durch eine gerechte Verteilung der Steuerlasten zu ersetzen. Als Greuel und Scheuel verwerfen sie die sozialdemokratische Forderung, eine progressiv stark steigende Einkommen- und Vermögenssteuer einzuführen. Und doch ist sie allein geeignet, die Steuerlasten gerecht nach Maßgabe der wirtschaftlichen Kraft zu verteilen. Statt des Reichtums soll der Hunger besteuert bleiben. Die Männer und Frauen des werktätigen Volkes werden als wertschaffende Arbeitskräfte von der Kapitalistenkasse ausgebeutet, als Staatsangehörige vom Kapitalistenstaat geplündert. Diese beste aller Welten will, daß ihnen von rechts wie von links abgeknöpft wird, was nur abgeknöpft werden kann.
Doch damit nicht genug. Die Besteuerung des Hungers geht Hand in Hand mit einer standalösen„ Liebesgabenwirtschaft" zu gunsten der Kraut- und Fabrikjunker. Aus den Staatskassen werden diesen Hunderte von Millionen zugewendet, die durch die indirekte Besteuerung des Volkes aufgebracht worden sind. Die großen Schnapsbrenner erhalten jährlich ihr Geschenk von etwas über 40 Millionen Mark, die Rübengrafen haben von 1881 bis 1902 1185 Millionen Mark an Ausfuhrprämien auf Zucker geschluckt. Die verteuerten Brotpreise allein legen jetzt schon jährlich mehr als 600 Millionen in die abgrundtiefen Taschen der Jhenplize und Köferite. Dazu tommt noch die Steigerung der Einnahmen dieser Herren infolge der verteuerten Vieh- und Fleischpreise 2c. Ins fabelhafte müssen die Summen wachsen, die der Zollwucher den„ Edelsten und Besten" in die Schlösser schleppt. Wer gedenkt angesichts dieser schreienden, wahnwitzigen Ungerechtigkeit nicht des Spruches:„ Wer da hat, dem wird gegeben, wer nichts hat, dem wird auch das Wenige genommen"? Göttliche Weltordnung!
Einer groben Pflichtverletzung würden sich die proletarischen Frauen schuldig machen, wollten sie die Reichstagswahlen nicht nüßen, um die Plünderung des Hungers fräftig zu bekämpfen. Seien sie der hundertfachen Sorgen und Leiden eingedenk, welche diese Plünderung über sie bringt, über die Ihrigen, zumal ihre Kinder. E3 gilt, den Zollwucher zu rächen, welcher die giftigste Blüte am Stamme der indirekten Besteuerung ist. Es gilt, sich aufzulehnen gegen das System der indirekten Besteuerung selbst. Daß es mit seinen Lasten die werktätigen Massen fast zu Boden drückt, ist ebenso die Schuld der offenen Reaktionäre, die es geschaffen haben, wie der bürgerlichen Liberalen, die es nicht ernstlich, nicht grundsätzlich bekämpfen. Die Sozialdemokratie allein steht gegenwärtig in grundsätzlichem Kampfe für die Besteuerung des Besizes, gegen die Auspowerung der werftätigen Massen. Wer A sagt, muß auch B sagen. Der Losung: gegen die Besteuerung des Hungers, muß die andere folgen: für die Sozialdemokratie!
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Aber schnell, schnell, es fangt schon an!"
Hastig wurde zugegriffen, bebend die Hälfte abgetrennt, die Schwabin zog den Oberrock darüber, welchen sie fest gürtete, die Jacke, das dicke, wollene Tuch, indessen Bankerl seinen Teil zusammenrollte, ihn auf die Schulter nahm und wie ein Werkstück auf den Hof hinaustrug.
Er tat, als ob er das Stück zum Färber tragen wollte, troßdem er wohl wußte, daß in der Färberei nicht gearbeitet wurde. Hinter dem Eingang zur Färberei war ein Warenaufzug und eine Ausrede daher wohlfeil; kam er einmal dort vorüber, so war er hinter den vielen Fässern und Kisten geborgen, er konnte ungesehen zur Mauer schleichen, das Stück auf das Feld werfen und morgens um sechs Uhr bei der Heimkehr es abholen.
Es gelang ihm auf das Beste!
Aufatmend erreichte er die Fabritmauer, duckte sich und harrte einige Minuten lauschend; dann faßte er das festgerollte Stück und warf es mit Kraft und Vorsicht hinüber, wo es dumpf auf den Ackerboden fiel. Ein Glasscherben, welchen es gestreift hatte, fiel ihm von der Mauerzinne nach, ohne viel Geräusch zu machen. Dennoch pochte ihm das Herz. Er hatte sich gleich nach dem Wurf flach auf die Erde geworfen und lag zwischen den Säureballons hinter einem Berge von alten Stisten da.
Von dem schwarzen Nachthimmel hernieder leuchteten klar und groß die ewigen Sterne, der Bach am Wehr rauschte, als ob er im Schlafe spräche, in einem fernen Dorfe erhob ein wachsamer Hofhund seinen glockenreinen Anschlag.
Zuversichtlich geworden erhob er sich, ging geradewegs dem Heizhause zu, dessen Tür er öffnete und nach der Uhr fragte. ,, Gleich fangt's an", antwortete der Wächter, und eben auch sah Bankerl den Maschinisten seinem Werke zuschreiten. Das hatte er
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Aus der Bewegung.
Ein Frauenwahlverein für den Wahlkreis Teltow- Beesfow- Storkow- Charlottenburg ist von den Genossinnen gegründet worden und entfaltet eine rege Tätigkeit. Vorsitzende ist Genossin Thiel. Die erste Versammlung des Vereins, die in Tempelhof stattfinden sollte, wurde vom Amtsvorsteher des Ortes ohne Angabe eines Grundes verboten. Dagegen konnte eine Vereinsversammlung in Rixdorf unbehelligt tagen. Genosse Hennig behandelte hier das Tema:" Die Entwicklung der Sozialdemokratie." In einer öffentlichen Versammlung, welche der Verein in das Volkshaus zu Charlottenburg einberufen hatte, sprach Genossin Gradnauer über die Frauen und die Reichstagswahlen". Die zahlreich Erschienenen bekundeten durch reichen Beifall ihre Zustimmung zu den Ausführungen der Rednerin.
Der Frauenwahlverein der Berliner Genoffinnen ist äußerst rührig und gewinnt von Woche zu Woche neue Mitglieder. Die beiden letzten Versammlungen, von denen die eine im Westen, die andere im Südosten Berlins stattfand, waren sehr erfolgreich. Genossin Fahrenwald- Hamburg referierte in der erstgenannten Versammlung unter reichem Beifall über die Frauen und die bevorstehenden Reichstagswahlen". In der Versammlung, die im großen Saale von Sanssouci tagte, sprach Genossin Tietz in fesselnder Weise über das Frauenstimmrecht". Im Anschluß an das mit lebhaftem Beifall aufgenommene Referat gelangte folgende Resolution einstimmig zur Annahme:" In Erwägung, daß es keinen sichtbaren Grund gibt, ein mündig gewordenes menschliches Wesen von Bürgerrechten und Freiheiten auszuschließen, wie das mit dem weiblichen Geschlecht geschieht, und daß die Frauen nicht gewillt sind, diesen Zustand länger zu ertragen; in fernerer Erwägung, daß die täglich sich schärfer zuspißenden Gegensätze innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft insbesondere auch die ungeheuere Mehrheit der Frauen in immer schlimmere wirtschaftliche und soziale Verhältnisse versetzen, eine Hebung und Besserung dieser Verhältnisse aber ohne Besitz politischer Rechte und Freiheiten unmöglich ist: fordern die Frauen nachdrücklichst die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte wie die Männer, insbesondere die Gewährung des allgemeinen gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts."
Von der Agitation. Die Berliner Genossinnen wirken eifrig dafür, daß die Frauen in den Vororten der Reichshauptstadt politisch aufgeklärt und dem Wahlkampf der Sozialdemokratie zugeführt werden. In Barmen hielt Genossin Tietz ein Referat über die Reichstagswahlen". Genossin Gradnauer sprach in Steglit über " Zustände in der heutigen Gesellschaft". Die Versammlung
sich vor einer halben Stunde nicht träumen lassen, wie fröhlich er jezt an seine Maschine treten werde, und mehrfach rief er sich in seinem Gedächtnisse den ganzen merkwürdigen Vorgang zurück, um allem kommenden gefaßt gegenüberzustehen.
Wenn es schlecht ging, konnte der Wächter zufällig eine Runde außen um die Fabrik machen, was jedoch bei seiner sprichwörtlichen Trägheit kaum zu befürchten stand; auch war es ja keineswegs sicher, daß er das Stück sehen mußte, und wenn er es sah, daß er die zehn Schritte vom Wege bis zur Mauer riskieren werde, um nachzusehen, was der unbekannte Gegenstand zu bedeuten habe. Oder es konnte die Schwabin erwischt werden-!- Pah! am Ende was läge viel daran. Sie konnte plaudern. Hm, was hätte sie davon? Die Angst. So ein altes Weib plauscht dann alles aus. Die Schwabin nicht, die ist eine Gehaute, die wird nichts reden, was hätte sie davon? Es hülfe ihr ja doch nicht.
Der Lärm, der eben wieder anhob, das Knattern des Dampfrohrs, das vor seinen Augen niederwallende Stück brachte ihn wieder seinen alten Gedankenpfaden zurück, die er nun hoffnungsfreudiger wandelte. Alle seine Entwürfe hatten von jetzt ab ein anderes Gesicht, ein Schwung der Zuversicht belebte ihn, er fühlte Kraft, sein Lebenswerk zu vollenden. Es fehlten ja genau genommen doch nur Kleinigkeiten: der Anwurf, ein Fenster, rückwärts die Hofmauer, der Anstrich, ein Zimmerofen und vorn der Holzzaun. Gelang der heutige Streich, dann hatte er ja vierzehn Gulden beisammen und konnte mit Spizhüttl ein ernstes Wort reden. Wenn nur der Verdienst besser wäre, wenn er es nur verstände wie andere, augendienerisch und aufdringlich an der Arbeit sein, wenn er zusieht, oder sich mit etwas einzuschmeicheln.