch eine radikale Frauenrechtlerin braucht nicht die zehn Finger beider Hände, wenn sie die bürgerlichen Abgeordneten aufzählen will, die sich des gleichen Eintretens für Frauenrechte rühmen dürfen.

Aber freilich wenn es sich um die bürgerlichen Parteien handelt, dann ebnen sich die aufgeblasenen Backen der anklagenden frauen­rechtlerischen Posaunenengel und mit süßgespiẞtem Mäulchen werden die winzigsten Abschlagszahlungen gefeiert. Die freisinnige Volks­partei war so gnädig, einen Ausschuß aus vier Reichstagsabgeord­neten einzuseßen, welcher jederzeit bereit sein werde, mit dem Verband fortschrittlicher Frauenvereine zu verhandeln und dessen Wünsche und Forderungen zu vertreten, sobald für die Frauen wichtige Fragen auf der Tagesordnung stehen". Das der Sozial­demokratie gegenüber so anspruchsvolle Fräulein Heymann jauchzt darob ebenso beglückt als bescheiden, daß der Freifinn damit einen Teil der Forderungen der radikalen Frauenrechtlerinnen gutheiße". Kein Wort des Bedauerns, geschweige denn der Kritik, daß der Freisinn nicht grundsäßlich zu der Gesamtheit der frauenrechtlerischen Ziele steht, daß er insbesondere die bedeutsamste aller Frauenrechts­forderungen verwirft: das Frauenwahlrecht. Dafür aber eine aus­drückliche Mahnung zur vorläufigen" Genügsamkeit. Wie groß diese Genügsamkeit bürgerlichen Politikern gegenüber ist mit Recht mögen die gemäßigten" Frauenrechtlerinnen darüber lachen!- weist sinnen­fällig das Rundschreiben des Vereins für Frauenstimmrecht" aus. Es erklärt unter fadenscheiniger Begründung, daß für die Unter­stügung eines Kandidaten seitens der bürgerlichen Frauen die Frage seiner Haltung gegenüber dem Frauenstimmrecht nicht ausschlag­gebend zu sein braucht". Wer es seither noch nicht gewußt hat,

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