Anna war unaufhörlich bemüht, das, was sie als das Richtige erkannt hatte, in weitesten Kreisen zu propagieren. Schon 1893 auf dem Internationalen Kongreß in Zürich   hatte sie der Frauenschutz­gesetzgebung das Wort geredet. Nach Mailand   zurückgekehrt, machte sie der Partei immer und immer wieder klar, wie wichtig es für den Fortschritt des Sozialismus sei, wenn die Frau nicht mehr willkürlich dem Arbeitgeber preisgegeben ist. Von nun an brachte die Kulischoff auf den italienischen Parteitagen mit untrüglich wiederkehrender Gewißheit ihre Forderungen bezüglich des Frauenschutzes ein. Aber keiner der drei aufeinanderfolgenden Kongresse von Reggio Emilia  ( 1893), Venedig  ( 1895) und Bologna  ( 1897) ging auf die Anträge der Russin näher ein.* Wohl erklärte sich eine Anzahl hervorragender Parteimitglieder, Costantino Lazzari  , Dr. Osvaldo Gnocchi Viani  , Ettore Reina, Carlo Monticelli   und andere vollständig mit ihr ein­verstanden, aber die große Mehrzahl stand dem Vorschlag fühl gegen­über. Es war die Zeit der beginnenden großen politischen Kämpfe, und die italienischen Sozialisten hatten damals für die ökonomische Seite des Klassenkampfes im ganzen noch nicht sehr viel übrig.

Enttäuscht und wohl auch ein wenig erbittert entschloß sich Anna Kulischoff, weil sich die Partei nur wenig mit dieser Frage beschäftigte", selber zur Propaganda, um ihren Überzeugungen An­hang zu verschaffen. Sie hielt Vorträge, um den Arbeiterinnen die Notwendigkeit der Einführung eines Gesetzes zu ihrem Schuße flar zu machen. Denn", so sagte sie selber, ich hatte die feste Über­zeugung, daß dieses Gesetz sehr viel leichter einzuführen sein werde, sobald diejenigen, welche durch es geschützt werden sollen, sich selbst über die Wichtigkeit eines solchen klar werden."**

Unterstützt wurde Anna Kulischoff in dieser Arbeit von Ersilia Majno Bronzini  , der Gattin des berühmten Rechtsgelehrten Luigi Majno  , welche sich auf dem Arbeiterunfallkongreß zu Mailand  ( 19. März 1895) sehr energisch ebenfalls für staatlichen Eingriff in die Frauenarbeit aussprach. Bei dieser Gelegenheit votierte der- von der Camera del Lavoro   in Mailand   einberufene Kongreß auch, daß alle männlichen Widerstandsvereine( Leghe di resistenza) jederzeit bereit sein müßten, Frauen als Mitglieder aufzunehmen.*** War die Arbeit der Proletarierinnen Mailands   mehr ökonomisch­friedlicher Art, das heißt suchten sie hier ihre Lage zumeist durch Zusammenschluß und das Eintreten für soziale Reformpläne zu bessern,

* Siehe hierüber:" Per una Legge sul Lavoro delle Donne e dei Fanciulli", Notizie e Documenti. Mailand 1902, Unione Femminile. ** Maria Cabrini:" Per la Donna e per il Fanciullo!" im Avanti, Nr. 1384.

*** Notizie e Documenti, loco cit., S. 27.

Ein Streber.

Don Philipp Tangmann. ( Fortsetzung.)

Zuweilen ging Bankerl hinüber auf Besuch, wenn er abkommen fonnte, zum anderen Ende, wo die langwalzigen, schweren Maschinen im Strange wuschen und die fertiggebleichten Kattune vor die Auf­zieherinnen hinlegten. Mit diesen wußte sich Banferl gut zu ver­halten, man fam zuweilen zu einem Schluck, zu einem guten Bissen, und ein Scherz trug da seine Zinsen.

Die Aufzieherinnen standen mit dem Rücken zur Wand, die Lampe   leuchtete ihnen schief von oben herab, doch hell genug auf die gequollenen Hände. Es waren ihrer drei, welche nebeneinander stehend schafften; alle über die Sechzig, die Schwabin wohl schon der Siebzig nahe; drei lebhafte Mütter. Die ganze Nacht hindurch riß der Gesprächsfaden nicht; sie sprachen eben von der Wurstsuppe, welche die eine soeben zum Anwärmen in den Aschenfall hinein­gesteckt hatte, daß der große Topf wohl zugedeckt und vom Heizer bewacht sei und wohl für alle reichen werde, dann von der gebratenen Leberwurst, welche auch roh gut schmecke, von Würsten überhaupt, von den Fleischselchern, den Fleischern und endlich von den Fleisch­preisen. Bei diesem Gegenstande verblieb das Gespräch einige Zeit. Sie standen auf Brettern, über welche dicke Stoßen gespreitet waren, die Füße staken in Holzpantoffeln, welche warm halten. Unermüdlich zogen sie den Strang vom Haufen ab, über ein halbkreisförmig geschnittenes Brett, faßten ihn an den Kanten und legten die Stücke breit vor sich, so daß sie aus den zusammengedrehten, wirr auf einander liegenden Strängen breit in Lagen geschichtet, mit der Bezeichnung nach außen gelegt, für die weitere Bearbeitung gerichtet, hervorkamen.

Die Fleischhacker soll man alle aufhängen!"

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so waren ihre ländlichen Schwestern mehr für Schutz- und Trut­vereine behufs Ermöglichung ausgedehnter Arbeitsausstände.

Jahrelang hintereinander gaben die Reismädchen im Bolognese* das damals in Italien   unerhörte Beispiel großer und vorzüglich organisierter Arbeiterinnenstreifs. Mit der ihnen angeborenen eiser­nen Energie ruhten sie nicht eher, als bis sie die Lohnerhöhung durch­gesetzt hatten, die ihnen wenigstens ein einigermaßen menschenwürdi­ges Leben in ihren Sümpfen zu garantieren schien, das heißt Löhne mit einem Mindestsatz von 1,50 bis zu einem Höchstsatz von 3,50 Lire pro Tag.

Das Jahr 1896 brachte noch einen anderen aufsehenerregenden Frauenausstand. Die Strohflechterinnen in Toskana  , die, 60000 bis 80000 an Zahl, sich trotz ihrer Masse gegen die ihnen auf zwölf­stündige Arbeitszeit hin gezahlten Schandlöhne von 20 Gentesimi täglich nicht aufzulehnen wagten, verloren, als ihnen ihre Herren eines Tages erfärten, von nun an könnten sie ihnen bloß noch 10 Gen­tesimi geben, endlich die Geduld.** Der übrigens nach vielen Wechsel­fällen leidlich günstige Ausfall des Streifs dieser armen Heimarbeite rinnen machte in Italien   nicht wenig von sich reden. Diese Sozia­listen wiegeln sogar unsere sonst so zufriedenen Frauen auf", schrieb ein konservatives Blatt empört.

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Selbst im schwarzen Rom  , in welchem sich päpstlicher Einfluß mit savonischer Königstreue" und bürgerlich- republikanischer Gesinnung bisher in die Herrschaft der Geister geteilt hatten, brachten die neunziger Jahre dem sozialistischen   Gedanken die erwünschte Erstarkung, an welcher auch die proletarischen Frauen teil hatten. Bei dieser Gelegenheit verdient eine Genossin erwähnt zu werden, welche bis zu ihrem allzu frühen tragischen Ende ein wahres Muster von Rührigkeit und Auf­opferungsfähigkeit gewesen ist, und welcher die sozialistische Bewegung in Rom   mehr verdankt, als sich in Worten überhaupt ausdrücken läßt. Es war dies Emilia Alciati Marabini. Diese hoch­herzige Frau stammte aus einer reichen klerikalen Familie. Ihre Heirat mit dem verdienstvollen Rechtsanwalt Ezio Marabini brachte sie der sozialistischen   Partei näher. Bald hatte sie ihren katholischen Glauben völlig durch die Hoffnung auf eine Besserung der Mensch­heit in der sozialistischen   Gesellschaft ersetzt, ohne deshalb ihr tief­innerstes Christentum völlig aufgegeben zu haben. Emilia Marabini war eine Idealistin in des Wortes edelster Bedeutung. War die Anna Kulischoff nur durch ihren Kopf Sozialistin geworden, so hatte das Herz die Emilia Marabini dem Sozialismus in die Arme getrieben.

* Näheres über ihre Arbeit in einem nächsten Artikel.

** Maria Montessori  : Über das Leben der Arbeiterinnen" in Der internationale Kongreß 2c.", loco cit., S. 206.

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- Ja, aber der Strick muß dick genug sein, solche Schmalz­dösen haben ein Gewicht."

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Wenn's mir nur einmal so gut gehen möchte, wie so einem Bagauner! Aber unsereiner muß halt ewig arm bleiben und muß sich fortrackern, den dünnen Kaffee trinken, den schon der Teufel holen soll, und kommt zu nichts, und nie zu nichts, und ich sag', alles ist Bestimmung."

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" Freilich, das sag' ich auch. Die Fleischselcher kommen mit einem viereckigen Loch im Hintern auf die Welt, daß man sie gleich erfennt!"-

Die Tribula, stets gut gelaunt, wenn die Schreinzer von der Schwabin aufgezogen wurde, stichelte zu:" Glaubt's es ja nicht, was euch die Schwabin sagt, meine verstorbene Schwester, Gott   hab sie selig, war eine Madam, und hat mir nie etwas davon gesagt, und die hätte es doch wissen müssen."

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Von fleinen Kindern versteht die Schwabin, alles was wahr ist, da müssen wir zwei schon zurückſtehen."

Die Schwabin war aber nicht so leicht herum zu bekommen: ,, Epper, seid's Ihr mir gar neidisch auf meine Urenkel?"

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, Bewahr' mich der Himmel, neidisch! Ich weiß gar nicht, was das ist, ein Kind haben, ich bin noch ganz-

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,, Haltrr, eine Jungfer!" Alle schmunzelten vergnügt, und die Schreinzer, sie war lang und hager, mit einem breiten knochigen Gesicht, stieß die Nachbarin mit dem Ellbogen: Schwabin, Ihr seid's Eine!"

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Du lieber Himmel", rief die Tribula, Kindergeschrei hab ich schon dreißig Jahre nicht mehr gehört."

" Und ich hab' mein erstes Kind gehabt, da hatt' ich noch keine siebzehn, und jetzt bin ich so alt und muß wieder hutschen. Aber meine lieben Leuteln, ist das ein Kind! Ein Kind!! Herr, oben im Himmel, du hast mich armes, altes, garstiges Weib doch