Nr. 12.
Die Gleichheit
13. Jahrgang.
Zeitschrift für die Intereffen der Arbeiterinnen.
Die ,, Gleichheit" erscheint alle 14 Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post( eingetragen unter Nr. 3189) vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pf.; unter Kreuzband 85 Pf. Jahres- Abonnement Mt. 2.60.
Mittwoch den 3. Juni 1903.
Nachdruck ganzer Artikel nur mit Quellenangabe gestattet.
In den Kampf!
-
Inhalts- Verzeichnis.
-
Frauenarbeit in der Geraer Textilindustrie. Von Franz Christ- Zwötzen. Gegen die Besteuerung des Hungers. Aus der Bewegung. Feuilleton: Ein Streber. Von Philipp Langmann. ( Fortsetzung.) Notizenteil: Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen. Gesundheitsschädliche Folgen gewerblicher Frauenarbeit. - Vereinsrecht der Frauen. Soziale Gesetzgebung. Frauenstimmrecht.- Frauenbewegung. Verschiedenes.
"
In den Kampf!
-
XE
Wie verschiedenartig verbrämt und verschnürt auch die Uniformen sind, in welchen die bürgerlichen Parteien in den Wahlkampf ziehen; wie vielfarbig schillernd die Verheißungen, welche die Stimmen der Wähler födern sollen, in einer Losung finden sie sich alle zusammen: Gegen die Sozialdemokratie!" Von der äußersten Rechten bis zur äußersten bürgerlichen Linken hallt der Schlachtruf:„ Zermalmen wir die Schändliche!" Und welch rote Wänglein und Lippen der Arbeiterfreundlichkeit auch immer Konservative, Zentrümler und bürgerlich Liberale Bassermannscher oder Richterscher Couleur sich anschminken: sie alle treten als hartnäckige Gegner oder zum mindesten als faule, feige, unzuverlässige Freunde der Arbeiterklasse auf den Plan. Davon zeugen die Bedingungen, unter denen die Volksmassen fronden, leiden und fämpfen. Das bestätigen die vielen und schweren gesetzgeberischen Tat- und Unterlassungsfünden der legten fünf Jahre.
Die bürgerlichen Parteien reden von der Hebung des Arbeiterstandes", aber sie vorenthalten dem Proletariat in Gestalt gesicherter Koalitionsfreiheit und wirksamen geseßlichen Arbeiterschutzes unerläßliche Vorbedingungen für den Emporstieg breiter Massen zu einer kulturwürdigen Eristenz. Sie flöten süß von der Rüdsichtnahme auf die Schwachen, und sie plündern die Armut, indem sie mit zäher Tücke an dem ungerechten System der indirekten Besteuerung festhalten, ja es durch den Zollwucher zum unerträglichen Frevel steigern; sie schonen den Reichtum, indem sie der Einführung einer progressiven, stark steigenden Reichseinkommensund Vermögenssteuer bösartigen Widerstand entgegenseßen, sie begünstigen ihn schamlos, indem sie ihm durch die Liebesgabenwirtschaft Hunderte und Tausende von Millionen zuwenden, die Verbrauchsabgaben und Zölle aus der Tasche der Bedürftigen stibizen. Sie fnigen vor der Volksbildung, aber sie hüten sich wie vor dem Feuer davor, die Mittel zu bewilligen, die Einrichtungen zu schaffen, welche zur Hebung der Volksschulen nötig sind; sie sorgen dafür, daß diese den proletarischen Kleinen ein unzulängliches und ge= fälschtes Wissen reichen, sie lassen durch ihre Presse den Geist der Erwachsenen verdummen und vergiften. Sie vergießen gelegentlich Krokodilstränen ob des namenlosen Elends, das aus allen Winkeln dieser Gesellschaft grinst, und sie scheuen davor zurück, den Schutz der Mütter, die Fürsorge für Kranke, Krüppel, Alte und Arbeitslose über die öden, unfruchtbaren Niederungen einer etwas verbesserten Armenpflege zu erheben, der das Gefühl menschlicher Solidarität und der Achtung vor dem Menschenleben fremd ist. Sie schwärmen für Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit, aber sie haben strupellos das parlamentarische Recht der Minderheit zertrümmert und sinnen brünstig darauf, das Reichstagswahlrecht zu meucheln. Sie verhimmeln die Würde des„ Ewig Weiblichen", und sie versagen der Frau als Gattin, als Mutter gleiches Recht mit dem Manne, sie stellen sie als Staatsbürgerin auf eine Stufe mit
Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit" sind zu richten an Frau Klara 3ettin( 3undel), Stuttgart , BlumenStraße 34, III. Die Expedition befindet sich in Stuttgart , Furtbach- Straße 12.
Sie
Kindern, Schülern, Lehrlingen und bürgerlich Ehrlosen. deklamieren vom Schuße des Vaterlandes, aber sie brennen darauf, die teuren und ehrenhaft vertenerten Struppkanonen gegen den ,, inneren Feind" auffahren zu lassen.
Nichts natürlicher darum, daß alle bürgerlichen Parteien, wie bitter sie gelegentlich untereinander hadern, in der Sozialdemokratie den gemeinsamen Feind, den Feind erblicken.
Die Sozialdemokratie ist es ja, die auf der ganzen Linie mit Treue und Energie für Reformen zu gunsten der proletarischen Massen kämpft. Sie stand auch in der letzten Legislaturperiode des Reichstags im heißesten Schlachtgetümmel, wenn es galt, den Schutz der Arbeit wider die Profitgier und das Machtgelüfte der Kapitalistensippe zu erhöhen, den gesellschaftlichen Beistand für Fürsorgebedürftige wirksamer und würdiger zu gestalten. Brust an Brust hat sie im Kampfe gegen den Zollraub mit den politischen Landsknechten der Agrarier und Industriefürsten gerungen, um von den proletarischen Massen eine Verschlechterung der Erwerbsverhältnisse und eine wucherische Verteuerung der Lebensbedürfnisse abzuwehren. Die Besteuerung des Hungers hat in ihr ebenso den einzigen entschiedenen, grundsäglichen Feind, wie der Militarismus, der das Volk bis zum Weißbluten schröpft, den dringendsten Kulturaufgaben die Mittel entzieht und mit seinen gezogenen Kanonen die ungezogenen Nationen", das werktätige Volt, zur Naison bringen soll. Der Schild der Sozialdemokratie hat gelegentlich der dunkelmännerischen Ler- Heinzerei Kunst und Wissenschaft erfolgreich geschirmt, ihre Speere rannten wieder und wieder, der Bildung des Volkes, dem Rechte des Weibes eine Gasse zu bahnen. Die Partei des Umsturzes" ist es, welche mit der höchsten Energie gegen die drohende Niederknittelung der politischen Rechte des Proletariats ankämpft, sie zu erweitern und zu sichern strebt.
"
"
Die Sozialdemokratie als Vorkämpferin für gründliche, weitfassende Reform auf der einen Seite, alle bürgerlichen Parteien als Reformfeinde oder Reformheuchler auf der anderen: kein Zufall ist es, feine Laune. Es ist der Geschichte„ ew'ges Muß". Es ist die unabwendbare Folgeerscheinung der Tatsache, daß in der tapitalistischen Ordnung ein unüberbrückbarer Gegensatz der Interessen die Klasse der Ausbeutenden und Herrschenden von der Klasse der Ausgebeuteten und Beherrschten scheidet.
-
Die bürgerlichen Parteien auch jene, die sich freisinnig oder demokratisch benamsen sind nichts als die politischen Geschäftsführer und Diener der besitzenden Klassen. Der Polarstern ihres Tuns und Lassens ist das Streben, die kapitalistische Ord= nung der Ausbeutung und Knechtung des Menschen durch den Menschen zu befestigen und zu verewigen. Sie hassen und fürchten daher gründliches Reformwerk nicht bloß und nicht am meisten wegen der geringen Senkung des Profits und der winzigen Belastung des Besizes, wegen der geringfügigen Zügelung der tapitalistischen Ausbeutungsfreiheit. Sie hassen und fürchten es im letzten Grunde, weil es die Lohnsflaven wirtschaftlich hebt, mit dem Klassenbewußtsein ihr Persönlichkeitsbewußtsein weckt, ihren Geist erhellt, ihren Charakter stärkt, sie wehrtüchtiger im Kampfe für ihre Befreiung macht.
Die Sozialdemokratie ist dagegen die politische Sachwalterin der durch die kapitalistische Ordnung Enterbten und Getretenen. Ihre Aufgabe ist es, die proletarischen Massen aufzuklären, zu sammeln, sie zum Kampfe zu führen gegen die geltende Wirtschaftsordnung und die politische Machtorganisation, welche sie schüßt und