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der weiß es nun: weshalb der Name Verein für Frauenstimm­recht"! Die Selbstverhöhnung des angeführten klugen Rates" ist übrigens nach zwei Seiten hin äußerst bezeichnend. Sie illustriert herzerfrischend deutlich, wieweit die empfohlenen, unentwegten" bür­gerlichen Frauenrechtsfreunde hinter der halben Verrats bezichtigten Sozialdemokratie zurückstehen. Sie bestätigt, daß in Deutschland   die bürgerliche Frauenbewegung selbst bei weitem nicht gleich energisch als die Sozialdemokratie für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts kämpft. Nicht bloß Lügner, auch radikale Frauenrechtlerinnen müßten ein gutes Gedächtnis haben, wenn sie in einem Atemzuge die Forderung des Frauenwahlrechtes aus dem Wahlkampfe ausscheiden und die Sozialdemokratie mangelnder Energie in der Verfechtung der Frauenrechte verdächtigen. Ist dem nicht so, müssen sie sich gefallen lassen, daß ihnen unsanft auf den Mund und die Finger geklopft wird. Die Masken herunter! Wer in der Frauenwelt für die Aufrechterhaltung und Befestigung der kapitalistischen   Ausbeutungs- und Herrschaftsstellung fämpfen will, der mag tun, was er nach Klassenlage und Überzeugung nicht lassen kann. Aber er tue es offen und ehrlich, geschmückt mit dem Wahrzeichen der goldenen Internationale und nicht mit der ,, weißen Friedenskokarde" der Frauenrechte.

Wie die Dinge sich in Deutschland   entwickelt haben, gibt es zur Zeit nur eine Partei, für welche alle Angehörigen des weib­lichen Geschlechts wirken und kämpfen müssen, denen Frauenrechte über Kapitalsmacht gehen: die Sozialdemokratie. Denn sie allein von allen politischen Gruppierungen ist es, welche grundsäßlich für volles Frauenrecht kämpft, geleitet von flarer Einsicht in den ge= schichtlichen Entwicklungsgang und die von ihm gezeitigten Um­wälzungen; beseelt von einer vorurteilslosen Wertung der kulturellen Bedeutung weiblichen Wirkens auf allen Gebieten menschlicher Tätigkeit; durchdrungen von einer echt demokratischen Gesinnung. Der Sieg der Sozialdemokratie am 16. Juni ist auch ein Sieg der Frauenrechte.

Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien  .

Von Dr. Robert Michels  .

Die Ausbreitung und Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1895 bis 1898.

Das Jahr 1893/94 mit seiner Erhebung der Sizilianer Bauern­schaft und seinen Aufstandsversuchen der von den Anarchisten übel­beratenen Menge in Massa, Carrara und anderwärts, hatte natürlich eine Reaktion der Regierung zur Folge gehabt. Ausnahmegesetze wurden geschaffen und auf Grund derselben der Versuch gemacht, die machtvoll aufsteigende sozialistische Partei zu erdrücken. Auf der ganzen Halbinsel wurden alle Arbeitervereine, mochten sie nun auf gewerkschaftlicher oder politischer Basis beruhen, aufgelöst und ver boten. Aber der Sozialismus erprobte sich wieder einmal als stärker wie jede Reaktion. Kaum hatten die schlimmsten Maßregeln der Regierungsgewalt etwas nachgelassen, da erwuchsen auch überall wieder die früheren Vereine und Gesellschaften wie die Pilze aus dem Boden, und zwar um ein beträchtliches stärker als sie vorher gewesen waren.

Inzwischen regte sich überall neues Leben. Wie in Mailand   die Linda Malnati, so sammelte in Turin   die Lehrerin Emilia Mariani  Kleinbürgerinnen und Arbeiterinnen unter der Fahne eines wenn auch nicht wissenschaftlichen, so doch sehr wohlgemeinten Herzens­sozialismus. Von allen Seiten wurde die proletarische Frau zum Kampfe gegen das Kapital und seine bösen Folgeerscheinungen er­mutigt. Der befannte Sozialist Fabio Maffi machte sich zum Verfasser einer Agitationsbroschüre, in welcher er die enge Verbindung von Sozialismus und Feminismus feierte.* Dr. Aroldo Norlenghi legte eine Bresche in die bürgerliche Sexualmoral, indem er als Grund­und Ecksteine jeder ehelichen Verbindung bloß Gesundheit von Körper, Geist und Herz" gelten lassen wollte.** Edmondo De Amicis   unter­ließ es nicht, in seinen sozialen Betrachtungen eine Hymne auf die Frau der sozialistischen   Zukunft, welche den Geist eines Mannes, aber das Herz eines Engels" haben würde, zu singen.***

* Fabio Maffi( ps. Biagio Carlantonio): Fra   Operaje di Città e di Campagna." Turin   1896. Libreria Editrice Socialista del Grido del Popolo.

** Aroldo Norlenghi: Gergo Borghese." Mailand 1895. S. 7. *** Edmondo De Amicis  :" Lotte Civili." Florenz   1899. S. 133.

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Zum innerlichen Erstarken der italienischen   Arbeiterinnenbewegung in dieser Periode trugen vor allen Dingen zwei Umstände bei: die offizielle Anerkennung der Frau als politisch gleichberechtigtes Wesen auf dem Beratungstag zu Bologna  ( 24. März 1895),* welcher durch einen für alle sozialistischen Parteien der Welt gültigen Beschluß des internationalen Kongresses zu London   1896 bestätigt werden sollte, sowie die Übersetzung des berühmten Buches von August Bebel   über die Frau.** Während erstere der Proletarierin die Stellung im Klassen= kampf anwies, die ihr gebührte, und somit alle etwaigen Widersacher der Frauenemanzipation in der Partei zum Schweigen brachte, sorgte letzteres für die theoretische Begründung jener politischen Maßregel. Bebels Frau" ist noch heute eines der gelesensten Bücher in ita­lienischen Bibliotheken.

Allmählich hatte also die sozialistische Partei soviel Gelegenheit gehabt, mit den Forderungen der sogenannten Frauenrechtlerinnen sich zu befreunden, daß sie die völlige politische und familienrechtliche Gleichheit der Frau mit dem Manne im Prinzip anerkannte und in ihr Programm mit aufnahm.

Andrea Costa   hatte seine Ansicht über die Zusammengehörigkeit von Frauenbewegung und Arbeiterbewegung schon vor beinahe zwanzig Jahren einmal in die Worte zusammengefaßt: Jm Sozialismus müssen gewisse skandalöse Ungleichheiten an Geistestraft und Bildung ver­schwinden, welche für naturgegeben erachtet werden und doch nichts anderes sind als die traurige Konsequenz einer unglückseligen Gesell­schaftsordnung."*** Er war der Entwicklung seiner Partei in diesem Punkte vorausgeeilt.

Verweilen wir hier einen Augenblick! Praktisch war die Frau in der sozialistischen   Partei immer völlig gleichberechtigt gewesen. Wir haben eine ganze Reihe von Frauen hintereinander und neben­einander eine große Rolle in der Partei spielen sehen, und zwar nicht die Rolle der Beraterinnen hinter den Kulissen, geschweige die des in Königshäusern üblichen dämonischen Weibes", welches durch seine erotische Brunst die von ihm geliebten Männer zu großen Taten anreizt, sondern die Rolle mutiger und gescheiter Kämpferinnen, menschheitsbefreiende Jdeal kämpften. Theoretisch jedoch war die welche an der Seite der Männer wie Kameraden für das gleiche Gleichberechtigung der Frau wohl oft genug ausgesprochen, aber seit dem Programm des Fascio Operaio vom Jahre 1891 nicht mehr mit genügender Schärfe präzisiert worden. Anna Kulischoff, die sich, wie es scheint, lange in der Frage des Stimmrechtes zurückgehalten hatte, forderte 1897 selbst auf, für das Frauenwahlrecht zu propa­gieren. Hört doch nicht", so rief sie aus ,,, auf alle die, welche euch wiederholen, ihr wäret unfähig und unvorbereitet für den politischen Kampf. Noch hat niemand etwas gelernt, ohne ans Werk zu gehen. Man lernt nicht schwimmen, wenn man sich nicht vorher ins Wasser wirft. Man lernt nicht nähen, wenn man nicht damit beginnt, die Nadel zur Hand zu nehmen. Auch das männliche Proletariat war unfähig und unvorbereitet. Nur mit der Übung erwirbt man Fähigkeiten."+

Hier kommen wir nun von neuem auf das Streben Anna Kuli­schoffs zurück, die mit Hilfe einiger Genossinnen und Genossen auf dem bereits von Anna Solera Mantegazza gelegten Grundstein der Arbeiterinnenbewegung weiter baute.

Der Mittel- und Treffpunkt des gesamten Mailänder organi­sierten Proletariats, die Camera del Lavoro  ( Arbeitskammer)++ hatte ihre eigene große Frauengruppe( Gruppo Socialista Femminile), die seit ihrer Entstehung im Jahre 1885, man kann wohl sagen von Tag zu Tag, an Macht und Bedeutung wuchs.

Neben der Lohnbewegung, ja, eigentlich noch mehr als diese, lag der Kulischoff aber eine andere Bewegung am Herzen, nämlich die zur Erlangung eines staatlichen Frauen- und Kinderschutzgesetzes, deren Seele sie war. Was sie dazu bewog, gerade diese Seite der Reformtätigkeit zu der ihren zu machen, das hat sie in der ihr eigenen Weise vor dem Kriegsgericht des Jahres 1898 mit klaren und kurzen Worten selbst ausgedrückt.

Wenn ich als Ärztin nicht immer mit dem moralischen und physischen Elend der arbeitenden Frauen in stetem Kontakt gewesen wäre, hätte ich ja vielleicht nicht einmal das bißchen Agitation zu ihren Gunsten getrieben, welche man mir nun vorwirft. Aber ich habe sie getrieben, und zwar zu ihrem Besten, und darüber freue ich mich jetzt."+++

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Angiolini, loco cit., S. 244.

** Erschienen bei Kantorowicz in Mailand  .

*** Bei Gennaro Messina: Il Manuale dei Socialisti." Florenz   1901, S. 394. Aus einem Artikel in der Bologneser Zeitung, Il Martello", 1877. +( Anna Kulischoff:)" Alle Donne Italiane." Per le Elezioni Poli­tiche. Mailand 1897. S. 13.

++ Ueber Aufgabe und Bedeutung dieser Arbeitskammern wird ein späterer Artikel sprechen.

+++ Angiolini, loco cit., S. 295.